Kapittel 38

[555] Bräsig un Pomuchelskopp in den Reformverein. – Wat ein »Mitbruder« den annern de Stäwel uttrecken laten darf? – Herr Pomuchelskopp ward för en Groß-Mogul un Herr Schulz för 'ne Snickermus anseihn. – Woher sick de Armaut in de Welt stammt, un worüm sei noch ümmer dorin begäng' is. – De Platosche Republik möt inführt warden; fri Spill möt sin; de Indig is tau dür; Armaut möt sin, äwer 'ne vernünftige; dat Schossehgeld möt afschafft un för National-Eigentum möt sorgt warden; Rindfleisch un Plummen smecken sihr gaud, äwer wi krigen sei man nich. – Unkel Bräsig in'n Siegerkranz. – »Hohe Lorbeern stehen, wo der Krieger schläft.« – Gun Nacht ok!


As hei sine Niglichkeiten ut Rexow un Gürlitz utkramt hadd un de Fru Pastern un Hawermann nicks mihr tau fragen hadden, makte hei sick wedder up de Flüchten. »Nehmen Sie mich's nich übel, Frau Pastorin, und du auch nicht, Korl, ich[555] muß, so drad ich mich andere Stiebeln angezogen habe, in die Reform. Du solltst mitkommen, Korl, wir wählen uns heute einen neuen Herrn Presendenten, indem daß der alte, wie er sagt, nicht mehr mang durchfinden kann. Ich wähle den Herrn Avkaten Rein – kennst du ihn? Ein netter Mann, en wahrer Lebermann, aber Stückschen macht er, das 's wahr; und denn haben wir for heute 'ne wichtige Frag aufgesmissen – Rekter Baldrian sagt, sie berührt sich mit dem Zeitgeist –, wir wollen nämlich ausfündig machen, woher sich die große Armut in der Welt stammt. – Du solltst mitkommen, Korl.« – Korl wull äwer nich, un Bräsig gung allein.

De irste Person, de Bräsigen up den Saal von den Reformverein in de Ogen föll, was – Zamel Pomuchelskopp, de ok, as hei em gewohr würd, stracks up em losstürte: »Guten Abend, lieber Bruder, was machst du, lieber Zacharias?« – Vele hewwen dat nich seihn, woans sick Bräsig bi dese Anred' hadd, un de't seihn hewwen, wüßten't nich recht düdlich tau maken, de Sak hadd ehr äwernamen; äwer Schauster Bank hett't seihn un hett't mi vertellt. »Fritz«, säd hei, »süh, as wenn du den Herrn Entspekter sin Gesicht dörch 'ne Schausterkugel ankekst, so sach hei ut; dat Mul was nochmal so breid un de Näs' nochmal so dick, un dat ganze Gesicht sach ut as Füer un Fett, un as hei den einen Bein so vörutstellen ded un säd: ›Herr Zamwell Pomuchelskopf, ich bin kein Du von Sie‹; weitst, wo hei dunn utsach? – Akkerinenrat as de oll Sandwirt Hofer ut Tirol, so as hei bi Gastwirt Vossen tau Ivenack an de Wand hängen deiht, blot dat hei kein Scheitgewehr in de Hand hadd. Un dunn dreihte hei sick üm un wis'te em sine Achtersid, un wat för 'ne Achtersid! un gung an den Wahldisch un gaww sin Stimm af för den nigen Presendenten un rep lud dörch den Saal: ›Ich wähle den Herrn Avkaten Rein, denn rein muß unsre Sache sein, und wenn hier ein Smutzlümmel in die Tür kommt, denn muß er rausgesmissen werden.‹ – Dat verstunn nu keiner; äwer allens was musingstill, denn dat hir wat passiert was, wüßt ein jeder; un as hei so dörch den Saal gung, makte[556] em allens Platz, denn hei sach ut as en Bull, de stöten will; set'te sick äwer ruhig an't anner En'n von den Saal hen, un wat nahsten kamm, dat weit ein jedes Reformglied.« – So säd Hanne Bank tau mi, un ick glöw em dat, denn hei was en gauden Fründ von mi un was en ihrlich Mann, obschonst hei man blot en Schauster was; hei is von einen nichtswürdigen Schurken in ein bläudiges Graww leggt in sine besten Johren, wil dat hei för't Recht uptreden ded, un wenn dat ok nich hirhen hürt, so wull ick't doch schriwen, dormit dat dat Gedächtnis von so'n ihrenwirten Mann un leiwen Fründ nich blot up sinen Likenstein tau lesen is.

Also Zacharias Bräsig set'te sick an dat anner En'n von den Saal un satt dor as en Gewitter, wat alle Ogenblick losscheiten will. – De Avkat Rein was Presendent worden, hei klingelte also, kröp in de Tunn rinne un bedankte sick velmal för de Ihr un säd tauletzt: »Meine Herren, bevor wir an unsere Arbeit in der Armutsfrage gehn, habe ich das Vergnügen, Ihnen anzuzeigen, daß der Herr Rittergutsbesitzer Pomuchelskopp auf Gürlitz sich zur Aufnahme in unsern Verein gemeldet hat. – Ich glaube, es wird wohl keiner gegen seine Aufnahme etwas einzuwenden haben.« – »So?« rep 'ne hellisch giftige Stimm achter em, »wissen Sie das so prick? Ich bitt' uns Wort«, un as sick de nige Presendent ümwennen ded, stunn Unkel Bräsig all an dat Käuhlfatt. – »Herr Inspektor Bräsig hat das Wort«, säd de Presendent, un Unkel Bräsig klemmte sick in dat Käuhlfatt 'rin. »Mitbürger!« fung hei an, »wo lang' is das her, daß wir hir in Grammelinen seinen sonstigen Danzlokal Freiheit, Gleichheit un Brüderlichkeit besworen haben? Von die Freiheit will ich hier nichts nich sagen, obschonst ich mich in diesen verfluchten Kasten mit meinem natürlichen Leibe nich rögen kann; von die Gleichheit will ich auch nichts sagen, denn was unser neuer Herr Presendent is, gibt uns ein gutes Beispiel, indem daß er ümmer in einem grauen Rocke geht und nicht wie gewisse Leute in einem blauen Leibrock mit blanke Knöpfe; aber von die Brüderlichkeit will ich reden. – Mitbürger! Ich frage[557] Ihnen, is das Brüderlichkeit, wenn einer seinen Mitbruder die Stiebeln ausziehen lassen will? und einer seinen Mitmenschen as 'ne Kreih in den Snee will rum hüppen lassen oder, wenn der Snee weg is, in der Maratz? und einer berühmt sich das allentwegen? und einer hängt einen einen Lack an? Ich frage Sie, ob das 'ne Brüderlichkeit is? und sage: der Herr Zamwell Pomuchelskopp is solche Brüderlichkeit. Und weiter wollte ich nichts nicht sagen.« – Hei steg von de Rednerbühn runne un snow sick de Näs' ut, as müßt hei up sine Red' Tusch blasen. – Snider Wimmersdörp kämm nah em tau Wurd un säd: de Rahnstädter Reform müßt sick dat tau 'ne grote Ihr reken, dat sei ok en Gaudsbesitter mang sick hadd; so vel hei wüßt, wir dat de einzigst, denn de Herr von Zanzel, obschonst hei ok en Gaud hadd un ok Mitglied wir, wir nich mit tau reken, denn hei köffte nich in Rahnstädt un let dor ok nicks maken. Hei stimmte för den Herrn Gaudsbesitter. – »Bravo!« gung dat dörch den Saal. – »Wimmersdörp hett recht! – Vadder, du hest recht! – Wovon sälen wi lewen, wenn wi so' ne Lüd' nich warm hollen?« – »Das wäre nicht meine Meinung«, säd de Zimmerling Schulz un kröp sachten ut de Tunn herut, as 'ne rechte fette Snickermus ut ehr Hüschen, wat ehr so jüstement tau Paß sitt, »Snider Wimmersdörp – dummes Tüg! – dummes Tüg! – Hätte sich der Gürlitzer Potentat vordem um uns kümmert, hätte er vordem seine Rechnungen bezahlt, als er uns noch nicht brauchte? Was stände er hier in dem Saal, wenn über ihn abgestimmt wird? Könnte er nich in Bescheidenheit rausgehn? – Aber nein! – Denn worum? – Weil er ein Groß-Mogul is. – Ich sage: rut! rut!« – Un de Snickermus krop wedder in ehr Huschen; äwer ehre Red' hadd hellschen dörchslagen: »Rut! rut!« repen weck Stimmen, un weck repen: »Weiterreden! Noch mal anfangen!«, un so'n verdammten Schaustergesell sung mit düdliche Stimm:


»Snickermus, kumm herut!

Steck din virfacht Hürn herut!«
[558]

Äwer de Zimmerling Schulz kämm nich, hei wüßt tau gaud, dat hei den groten Indruck, den sine Red' makt hadd, blot afswäcken kunn, hei wull em leiwerst verstärken un stunn bi Bräsigen achter de Bühn, un beide repen ümmer blot: »Rut! rut!«, un sei hadden gewiß wunnen, wenn de Deuwel nich Daviden un Slus'uhren in dat Käuhlfatt rinne karrt hadd, beid' mit en Snurrbort, taum Teiken, dat sei hellsehen liberal wiren. – De sungen denn nu Pomuchelskoppen sin Loww tau Psalter un Geigen. Hei wir en »hülfreichen Engel«, säd Slus'uhr – »ja, en Speckengel!« rep de Witzenmaker von Schaustergesell dortüschen –, hei hadd hir in Rahnstädt männigen armen Husvader mit Vörschuß unner de Arm grepen – de teihn Prozent Tinsen versweg hei –, un hei würd noch vel mihr dauhn för de Stadt. – David sung datsülwige Lied, blot en beten mit Saffran anfarwt un mit Knuwwlok anwürzt: »Meine Herren!« säd hei un makte den Witzenmaker von Schaustergesellen en deipen Deiner, dat hei em ruhig gähn laten süll, »bedenken Se! bedenken Se das Wohl von die ganze Stadt! – Sehn Sie, da is per primo der Herr Permuchelskopf selber in eigener Person, denn is da die gnedige Frau Permuchelskopfen – 'ne grausame gescheute Frau! –, denn is da de Fräulein Salchen und de Fräulein Malchen und der Herr Gustäwing und der Herr Nanting un der Herr Philipping, und denn kommt die Fräulein Mariechen und die Fräulein Sophiechen und die Fräulein Melaniechen, und denn kommt der kleine Herr Krischäning und der kleine Herr Jöching, und denn kommen erst die ganz Kleinen – nu! Warten Se noch, ich bin noch nicht zu End' –, und denn kommen de Stubenmädchen und de Köchinnen un de Kindermädchen und de Schweinemädchen – nu, was weiß ich? –, und denn kommt der Kutscher, und denn kommen de Pferdeknechte, und denn kommt der Ochsenknecht – nu? er braucht auch was. Warum sollt er nichts gebrauchen? Jeder Mensch hat seine Gebräuche! Und se gebrauchen Röcke, und se gebrauchen Hosen, und se gebrauchen Schuh und Stiebeln, und se gebrauchen Strümpfe und Hemden und Nachtjacken; und[559] wenn's wird kalt, müssen se haben en warmen Rock, und wenn's wird warm, müssen se haben en kalten Rock, und wenn's kommt zu Palmsünndag, daß se werden konfemiert, müssen se haben en guten Rock, und nu zu Weihnachten! -Gott, du gerechter! Hab' ich doch immer gesagt: dieser Christus is doch gewesen ein großer Mann! Was hat er nicht gebracht in die Welt für'n Geschäft zu Weihnachten! – Und das allens sollen wir schaffen an und sollen's halten in den Laden. – Aber wer kauft's uns ab? – Der Herr Permuchelskopf kauft's uns ab. – Weiter sag ich nichts.« – Un hei hadd't ok nich nödig, denn as hei sine Red' slaten hadd, seten all de Schausters un Sniders un makten in Gedanken för all de lütten Pomuchelsköpp Schauh un Stäweln un neihten Hosen un Jacken, un de Koplüd' handelten mit Mucheln üm ehre Reste, un Kurz hadd in'n Ümseihn sinen halben Laden an em verköfft.

Äwer trotz alledem rep Bräsig mit den Zimmerling Schulz wedder: »Rut! rut!«, un dorgegen rep dat: »Hir bliwen!« – »Rut! rut!« – »Hir bliwen!« Un't würd en furchtboren Upstand. De materiellen Interessen bömten sick in Gestalt von Pomuchelskoppen sine Stäweln un Hosen gegen de ideale Brüderlichkeit up; 't was 'ne harte Slacht. – Tauletzt schaffte de Klingel von den Presendenten-Stauhl so vel Luft, dat de Herr Presendent Rein sick vernemen laten kunn. – »Meine Herrn«, säd hei. – »Rut! rut!« – »Hir bliwen!« – »Meine Herrn«, fung hei wedder an, »Gott sei Dank!« – »Rut! rut!« – »Hir bliwen!« – »Gott sei Dank! Die Meinung der Versammlung hat sich in so glänzender Weise geklärt, daß wir zu einer Abstimmung schreiten können. Also: alle diejenigen, die für die Aufnahme sind, gehen zum Musikantenchor, die dagegen sind, gehen zur Rednerbühne.« – Nu kamm de Rahnstädter Reform in Bewegung; ein jeder peddte so drist up, as hei kunn, üm sine faste Meinung tau bewisen, un von fiern hürte sick dat an, as wenn bi Grammelinen 'ne Walkmähl in vullen Gang' wir, un de Folgen von dit ruhige Geschäft süllen sick denn ok up de Neg' utwisen, denn Grammelin[560] stört'te in de Dör rinne un rep: »Herr Presendent! Kinnings! Ick bidd üm 'ne anner Ort, üm 'ne ruhigere Ort von Afstimmung!« – »Ei wat!« rep Discher Thiel, »afstimmt möt warden! süs is't kein Reform.« – »Dat weit ick, Thiel, äwer ji stimmt jo so af, dat mi de Kalk von den Bähn föllt.« -Dat kunn nu jed werein inseihn, dat dat en beten tau drist utfallen was, un up den Andrag von Grammelinen würd nu utmakt: von nu an süll nich mihr mit de Beinen un blot mit de Arm afstimmt warden.

De Stimmen würden tellt: Pomuchelskopp was as würkliches Mitglied in den Rahnstädter Reformverein upnamen worden. – Zimmerling Schulz dreihte sick nah Bräsigen üm un frog em so äwer de Schuller räwer: »Na, wenn't so geiht, Herr Entspekter, wat sall denn ut Dütschland warden?« – »Is mich ganz egal«, säd Bräsig, »aber mit die Brüderlichkeit bleib' einer mich jetzt vom Leibe.« –

Nu kamm de Armaudsfrag' up dat Tapet, un nahdem dat de Presendent de Frag' genauer bestimmt hadd, süll nu de Rahnstädter Reformverein utmaken: »woans de Armaud tauirst in de Welt kamen was un worüm dat sei sick noch ümmer in de Welt uphollen ded.« – De irste, de uptred, was de Rekter Baldrian. – Hei steg von hinnen, as all de annern deden, up de Rednerbühn, let sick äwer von vören von sinen öbbersten Schäuler en groten Hümpel Bäuker ruppe reiken, dat hei doch vör allen Dingen irst 'ne gaude Meinung för sick in de Versammlung uprichten wull. As hei nu de Bibel un Xenophonen un Platon un Aristotelessen un Liwiussen un Tacitussen un allens, wat hei von Cicero'n tau Hand hadd, bi Sid stoppt hadd, makte hei en Diener un säd: dit wiren sine Hülfstruppen. – »Vadder«, säd Jehann Bank tau Schauster Deicherten, »dit ward langwirig, wi kennen em jo; will'n uns irst noch en Glas Bier kamen laten.« – Nu läd de Rekter los un bewes' ut de Bibel, dat all öltlings bi de Juden Armaud west wir. – »Dat's nich wohr!« rep 'ne heische Stimm von hinnen ut den Drümpel, »de verfluchten Juden hewwen't Geld all allein, de weiten vel, wo'n armen Minschen[561] tau Maud' is.« – De Rekter let sick nich stüren, hei wes' de Sak ut de Bibel nah, namm dunn Xenophonen tau Hand un vertellte vel von de Heloten in Sparta, wat ogenschinlich von de Versammlung nich ganz verstahn würd. Dorup kreg hei Plato'n vör un slog up em los, d.h. blot up dat Bauk von de Republik un noch dortau in allen Gäuden, un säd: wenn Rahnstädt dat hadd, wat Plato sick so bi Fierabendstiden för de Atheners utdacht hadd, denn künn jeder Rahnstädter Daglöhner alle Dag' Rindfleisch un Tüften tau Middag eten un Sünndagsnahmiddag in 'ne Kutsch spazieren führen, un de Kinner, de nu mit en Snurrbüdel üm den Hals rümmer lepen, güngen denn mit güllene Keden üm den Hals dörch de Straten. – »Dat möt hei uns genauer utdüden.« – »Hoch! Plato, hoch!« gung dat dörch den Saal. – »Vadder, is dat de oll Juden-Rewwer Platow, de up dat ein Og' nich seihn kunn?« – »Ih, Vadder, ick heww em gaud naug kennt, hei hett männig Stück Rindveih bi mi schecht«, säd Slachter Kräuger. – De Klingel von den Presendenten schaffte Rauh, un de Spitzbauw von Avkat Rein wendte sick an den Rekter un bed em in den Namen von de Versammlung, hei müggt doch de Fründlichkeit hewwen un den Rahnstädter Reformverein en düdliches Bild von de Platosche Republik gewen. – Dat was en stark Verlangen, un den ollen armen Rekter lep de Sweit von den Kopp, as hei dreimal ansetten ded un dreimal hacken blew, indem dat hei dat sülwst nich recht wüßt; hei säd also tauletzt in sine Angst: de Platosche Republik wir 'ne Republik west, un wat 'ne Republik wir, würden sine politisch gebildeten Tauhürers woll weiten. – Na, dat wüßt jo nu ein jeder, un de Rekter kamm nu up de Römers un vertellte as ganz wat Besonders, dat de ollen Römers sprangwis' ok all hungert hadden un dat sei denn ümmer ludhals' nah panem et circenses schrigt hadden. »Panem, meine lieben Zuhörer«, säd hei, »bedeutet nämlich Brot und circenses bedeutet öffentliche Spiele.« -Mit einem Mal sprung Schauster Deichert up de Bänk, trotzdem dat em Hanne Bank an de Rockslip taurügg hollen[562] wull, un rep; »Dat segg ick man! – De ollen Römers sünd so dumm nich west; un wat de känen, kän wir Rahnstädter alle Dag'! – Wat? Mi un Bökeln un Jürendten un all de annern, as wi bi Pfeiffern sitten un en beten Wängtühn spelen, lett de Burmeister de Korten wegnemen, un wi möten mit Vadder Pfeifern tau Rathus un möten dor Straf un Gerichtskosten betalen? – Wat? – Ick segg, as de ollen Römers: fries, öffentliches Spill möt sin!« – »Dor hest du recht, Vadder«, rep Jürendt, »un de ollen Römers un de Herr Rekter sall leben, hoch!« – »Hoch!« gung dat nu, un »Hoch!« – De Rekter namm nu dit Hoch för sick un de Römers mit en Diener in Empfang, un as hei sach, dat de Presendent öfters nah de Klock kek, makte hei sick an den Sluß von sine Red', un slot ok würklich: »Meine geehrten Zuhörer«, säd hei, »wenn wir also unsere jetzige Armut betrachten, so sind es eigentlich nur die Kinder armer Leute und die Handwerksburschen, die in unserer Stadt betteln gehn.« – Dormit tred hei af un namm de Hülfstruppen unner den Arm. –

Nah em kamm Jehann Meinswegens. – »Meine Herrns«, säd hei, »ich bin meinswegens ein Färber«, dorbi reckte hei de beiden Hän'n mit so'n Nahdruck ut de Tunn, dat dat den ganzen Reformverein blag vör de Ogen würd, »ich bün auch bei den Herrn Rekter in de Schul gegangen, un recht hat er, wir müssen 'ne Replik haben; meinswegens kann sie von Plato'n sein, meinswegens von en andern; aber was der Herr Rekter sagt von die Handwerksburßen, das ist 'ne Sünde und 'ne Schande; ich meine meinswegens die Handwerksburßen, nicht den Herrn Rekter. – Meine Herrns, ich bün meinswegens auch als Handwerksburß in die Frömde gereis't.« – »Achter'n Aben bi Muttern hest seten«, rep 'ne Stimm. – »Was? – Bis nach Birnbaum in Polen bün ich gekommen und meinswegens noch weiter, ümmer zu! so weit der Himmel blau ist und ein ehrlicher Blaufärber meinswegens noch was gilt«, dormit slog hei sick vör de Bost. »Und, meine Herrns, ich könnte meinswegens noch zwei Gesellen halten; aber ich kann's nich, denn der Indig is zu teuer.« – »Ih, du Racker![563] Du farwst mit Blauholt«, rep Schauster Deichert. – »Das's meinswegens en dummen Snack!« rep Jehann. – »Wat Indig? Hir!« repen vele Stimmen, »hei farwt mit Blauholt!« – »Ja«, rep de Witzenmaker von Schaustergesell, »de Frugenslüd', de bi em farwen, kann einer glik kennen, de seihn all as de Teerswälers ut, dat oll Blauholt farwt tau sihr af.« – »Junger Mensch«, frog Jehann so recht von baben dal, »haben Sie meinswegens in meine koll Küp' hineingekuckt?« – »Du süllst dat Mul hollen, wenn von Armaud de Red' is, du sittst schön in't Fett«, rep ein anner. – »Meine Herrns, das's meinswegens en dummen Snack! Es ist wahr, ich habe mir en neues Haus gebaut ...« – »Von Blauholt«, rep de Schaustergesell. – »Von Blauholt!« rep allens dörch enanner. – »Nein!« rep de Farwer, »von Dannenholt, meinswegens mit eichene Sahlen!« – »Von Blauholt!« gung dat wedder. – »Meine Herrns«, fot Jehann noch einmal indringlich nah, rieht'te sick tau Höcht un slog sick mit de blage Fust vör de Bost, »ich bün meinswegens Rahnstädter Bürger, un weiter sag' ich nichts.« – »Is ok naug!« repen weck. – »Denn büst ok wat Rechts!« repen de Daglöhners, »runne mit den Däs'kopp! Wat de weit, weiten wi all lang'!«Un Jehann»Meinswegens« müßte runne von de Bühn.

Nu kamm Kurz: »Mitbürger! Wir sprechen hier von der Armut, und mein geehrter Herr Vorredner sprach von dem Indig. Da muß ein Donnerwetter drein schlagen! Woher sollen wir Kaufleute Steuern bezahlen, wenn sich jeder Färber seinen Indig selbst kommen läßt, und das tut der geehrte Herr Vorredner bloß darum, daß ihm keiner in die Karten kucken kann, wieviel Indig und wieviel Blauholz er gebraucht!« – »Sie kucken selbst in die Karten!« rep wat achter em, hei kek sick üm un grad in Bräsigen sin Gesicht, let sick äwer nich stüren un säd wider: »Denn den Indig kann er von mir wohlfeiler kriegen als aus Rostock selbst. -Aber, Mitbürger, von der Armut. – Wenn das so beibleibt, werden wir alle arm.« – »Dor hett hei recht, Vadder«, säd Schauster Deichert tau Jehann Banken. – »Mitbürger, ich[564] habe mir expreß Pferd' un Wagen angeschafft, um mir meine Waren selbst heranzufahren und auch diesen kleinen Vorteil wahrzunehmen.« – »Den lütten Vurtel günnt uns dat Takel ok nich mihr!« rep de Fuhrmann Fritz Siewert dormang. – »Aber«, red'te Kurz wider, »wie ist's mir ergangen? Sie haben mir vergangen Jahr in Teterow mein Fuhrwerk mit Beschlag belegt.« – »Wil hei de Stüer bemogeln wull«, rep Fritz Siewert dormang. – Up so'ne Kleinigkeit, as 'ne Unnerbrekung was, acht'te Kurz nich, denn hei was all mal rute smeten un hadd ok all mal Schacht kregen, hei red'te also wider: »Unser Herr Burgemeister ließ mich kommen un fragte mich, durch welchen Fuhrmann ich die Waren besorgt hätte? –›Durch mein eigen Fuhrwerk‹, sagte ich. –›Also per se‹, sagte er. –›Nein‹, sage ich, ›nicht per See, Rahnstädt ist keine Seestadt, per Achs.‹ – Da lachte er und sagte, er hätte sich lateinisch ausgedrückt. – Mitbürger! Wohin soll das führen, wenn die Gerichten sich lateinisch ausdrücken, wenn einem Pferd' und Wagen mit Beschlag belegt wird? Das ist der Weg zur Armut. – Wie sollen wir Kaufleute bestehen bei dem geringen Aufschlag, den wir von Kaffee und Zucker, von Tabak und Schnupftabak nehmen?« – »Von Ehren verfluchten Snuwtobak swigen S' still!« rep Schauster Deichert, »so'ne Näs' heww ick dorvon kregen«, un hei höll sick de Fust vör de Näs'; äwer hei slog dormit nich dörch, allens lachte, wil sine natürliche Näs' noch rechtsch un linksch äwer de Fust rute kek. – »Mitbürger!« säd Kurz wider, »ich weiß das recht gut: Armut muß sein, aber 'ne vernünftige, solche mein' ich, die jedermann mit sich selber abzumachen hat und bei der er nicht nötig hat, seinen Mitmenschen zur Last zu fallen. Aber is das möglich bei den traurigen Zuständen in unserer Stadt? – Mitbürger! Schon seit Jahren streite ich gegen die unberechtigten Privilegien, die sich gewisse Leute angemaßt haben und die von oben herunter geschützt werden.« – »Vadder«, säd Discher Thiel tau Jürendten, »sallst seihn, nu kümmt hei wedder mit de Stadtbullen. Denn möt hei run, BäckerWredow is min Swager.« – Un richtig! – »Mitbürger!«[565] rep Kurz, »ich meine die Stadtbollen; dieser Unfug ...« – »Runne mit em!« rep Discher Thiel. – »Ja, runne mit em!« rep dat dörch den Sal. – »Wie willen hir nicks von Bullen un Rindveih hüren!« repen weck. – »Mich den lütten Vurtel günnt hei einen!« rep Fritz Siewert. »Hei will man allens allein sluken, nu ok noch de Stadtbullen!« – De Presendent strapzierte de Klingel up dat unminschlichste. Kurz rieht'te un reckte sick up de Bühn so lang, as sine Natur dat hergewen wull: »Mitbürger! ...« – »Ei wat hir? Mitbürger?« repen Discher Thiel un Schauster Deichert un treckten den unglücklichen Handelsherrn rügglings an de Rockslippen ut dat Käuhlfatt, bet hei allmählich unnerduken ded, blot sine beiden Hän'n tillerten noch 'ne Tid lang äwer Burd, as wenn einer versupen deiht, un ut dat Fatt buddelte dat noch dump tau Höcht: »Stadtbullen, Bullen – Bullen – Bullen –«, dunn was't still, un Kurz föll Bräsigen in halwe Beswimnis in de Arm. Bräsig un de Zimmerling bröchten em ut de Dör. – »So halten Sie doch Ihr ßackermentsches Maul!« säd Unkel Bräsig un schürrte Kurzen in de Nebenstuw, bet hei'n in 'ne Eck rinne kreg, »wollen Sie denn afslutemang noch mal Schacht kriegen?« – Un hir stellten sick de beiden ollen Burßen rechtsch un links bi Kurzen up un stunnen dor as de beiden Kirls up de »Willen-Manns-Gulden«, de einen springenden Löwen bewachten, dat hei nich up de Lüd' geiht; blot dat de beiden ollen Knawen anständiger in'n Tüg gungen as de willen Manns, un dat sei staats en Knüppel 'ne lange Pip in de Hand hadden.

Wildeß hadd Fritz Siewert nahwesen, dat de Armaud von dat Schossehgeld herkem; dat Schossehgeld müßt afschafft warden; un Snider Wimmersdörp hadd den vernünftigen Satz upstellt: för de Armaud müßt wat dahn warden, un för den Ogenblick wir nicks anners dorgegen tau dauhn, as dat sei an den Großherzog sin Sloß tau Rahnstädt »Nationaleigentum« anschriwen deden; wenn dat verköfft würd, künn all en ganz Stück Armaud dormit stoppt warden. – Dit würd annamen, un säben Mann gungen mit Grammelinen sine[566] Stallücht un en Stück Krid nah dat Sloß un besorgten de Sak.

»Krischan«, säd einer achter Pomuchelskoppen, »de Sak geföllt mi. – Du kannst jo schriwen, dat sallst du morgen abend ok an unsern Herrn sine Husdör schriwen.« – Pomuchelskopp kek sick üm – de Stimm kamm em bekannt vör – un kek grad in dat Gesicht von sinen einen Reform-Daglöhner rinne, un de verfluchte Kirl, de nickköppte em noch tau. – Em würd ganz besonders tau Maud', hei wüßt sinen Liw' keinen Rat: süll hei den Herrn as Trumpf utspelen oder de Brüderlichkeit. Gescheihn müßt wat, hei müßt taum wenigsten den Reformverein för sick gewinnen, dat de sine Partie höll; un as Bräsig un Schulz in den Saal kemen, indem dat sei Kurzen nah Hus schüchert had den, rep de Presendent: »Herr Pomuchelskopp hat das Wort.« – Langsam drängte sick Pomuchelskopp dörch de Reihn, drückte Discher Thielen unnerwegs de Hand, slog Snider Wimmersdörpen up de Schuller un red'te en poor fründliche Würd' mit den Witzenmaker von Schaustergesellen. – As hei sick in de Tunn rinnerbängt hadd, fung hei an: »Meine Herren!« – Na, dat makt ümmer en groten Indruck, wenn en blagen Liwrock mit blanke Knöp einen Daglöhner-Kittel un einen flickten Handwarks-Rock mit »Herren!« anred't, un't gung ok glik en Murmeln dörch den Saal: »De Mann hett recht!« – »Hei weit, wat uns taukümmt.« – »Meine Herren!« säd Pomuchel nochmal, as sick dat Murmeln leggt hadd, »ich bün kein Redner, ich bün ein einfacher Landmann; ich habe hier bessere Redner gehört« – un hei makte den Rekter un Jehann »Meinswegens« un Snider Wimmersdörpen en Diener, ok Fritz Siewert kreg en halben wegen dat Schossehgeld –, »ich habe auch schlechtere gehört« – un hei kek nah de Dör, wo Kurz rute bröcht was –, »aber meine Herren! Nicht die Reden haben mich zu Ihnen gezogen, sondern die Gesinnung, die ich hier finde.« – »Bravo, bravo!« – »Meine Herren! Ich bün ganz for Freiheit, ganz for Gleichheit, ganz for Brüderlichkeit! Ich danke Ihnen, daß Sie mich in diesem edelen Vereine aufgenommen haben.« –[567] Hir treckte hei en wittes Taschendauk ut de Tasch un läd dat bi sick hen. »Meine Herren, Sie sprechen hier über die Armut. Manche stille Stunde habe ich damit hingebracht, darüber nachzudenken, manche schlaflose Nacht habe ich mich abgemüht mit der Frage, wie diesem Übel zu steuern wäre« – hir wischte hei sick mit den Taschendauk den Sweit af, wohrschinlich, üm tau wisen, wo sur em de Sak worden was –, »das heißt, meine Herren, wegen der Armut in den kleinen Städten, denn unsere Tagelöhner auf dem Lande, die kennen keine Armut.« – »So?« rep dunn 'ne Stimm von achter her, »Krischan, nu is't Tid, nu red'!« – »Unsere Tagelöhner«, säd Pomuchelskopp wider un let sick nich stüren, obschonst hei de Stimm gaud naug kennen ded, »erhalten: freie Wohnung mit einem Garten, freie Weide für eine Kuh, Heu und Stroh dafür, Holz und Torf und Kartoffel- und Leinland, soviel sie gebrauchen, umschichtig für die Woche einen Scheffel Gerste, einen Scheffel Roggen oder einen Taler, und denn all das Dröscherkorn, und die Hausfrauen können sich noch täglich fünf Schilling verdienen. – Nun frage ich Sie, meine Herren, steht sich ein Tagelöhner in der Stadt so gut? Kann ein Tagelöhner überall mehr verlangen?« – »Ne! ne!« repen de städtschen Daglöhners. – »Mine Herrn!« rep de Timmergesell Stöffe Rutschow, »ick bün Timmergesell un krig den Sommer äwer nägen Gröschen, un einen Gröschen möt ick noch an den Meister gewen; ick wull jo leiwer Daglöhner bi Herr Pomuchelskoppen sin!« – »Swinegel!« rep de Zimmerling Schulz, »büst du desen ganzen Frühjohr all up Arbeit kamen? Du driwwst di rümmer.« – »Ruhig! ruhig!« rep dat. – »Meine Herren!« red'te Pomuchel wider, »sehn Sie, so sünd unsere Taglöhner gestellt, und denn die Behandlung! – Jeder Tagelöhner kann zu jeder Zeit kündigen und sich eine andere Stelle suchen; ist das nicht aller Ehren wert? Ist das nicht genug?« – »Krischan, nu red' du, nu is't Tid!« rep dat wedder von achter her. – »Meine Herren!« rep Pomuchelskopp nu noch taum Sluß, »wegen der Gesinnung und grade wegen der Armut in den kleinen Städten bin ich diesem[568] edelen Vereine beigetreten, und Sie sollen sehen – ich bin kein reicher Mann –, aber was ich tun kann, soll getan werden. – Und nun, meine Herren, fordere ich Sie noch zum gegenseitigen Schutz auf; wenn Stadt und Land treu zusammenhalten, dann wird Ordnung sein, und wir werden alles in friedlicher Weise In diesem schönen Reformverein abmachen und einrichten können. – Es lebe der Rahnstädter Reformverein!« – »Hurrah! – Hoch! – Vivat, hoch!« rep dat nu ut allen Ecken un Kanten. – »De Herr Pomuchelskopp sall leben!« repen weck dormang, un Muchel gung mit Dienern un mit sine fründlichsten Mienen nah sinen Platz.

As hei sich ümdreihte, was sin Platz up de Rednerbühn all wedder beset't, un Zacharias Bräsigen sin rodes Gesicht lücht'te em von dor entgegen, nich in Freden as Sünn un Mahn, ne, as 'ne Füerkugel, de uns' Herrgott taum Teiken von sin Strafgericht up de Welt loslett. – »Mitbürger!« rep hei un makte sin Mitbörgers en Gesicht tau, as hadd hei all twei von ehr vermorrntau taum Frühstück vertehrt un wull sick nu noch einen recht fetten taum Abendbrod utsäuken. »Mitbürger! Wenn der Herr Zamwell Pomuchelskopp ruhig auf seinen Meß in Gürlitz sitzen geblieben wäre, ich hätt nichts nich sagt; wenn er mir nicht hier in diesem Saale geduzt hätte und hätte nicht an diesem erhabenen Vaterlandsorte« – hir slog hei up dat Käuhlfatt – »ausgestunkene Lügen in Vortrag gebracht, ich hätte auch nichts nich sagt.« – »Dat hürt hir gor nich her!« rep Snider Wimmersdörp, »dat is blotes Gedrähn!« – »Ruhig! – Hei kann so gaud reden as jeder anner.« – »Herr Sneider Wimmersdörp«, red'te Bräsig wider, »wenn Sie meine Rede for Gedrähn estimieren, denn können Sie sich vor meinentwegen die Ohren zuhalten, denn Sie sind mich zu dumm! Und nu können Sie hingehn und mich verklagen; ich bün der Entspekter Bräsig!« – »Hei hett recht! – Fortfahren!« rep dat. – »Mitbürger, ich hätte nichts nich sagt, denn ich halte es for eine Unpäßlichkeit für jeden Ökonomiker und andern Menschen, wenn er die Tagelöhner gegen den Herrn aufhitzt; aber wenn sich einer« – »en GroßMogul!«[569] rep de Zimmerling Schulz dormang – »auf diesem Altare der Brüderlichkeit aufstellt, daß er die hiesige Reform mit Lügen unter die Augen gehen und sich weiß brennen und 'ne falsche Einbildung von das Glück seiner Tagelöhner in Ümswang setzen will, denn will ich auch mal reden. – Mitbürger! Mein Nam is Entspekter Zacharias Bräsig!« – »Bravo! bravo!« – »Der Herr Zamwell Pomuchelskopp hat euch gesagt, daß auf dem Lande keine Armut zu finden sein täte, indem daß er alle Elemente aufregaliert hat, die der Tagelöhner eigentlich haben soll – bonus! wie unser geehrte Herr Presendent Rein sagt –, aber, Mitbürger, mit die Tagelöhner-Elemente ist es grademang so as mit Rindfleisch un Plummen: sie smecken sehr gut, aber wir kriegen sie man nich. – Zum Exempel und bloß so präter propter, mit die Wohnung! – Gleich rechtschen in Gürlitz steht 'ne Art von Sweinstall, was 'ne Wohnung bedeuten soll, da wohnt Willgaus drin – is Willgaus hier?« – Willgaus was nich hir. –»Schad't ihm auch nich. Das Dach is sörre drei Jahr nicht dicht macht, und oben läuft der Regen piplings hinein, und wenn en ordentlichen Gewitterregen kommt, denn läuft den Mann die Stub' voll, daß seine kleinen Würmer, wildeß er mit der Frau in den Aust ist, als die Poggen darin herumasen, und als er sich darüber beswerte, sagte der Herr Pomuchelskopp: er hieße ja Willgaus und för Gäus' wäre das Wasser ja angenehm.« – »Pfui! pfui! – Dat hadd hei nich seggen müßt!« – »Und nun mit die freie Weide und das Heu für die Kuh! Wo is denn die Weide! 'ne halbe Meile von dem Dorf, auf dem Außenacker, wo nichts nich as Bucksbort waßt, und in die Dannen, und da sollen die Hausfrauens dreimal auf den Tag zum Milchen hingehn? – Na, drei haben's man noch nötig, denn achtzehn Tagelöhner von die einundzwanzig haben ihre Kühe an Rüggblaud un Rodwater, und was weiß ich, verloren und haben keine mehr; und die drei, die noch da sünd, sind wohre Danzmeisters.« – »De Kirl is en Groß-Mogul!!« rep de Zimmerling achter em, »rut! rut!« – »Ruhig! ruhig! wider reden laten.« – »Ja, Mitbürger, ich will weiter[570] reden. – Mit das Holz und den Torf! – Der Torf is Muschtorf aus dem Bruch un grus't ausenander und hat keine Hitz, und das Holz sünd Dannenquäst un Sammelholz, was die Kinder auf dem Puckel nach Hause tragen müssen; und dann das Kartoffel- und Leinland! – Wo ist's? – Im Außenacker, auf dem abtragen Slag. – Wer mist't's? – Der Vogel mist't's, und wenn einer denn im Herbst das bischen Kartoffeln sieht, slägt er die Hän'n über'n Kopp zusammen und sagt: Gott, du bewohre! Davon soll die Fomilie und das Swein den Winter von leben! Aber sie leben nicht davon, denn sie stehlen. Bei den Herrn Pomuchelskopp stehlen sie nich, denn das würd' sie slecht bekommen, sie stehlen in der Nachbarschaft, und was 'ne Freundin von mir ist, die Madame Nüßlern, hat Ordre ausgegeben, so drad ein Gürlitzer Daglöhner bei ihre Kartoffelmieten attrapiert würd, sollt' man ihn laufen lassen, denn er tät's aus Not, und es wär' ein Jammer!« – »Fru Nüßlern hoch!« rep Jehann Bank. – »Hoch!« rep dat, »un noch einmal hoch!« – »Und nu das Lein!« red'te Bräsig wider, »so lang!« un wis'te en Faut lang an sinen Arm, »daß schon selbst der Herr Notorjus Slus'uhr, was doch ein namentlicher Freund von den Herrn Pomuchelskopp sein will, in meiner Gegenwart den slechten Witz gemacht hat: derowegen trügen die Frauensleut in Gürlitz so kurze Hemden, indem daß das kurze Lein zu lange Hemden nich reckte.« – »Dat is en entfamten Swinegel«, rep de Zimmerling, »wenn hei äwer de Not noch sine Galoschen maken will. – Rut! rut!« – »Mitbürger!« fot Bräsig up't Frisch nah, »ich will man sagen: die Wohnung, die Kuhweide und das Holz und Torf und das Kartoffel- und Leinland, das sünd for den Tagelöhner auf dem Lande sein Rindfleisch un Plummen; sie smecken sehr gut, aber sie kriegen's man nich, und daher stammt sich die Armut auf dem Lande. – Aber woher stammt sie sich in der Stadt? – Mitbürger, ich will's euch sagen, denn ich wohn hier schon lange genug in der Stadt und regardier' die Menschheit: die große Armut in der Stadt kommt von der großen Powerteh her!« Dormit makte hei en Diener un namm sinen[571] Aftritt, un »Bravo!« gung dat dörch den Saal. – »De Mann hett recht!« – »Herr Entspekter Bräsig sall lewen!« – Un de Presendent Rein slot de Versammlung, indem hei säd: nah so'ne Red' würd woll keiner mihr uptreden willen; un nu kamm denn allens up Bräsigen tau un gratuliert em, un alltausamen schüddelten sei em de Hän'n, bet up Pomuchelskoppen un den Stadtmuskanten David Berger; de ein hadd sick still wegsleken, un de anner was nah Hus lopen, dat hei sin Muskantengesellen tausam trummeln wull, un as Bräsig bi Grammelinen ut de Dör treden ded, stunnen säben Blas'-instrumenten vör em in en Halfkreis un prust'ten em mit »Heil Dir im Siegerkranz!« in de Ogen, un David Berger hadd sick de Brill upset't un slog mit Grammelinen sinen Billardköh den Takt dortau, dat Unkel Bräsig sick vör Släg wohren müßt. Äwer de Gürlitzer Daglöhners stunnen in en Drümpel üm em rüm, un Wewer Rührdanz säd: »Fürchten S' sick nich, Herr Entspekter, Sei hewwen uns bistahn, wi stahn Sei wedder bi.« Un as nu mit Bräsigen en fierlichen Ümtog äwer den Mark un dörch alle mäglichen Rahnstädter Straten hollen würd, gung dese quälte un verkamene Ort in Tru un Ihrborkeit neben em, denn't was jo dat irste Mal, dat de Welt sick üm ehre Not un ehren Jammer kümmern ded, un dat Gefäuhl, dat einer nich ganz verlaten is, stickt dat Gaude in de Minschenseel lichter an as alle Vermahnung.

Vör Fru Pastern ehren Hus' höll Bräsig noch 'ne korte Ansprak an sin Ihrengeleit un säd, dat hei sei hir hüt abend rinne nödigen ded, paßte sick nich, denn dit wir en geistliches Hus, indem dat hei bi de Fru Pastern in wahnte; äwer tau äwermorgen abend bed hei de Gesellschaft nah Grammelinen up 'ne Bowl Punsch. Dat nemen nu ok alle mit en Hurrah! an, un as Bräsig tau Bedd lagg un sinen Korl de Sak vertellen wull, sung de Rahnstädter Gesangverein buten: »Hohe Lorbeern stehen, wo der Krieger schläft«, un up den Weg nah Gürlitz gungen in irnsthaftige Rauh de Gürlitzer Daglöhners, un Wewer Rührdanz säd: »Kinnings, folgt mi![572] Los will'n wi em woll warden; äwer nich mit Gewalt, ne! in alle Glimplichkeit, denn wat würd woll de Großherzog un de Herr Entspekter Bräsig seggen, wenn wi uns tau'n Dank för sin Red' as de Swinegels bedragen wullen?«

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 5, Rostock 1967, S. 555-573.
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