Kapittel 18

[274] Handelt von nicks as von Leiwsgeschichten un set't bilöpig Bräsigen in den würdigen Glanz as Horker, Dugendwächter un Schutzengel von heimliche Leiw' in en rhinschen Kirschenbom.


As dat Middageten vörbi was, frog Mining, an de hüt de Reih was, ehr Mutting bi't Afdragen, Stuwenutfegen un Koffemaken tau helpen: »Lining, wo geihst du hen?« – »Ick will mi man min Neihtüg halen«, säd Lining, »denn gah ick in de Lauw'.« – »Na, ick kam ok bald«, säd Mining. – »Und ich komme auch«, säd Gottlieb langsam, »ich habe ein Buch, das muß ich heute noch auslesen.« – »Das 's recht«, säd Bräsig, »das wird 'ne hellsche Unterhaltung for Lining sein.« – Gottlieb wull em irst all 'ne lütte Predigt äwer den Mißbruk von dat Wurd »höllisch« hollen, begrep sick äwer noch, indem hei bedachte, dat dat woll bi Bräsigen ganz vergews wir, säd also nicks un gung mit de beiden Lütten ut de Stuw'. – »Herre Gott«, rep Fru Nüßlern, »wat heit dat mit min Kinner? Dor ward ick nich dull un klauk ut: nu sünd sei wedder ein Hart un ein Seel?« – »Still, Madam Nüßlern!« säd Bräsig, »heut krieg ich's raus. Jochen, komm mal mit mich; aber daß du gor[274] nich redst!« – Jochen folgt em nah den Goren, Bräsig kreg em unner den Arm: »Sweig ganz still, Jochen, un sieh dich nich um, un tu so, as wenn du mit mich 'ne Promenade nach's Essen machst.« Jochen ded dat ok mit vel Geschick. As sei an den Kirschbom vör de Lauw' kemen, stunn Bräsig still: »So, Jochen, nu mach dir mal krumm – mit den Kopp gegen den Baum.« – Jochen wull wat seggen, äwer Bräsig drückte em den Kopp dal: »Sweig still, Jochen – mit den Kopp gegen den Baum«; un dormit klatterte hei up Jochen sinen Puckel, »so, nu richt dich in der Höhe. – Wahrhaftig, es langt grad« – un kreg den ündelsten Telgen tau faten un haspelt sick in den Bom rin. Noch hadd Jochen nicks seggt, nu brok't äwer bi em ut: »Bräsig, sei sünd jo noch nich rip.« – »Schafskopp!« rep Bräsig un kek mit sin rod Gesicht mang de gräunen Bläder rute, as wenn 'ne Zierkörbs in den Bom rankt wir, »meinst du, ich will um Jehanni aus rhinsche Kirschen plücken? Nu mach, daß du fortkommst, un steh hier nich vor den Baum as en Hund, wenn 'ne Katt in den Bom hüppt is.« – »Je, wat sall einer dorbi dauhn«, säd Jochen un äwerlet Bräsigen sinen Schicksal.

Lang' süll Bräsig nich luren, dunn hürte hei einen lichten, bedräplichen Schritt äwer den Sand knirren, un Lining set'te sick in de Lauw' mit en groten Hümpel Neihtüg, un wenn sei dit all hadd hüt farig neigen wullt, denn hadd sei förfötsch anfangen müßt; so äwer läd sei dat up den Disch, läd den Kopp in de Hand, kek in de blage Luft an Bräsigen sinen Kirschenbom vörbi un satt in deipen Gedanken. »Ach, wat bün ick doch glücklich!« säd ehre lütte, dankbore Seel, »dat mi Mining wedder gaud is, un Gottlieb is mi ok gaud, worüm peddt' hei mi süs ümmer hüt middag up den Faut? Un wat kek uns Bräsig ümmer so scharp an? Ich glöw, ick bün ganz rod worden. Ach, un wat is Gottlieb doch för en gauden Minschen! Wo irnsthaft un gelihrt kann hei reden, wo gesetzt is hei, den is de Preister so recht utdrücklich up dat Gesicht schrewen. Sihr schön is hei nich, Rudolfen lett dat eigentlich beter; äwer hei hett so wat Besonders an sick, as wenn hei[275] ümmer säd: bliwt mi mit jugen erbärmlichen, jämmerlichen Kram von den Liw', ick heww högere Gedanken, ick bün geistlich. De Hor snid ick em nahsten hinnenwarts af.« – Dat is 'ne schöne Inrichtung in de Welt, dat de lütten Mätens nich all up de butwennige Schönheit seihn, süs wiren wi Häßlichen all as Junggesellen äwrig blewen, un 'ne saubere Kumpanie wir't worden, denn wat kann woll häßlicher sin as en ollen, häßlichen Junggesellen. – In Lining ehren Slußgedanken, sei wull Gottlieben de Hor afsniden, lagg so 'ne sekere Hoffnung, dat sei doräwer rod würd, un as sei den Sand unner langsame, würdige Tritten knirren hürte, grep sei nah dat Neihgeschirr un stek dor gruglich in rümmer.

Gottlieb kamm mit sin Bauk un set'te sick drei Schritt von ehr un les', kek äwer männigmal äwer dat Bauk weg, as wenn hei sick dat, wat hei lesen hadd, oder ok wat anners äwerläd. – Mit de Petisten-Kannedaten is dat nu äwer so, d.h., wenn sei ehren richtigen Schick hewwen un ok sülwst doran glöwen, wat sei de Lüd' vörreden: vör den Examen hewwen sei nicks as geistliche Gedanken, äwer nah den Examen, denn krigen de weltlichen ehr Recht, un anstatt glik an 'ne Parr tau denken, denken sei irst an 'ne Quarr. Gottlieben gung dat nu ebenso, un wil nah den Examen em kein anner Mätens in den Worp kamen wiren as Lining un Mining un Lining vel beter up sine geistlichen Vermahnungen hürt hadd as ehre widlüftige Swester, was hei up den weltlichen Gedanken kamen, sei tau 'ne Pasterfru tau maken. Hei was up dese Saken äwer nich recht geläufig, stümperte dorin in grote Verlegenheit rümmer un hadd't noch nich wider bröcht as bet taum Fautpedden, wobi hei sick eigentlich noch ümmer mihr verfiren ded, wenn hei peddte, as Lining, wenn sei den Tritt kreg.

Hüt hadd hei äwer beslaten, de Sak richtig antaufaten, hei säd also: »Lining, dies Buch habe ich eigentlich nur um deinetwillen mitgebracht. Willst du mal zuhören?« – »Ja«, säd Lining. – »Das wird 'ne langwierige Geschicht«, säd Bräsig för sick, de dor baben in de Kirschentelgen grad nich up Rosen lagg. Gott lieb las ehr nu 'ne gatliche Predigt äwer de[276] christliche Eh' vör, woans sei ingahn warden un woans sei getacht sin müßt; un as hei dormit farig was, rückte hei en Schritt neger un frog: »Was sagst du dazu, Lining?« – »Es ist gewiß sehr schön«, säd Lining. – »Das Heiraten?« frog Gottlieb. – »Oh, Gottlieb!« säd Lining un bückte sick deiper up ehr Neihtüg dal. – »Nein, Lining«, säd Gottlieb un rückte wedder en Schritt neger, »es ist nicht schön. Gott segne dich dafür, daß du diesen wichtigen Akt des menschlichen Lebens nicht leichtsinnig aufgefaßt hast. Es ist schrecklich schwer, d.h. im christlichen Sinne«, un nu gaww hei 'ne grugliche Schilderung von de sworen Pflichten un de Mäuhen un Sorgen in de Eh', as müßt hei Lining up't Tuchthus vörbereiten, dat Bräsig in den Kirschbom sick krüzte un segente, dat hei nich in so 'ne grugliche Lag' kamen wir. »Ja«, säd hei, »Lining, die Ehe ist ein Teil des Fluches, mit dem Gott unsere Voreltern aus dem Paradiese trieb«, un langte nah de Bibel un las dat lütte Gör dat drütte Kapittel, irste Bauk Mosis vör, dat Lining an den ganzen Liw' dat Bewern kreg un nich wüßt, wo sei vör Angst un Schimp bliwen süll. »Entfamter Jesuwiter!« rep Bräsig halwlud in sinen Bom, »was bringst du mich das unschüllige Kind in so 'ne Schanierung!« un wir binah ut den Bom sprungen, un Lining wir binah weglopen, wenn't nich de Bibel west wir, ut de hei vörlesen hadd, denn wat dor instunn, kunn doch man gaud sin; sei höll sick de Hän'n vör de Ogen un weinte bitterlich. Hei was nu äwer ganz in den geistlichen Iwer rinne geraden un hadd dorbi den Arm üm ehr slagen un rep: »Ich schone dich nicht in dieser feierlichen Stunde! Caroline Nüßler, willst du unter diesen christlichen Bedingungen mein christliches Eheweib werden?« – Ach, un Lining was in so 'ne gräßliche Verbisterung, dat sei nich reden un nich denken kunn, blot weinen un ümmer weinen.

Dunn schallte den Gorenstig entlang so'n lustigen Gesang:


Fischlein im Silberbach

Schwimmet dem andern nach;[277]

Fischlein so grau

Sucht eine Frau.


Un Lining namm ehre letzte Kraft tausam un stört'te trotz Bibel un christliche Bedingungen ut de Lauw' an Mining vörbi, de nu ok mit ehr Neihtüg kämm; un achter Lining her stakte Gottlieb mit lange, langsame Schritten, un sin Gesicht sach so verdutzt ut as jennen Preister sin, den de Köster bi sine lange Predigt den Kirchdörenslätel up de Kanzel läd mit de Würd', wenn hei farig wir, süll hei man sülwst tausluten, denn hei müßt nu ok taum Middageten. Un verdutzt müßt hei woll utseihn, denn hei hadd't, as jenne Preister, recht schön maken wullt, un nu stunn sin Kirch leddig.

Mining was noch en lüttes unbedarwtes Kind, denn sei was jo de Jüngst, äwer so pfiffig was sei doch all, dat sei insach, hir wir wat passiert, un dat sei sick frog, wat sei woll nich ok rohren ded, wenn ehr so wat passieren süll, un wat Trösten denn grad nödig ded. Sei set'te sick also ruhig in de Lauw' dal, wickelte ehr Neihtüg utenanner un fung in Anbetracht von ehre eigenen unbestimmten Ümstän'n en beten tau süfzen an, indem sei süs ok nich wider recht wat Besonders tau dauhn wüßt. – »Gott soll mir bewohren!« säd Bräsig in den Bom, »nu setzt sich das Kropzeug auch noch dahin, un ich kann meine Knochen nich mehr fühlen, un die Sach wird mich langweilig.« Äwer so langwilig süll de Sak nich bliwen, denn kort nahdem sick Mining dal set't hadd, bögt um de Eck von de Lauw' en jungen, smucken Kirl mit en Angelschacht up den Nacken un en Fischbüdel üm den Hals. »Das ist schön, Mining«, rep hei, »daß ich dich hier treffe. Ihr habt gewiß schon lange gegessen?« – »Das kannst du dir wohl denken, Rudolf«, antwurt'te sei, »die Uhr ist ja gleich zwei.« – »Nun, denn wird Tante gewiß wieder recht böse auf mich sein.« – »Oh, darüber beruhige dich nur, das ist sie doch auch ohne Ausbleiben beim Mittagessen, ich fürchte aber, am meisten böse wird dein eigner Magen sein, denn für den hast du heute schlecht gesorgt.« – »Desto besser für den eurigen zu heute[278] abend. Ich konnte nicht früher kommen, es ging nicht, der Fisch biß zu schön. Ich bin heute nach dem schwarzen Soll gewesen, das will Bräsig immer nicht, und nun weiß ich auch warum, das ist seine Speisekammer, wenn er sonst nichts fangen kann; das ganze Loch steckt voll Schleien, sieh mal! sieh mal, was für prächtige Kerle!«, un dorbi makte hei sinen Fischbüdel up un wis'te sinen Schatz. »Diesmal habe ich den alten Bräsig tüchtig angeführt.« – »Entfamter Kujon!« rep Bräsig för sick in den Bom, un sine Näs' kämm tüschen de Kirschenbläder taum Vörschin as 'ne staatsche Soltgurk, de Fru Nüßlern för den Winter in des' Kirschenbläder intaumaken plegt. »Entfamter Kujon! is er mich doch mang meine Sli gekommen! Daß du die Nas' ins Gesicht behältst! Was hat der Bengel for Fisch gefangen!« – »Gib her, Rudolf«, säd Mining, »ich will sie hineintragen und will dir etwas zu essen holen.« – »Oh, ne! ne! Das laß nur.« – »Ih, du kannst ja doch nicht hungern.« – »Na, denn ... denn nur zu, Mining. Ein paar Butterbröde, Mining!« – Mining gung, un Rudolf set'te sick in de Lauw'. – »Das weiß der Deuwel!« säd Bräsig un treckte sachten mit de Beinen in de Telgen rümmer, üm sick en Flag an sinen Liw' uttausäuken, wo hei sick noch nich mör seten hadd, »nu set't sich das Undirt hir in die Lauw', sie liken hir orndtlich.«

Rudolf satt in deipen Gedanken up de Bänk, wat süs sin Sak gor nich was. Hei hadd in sinen Wesen en beten wat Glikgültiges, as let hei 'ne Sak irst orndtlich an sick kamen, wir äwer denn, wenn sei em an't Mager kamm, gor nich ful, sei von sick aftauschuppen. Un dat Tüg dortau hadd hei woll, denn hei was en ranken un doch dorbi stempligen Burßen, un mang all de Schelmenstücken in de brunen Ogen kek en Stück eigenwilligen Trotz rute, tau den de fine Smarr äwer de brune Back ganz gaud stimmte un so biher dorvon Nahricht gaww, dat hei sine Tid nich blot mit Dogmatik henbröcht hadd. »Ja«, säd hei, as hei so set, »tau einen Lock möt de Voß rut! – Ich heww mi nu lang' naug dormit rümme dragen, un't hadd jo ok noch ümmer Tid, 't was jo ok so wid[279] noch ümmer ganz nett hir, äwer hüt möten twei Ding' taum Sluß kamen. Hüt kümmt de Oll; man schön, dat Mutting nich mit kümmt, süs hadd 'ck am En'n de Kurage nich. Ick paß taum Preister as de Esel taum Zitterspelen un Gottlieb taum Kürassierobersten. Wenn Bräsig man hüt hir wir, de stünn mi sacht bi. – Ach Gott, äwer mit Mining! Wenn 'ck de man irst wedder gaud hadd.« Dunn kamm Mining mit en Teller vull Botterbrod. – Rudolf sprung up: »Mining, wat büst du för 'ne lütte gaude Dirn!« un slog den Arm üm ehr. – Mining makte sick von em los: »Ach, laß! laß! Was hast du für Unheil angestiftet. Mutter ist gar zu böse auf dich.« – »Du meinst wegen der Predigt? Nu, ja! Es war ein dummer Streich.« – »Nein«, säd Mining iwrig, »das war ein schlechter Streich. Du hast das Heiligste damit verspottet.« – »Oh, oh! So heilig sind solche Kandidaten-Predigten nicht! und wenn sie auch von unserm frommen Gottlieb kämen.« – »Aber, Rudolf, in der Kirche!« – »Ach, Mining, ich sage dir ja, es ist ein dummer Streich von mir gewesen, ich habe mir die Sache nicht gehörig überlegt; ich dachte bloß an das schafsdämliche Gesicht, was Gottlieb machen würde, und das kitzelte mich so, daß ich die Tollheit beging. Nu lat't äwer ok sin, Mining!«, un hei slog wedder den Arm üm ehr. – »Nein, laß!« säd Mining, led't äwer. »Und der Paster hat gesagt, wenn er's anzeigte, du kriegtest in deinem Leben keine Pfarre.« – »Dann soll er's nur anzeigen, dann wäre ich mit einem Male aus der Dinte raus.« – »Was?« frog Mining un makte sick von em los un schow em en En'nlang af, »das sagst du im Ernst?« – »In vollem Ernst. Dies ist das erste und das letzte Mal, an welchem ich die Kanzel betreten habe.« – »Rudolf!« rep Mining ganz verstutzt. – »Ach, was soll das Quälen!« rep Rudolf hastig. »Sieh Gottlieb an, sieh mich an! Pass' ich mich zum Pastor? Und wenn ich die ganze Theologie im Leibe hätte, daß ich den gelehrtesten Professoren davon noch etwas in den Trog schütten könnte, sie ließen mich doch nicht durchs Examen, sie verlangen bloß, daß man ihre sogenannte fromme Gesinnung wiederkäuen soll. Und[280] wäre ich der Apostel Paulus selber, sie ließen mich durchfallen, wenn sie den kleinen Schmiß auf meiner Backe gewahr würden.« – »Aber was willst du denn?« frog Mining un läd em hastig de Hand up den Arm. »Ach, werd nur kein Soldat!« – »Oh, bewahre! Denk nich dran! Nein, Landmann will ich werden!« – »Ein verfluchter Bengel!« säd Bräsig in den Bom. – »Ne, min lüttes, leiwes Mining«, säd Rudolf un treckte Mining bi sick up de Bänk dal, »en Landmann will ick warden, en rechten flitigen, düchtigen Landmann, un du, min oll lütt, leiw Mining, du sallst mit dortau verhelpen.« – »Sie soll ihm woll haken un eggen lernen«, säd Bräsig. – »Ich, Rudolf?« frog Mining. – »Ja, du min leiwes, säutes Kind«, un hei strakte ehr äwer de glatten Hor un de weiken Backen un böhrte ehr dat Kinn in de Höh un kek ehr vull in de blagen Ogen, »wenn ick mit Gewißheit weit, dat du äwer Johr un Dag mine lütte Fru warden willst, denn ward mi dat so licht warden, en düchtigen Landmann ut mi tau maken. – Willst du, Mining, willst du?« Un ut Mining ehre Ogen floten de Tranen, un Rudolf küßte sei ehr af, hir un dor, ümmer de Backen dal bet up den roden Mund, un Mining läd ehren lütten runnen Kopp an sine Bost, un as hei ehr Tid taum Reden gaww, flusterte sei sachten, sei wull, un hei küßte sei wedder un küßte sei ümmer wedder, un Bräsig rep halwlud ut den Bom: »Das halt aber der Deuwel aus! Macht fixing zu!« – Un Rudolf set'te ehr dat nu bi dat Küssen utenanner, dat hei hüt mit sinen Vader reden wull, un säd ok bi Weg' lang, 't wir schad', dat Bräsig nich tau Städ' wir, de künn em schön bi sinen Vörnemen helpen, un hei wüßt gewiß, dat de Oll wat von em hollen ded. – »Verfluchter Bengel!« säd Bräsig, »fängt mich die Sli weg!« – Un Mining säd: Bräsig wir jo hir un höll woll man sine Nahmiddagsrauh. – »Nu seh mal einer das Kropzeug an!« säd Bräsig, »dies soll 'ne Nachmittagsruh sein! – Aber nu ist ja allens fertig. Was soll ich meine Knochen noch länger abstrapzieren?« Un as Rudolf nu säd, hei müggt woll den Ollen vörher noch spreken, dunn schurrte Bräsig den Kirschbom dal, dat sick sine Hosen bet[281] an de Knei tau Höchten ströpten, un bammelte an den ündelsten Telgen un rep: »Hier hängt er!« – Bums! let hei sick fallen un stunn nu dicht vör dat Leiwspoor mit en Utdruck in sin sweitig Gesicht, de ganz apenbor säd, ok in de allerdelekatsten Saken höll hei sick tau'n Richter beraupen. De beiden jungen Lüd' verfirten sick denn ok nich slicht. Mining höll sick gradso as Lining de Händ' vör de Ogen, blot dat sei nich rohren ded, un wir ok woll gradso as Lining weglopen, wenn sei nich von lütt up an mit ehren Unkel Bräsig up den vertrutsten Faut stahn hadd. Sei smet sick also mit verdeckte Ogen an Unkel Bräsigen sine Bost un krop mit ehren lütten, runnen Kopp vör luter Schimp binah in sine Westentasch un rep: »Onkel Bräsig! Onkel Bräsig! Du bist ein alter, abscheulicher Kerl!« – »So?« frog Bräsig. »Ih, das is jo recht nett.« – »Ja«, säd Rudolf en beten sihr von baben dal, »Sie sollten sich schämen, hier den Horcher zu spielen.« – »Musche Nüdling!« säd Bräsig, »ich will Sie man ein for allemal was sagen: von Schämen is bei mich meindag' nich die Red', un wenn Sie glauben, daß Sie mich mit Vornehmigkeit importieren wollen, denn sitzen Sie sehr in Bisternis.« – Dat müggt nu ok woll Rudolf inseihn, un wenn hei süs ok en lütten dägten Strid nich schugen ded, so was em doch so vel klor, dat hei in desen Fall üm Mining ehren Willen nahgewen müßt. Hei säd also en beten sachtmäudiger, wenn Bräsig dor ut en Taufall – dat wull hei mal annemen – in den Bom geraden wir, denn hadd hei doch anständiger Wis' dörch Hausten oder so sick kundbor maken müßt, staats ehre Angelegenheiten von A bet Z mit antauhüren. – »So?« säd Bräsig, »hausten sollt ich auch noch? Stähnt hab' ich naug, un wenn Sie's in die Angelegenheiten nich so hild gehabt hätten, denn hätten Sie's woll hören können. Aber Sie sollten sich schämen, daß Sie sich hier ohne Erlaubnis von Madam Nüßlern in Mining verlieben.« – Dat wir sin Sak, säd Rudolf, un dat kümmerte keinen, un Bräsig kennte dat nich. – »So?« frog Bräsig wedder. »Haben Sie mal drei Brauten mit einmal gehabt? Das hab' ich, Herr; un ganz apenbore[282] Brauten waren das, un denn nich kennen? Abersten Sie sünd so'n ollen Heimlichen, fischen mich da heimlich meine Sli aus das swarze Soll un fischen mich vor meine sichtbaren Augen hier lütt Mining aus der Laube? – Na, laß man sin, Mining: er soll dich nichts nich tun.« – »Ach, Onkel Bräsig«, bed Mining so kurlos, »hilf uns, wir haben uns beide doch so lieb.« – »Ja, laß man, Mining, du büst mein lütt Pät; das geht allens wieder vorüber.« – »Nein, Herr Inspektor!« rep Rudolf un läd den Ollen de Hand up de Schuller, »nein, lieber, guter Onkel Bräsig, das geht nicht vorüber; das soll aushalten bis ans Lebensende. Ich will Landmann werden, und wenn ich die Aussicht habe, Mining einmal mein zu nennen, und« – set'te hei hentau, denn so pfiffig was hei – »und Sie mir guten Rat geben, denn müßt's mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht ein tüchtiger würde.« – »Ein verfluchter Bengel!« säd Bräsig tau sick un set'te lud hentau: »Ja, so'n lateinischen wolln Sie werden, as Pistorius un Praetorius un Trebonius, un wollen sich auf die Grabenburt setzen un in den Kerl mit den langen Titel sein Buch von den sauren Stoff un den Stinkstoff lesen un von Organismussen, wildeß die ßackermentschen Hawjungens achter Ihren Rüggen Meß streuen un Klümp hinsmeißen as en Hauttöppel groß. Oh, ich kenne euch! Einen einzigsten hab ich man gekannt, der auf die großen Schulen gewesen ist und aus dem was geworden ist; das war der junge Herr von Rambow bei Hawermannen.« – »Ach, Onkel Bräsig«, säd Mining un kamm allmählich mit den Kopp tau Höcht un strakte den Ollen äwer de Backen, »was Franz kann, kann ja Rudolf doch auch.« – »Nein, Mining, das kann er nich! Un warum? – Weil er ein Windhund is un der andere ein positiver Mensch!« – »Onkel Bräsig«, säd Rudolf, »Sie meinen vielleicht wegen des dummen Streichs mit der Predigt, den ich gemacht habe; aber Gottlieb hat mich hier zu sehr gequält mit seinem Bekehrungseifer, ich mußte ihm mal einen kleinen Possen wieder spielen.« – »Haha!« lachte Bräsig, »ne, dorüm nich, das hat mich Spaß gemacht, hat mich viel Spaß gemacht. Also hat Sie auch[283] bekehren wollen, vielleicht auch von's Angeln? Oh, der hat hier heut nachmittag auch schon was bekehren wollen, aber Lining is ihm weggelaufen; aber in Richtigkeit is's doch auch.« – »Mit Lining un Gottlieb?« frog Mining ganz ängstlich, »und das hast du auch mit angehört?« – »Natürlichemang habe ich das gehört, denn um ihrentwegen habe ich ja in den ßackermentschen Kirschbom gesessen. – Aber nu kom men Sie mal her, Musche Rudolf. Wollen Sie all Ihr Lebtage nich wider auf die Kanzel gehen un Predigten machen?« – »Nein, niemals wieder.« – »Wollen Sie des Morrns Klock vier un Klock drei in'n Sommer aufstehn un Futterkorn geben?« – »Zu jeder Stunde.« – »Wollen Sie ordentlich haken un eggen un mähen un binden lernen, d.h. mit en Schrank – mit en Seil is keine Kunst.« – »Ja«, säd Rudolf. – »Wollen Sie meindag' nich bei's Reisenfahren in den Thürkowschen Krug bei den Punsch sitzen bleiben, wenn Ihre Wagen schon fortgefahren sünd, un nachher plängschaß achterher bädeln?« – »Ok dat nich!« säd Rudolf. – »Wollen Sie auch meindag' nich – Mining, süh, da hinten steht so 'ne schöne Lawkoje, die blage mein ich, hol mich die mal, mich riechelt darnach – wollen Sie«, frog hei wider, as Mining weg was, »sich auch meindag' nich mit die ßackermentschen Hofdirns einlassen?« – »Oh, Herr Inspektor, was denken Sie von mir«, säd Rudolf un wendte sick argerlich af. – »Na, na«, säd Bräsig, »jedes Geschäft muß vorher abgemacht werden, un das sag' ich Sie: for jede Tran, die mein lütt Pät um Ihrentwillen vergießt, dreh ich Ihnen einmal das Gnick um«, un makte en Gesicht dortau, as süll't nu all losgahn. – »Ich dank dich auch, Mining«, säd hei, as em de nu de Blaum bröcht, un hei rök doran un stek sei sick nahsten in't Knoplock. »Un nu komm her, Mining, nu will ich dich auch mei nen Segen geben. Ne, auf die Knie fallen brauchst du nich, indem daß ich nich einer von deine natürlichen Eltern bin, man bloß dein Pät. Und Sie, Musche Rudolf, will ich heut nachmittag beistehen, wenn Ihr Vater kommt, daß Sie von die Geistlichkeit loskommen. – Un nu kommt man beide, wir müssen rin gehen.[284] Aber das sag ich Sie, Rudolf, daß Sie mir nich auf der Grabenburt lesen, sondern auf das Meßstreuen passen. Sehn Sie, so is der Griff, so müssen die ßackermentschen Hofjungens die Fork fassen, un denn nich so – baff! – hinsmeißen, nein! sie müssen erst en drei- bis viermal mit die Fork schütteln, daß der Meß vonein kommt. En ordentlich afmeßt Land muß so sauber un fein aussehen as 'ne Deck von Sanft.« Dormit gung hei mit de beiden ut de Gorendör.

Quelle:
Fritz Reuter: Gesammelte Werke und Briefe, Band 5, Rostock 1967, S. 274-285.
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