Gesang der Frauen an den Dichter

[494] Sieh, wie sich alles auftut: so sind wir;

denn wir sind nichts als solche Seligkeit.

Was Blut und Dunkel war in einem Tier,

das wuchs in uns zur Seele an und schreit


als Seele weiter. Und es schreit nach dir.

Du freilich nimmst es nur in dein Gesicht

als sei es Landschaft: sanft und ohne Gier.

Und darum meinen wir, du bist es nicht,


nach dem es schreit. Und doch, bist du nicht der,

an den wir uns ganz ohne Rest verlören?

Und werden wir in irgend einem mehr?


Mit uns geht das Unendliche vorbei.

Du aber sei, du Mund, daß wir es hören,

du aber, du Uns-Sagender: du sei.


Quelle:
Rainer Maria Rilke: Sämtliche Werke. Band 1–6, Band 1, Wiesbaden und Frankfurt a.M. 1955–1966, S. 494-495.
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Neue Gedichte - Der Neuen Gedichte anderer Teil.
Insel Taschenbücher, Nr.49, Neue Gedichte