|
[46] Zum Behuf gewisser Ehemänner seines Kirchsprengels.
Wien im April 1779.
Kommt, Kinder, die ihr wissen wollt,
Was über euern Köpfen rollt,
Wie's steh' um Sonn- und Mondenlicht,
Hört eures Pfarrers Unterricht!
Der Erde Nachtlicht, wie bekannt,
Wird Luna, oder Mond genannt,
Und was euch oftmals Kraut und Kohl
Versengt, heisst Sonne, fiue Sol.
[47]
Der Mond, ni fallor, stellet zwar
Zum Schein den Herrn vom Hause dar:
Doch muss er, wie in unsrer Welt,
Meist thun, was seinem Weib gefällt.
Kaum steigt Frau Sonn' in ihrem Lauf
Am hohen Himmel stolz herauf,
So macht der arme Hauspatron
Sich über Hals und Kopf davon.
Denn seht! wie sie einherspatziert,
Mit goldnen Spitzen schamarrirt,
Indess ihn, um und um befleckt,
Ein Kleid von Flittersilber deckt.
Sie gönnt ihm keine bessre Tracht,
Und dennoch schämt in ihrer Pracht
Die Stolze seines Anzugs sich:
Diess kränkt den Armen bitterlich.
[48]
Er lässt, wenn sie sich drob entzweyn,
Sich oft in einen Zweykampf ein:
Doch geht er stäts den Abend drauf
Blutrünstig und verschwollen auf.
Bey solcher Wirthschaft, dächte man,
Sey's um den Nachwuchs schlecht gethan:
Allein sie brüten, wie ihr seht,
Von Sternen eine Quantität.
Und dieses ganze Sternenheer
Muss nachts Herr Mond oft kreutz und queer,
Gleich einer alten Kindermagd,
Spatzierenführen, bis es tagt.
Denkt, wie ihn all das quälen muss!
Und trotz dem stäten Hausverdruss
Sieht einen doch der gute Mann
Fast immer lieb und freundlich an.
[49]
Drum, liebe Christen, die ihr hier
Versammelt seyd, denkt für und für,
Wenn Zank und Hausverdruss euch quält,
Was euer Pfarrer euch erzählt!
Tragt's mit Geduld! Fiel doch dem Mond,
Der hoch in Gottes Lüften wohnt,
Und stolz auf unsern Erdenkloss
Heruntersieht, kein besser Loos.
Buchempfehlung
Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«
270 Seiten, 9.60 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro