Silvester

[413] Es gibt bei Armen und Reichen

So manche Herzen bang und still;

Aus manchem dieser Herzen will

Die Sorge nimmer weichen.


Ich bin einer neuen Idee auf der Spur

Und überlege sie sehr:

Man sollte armen Leuten nur

Gutes tun oder sagen,

Ohne vorher oder hinterher

Nach ihnen zu fragen.


Wer hat das wohl zuerst bestellt,

Was nun so glatt sich leiert:

Daß jeder Stand und alle Welt

Terminlich trauert und feiert.


So wünschlein-pünschlein den andern gleich

Will ich mich nüchtern betrinken,

Um gegen Morgen durchs Federweich

In Kaktusträume zu sinken.
[413]

Etwa: Daß eine Mutschekuh,

Die vollgefressen mit Heu war,

Mein Zimmer betrat und rief mir zu:

»Prost Neujahr, Herr Doktor, prost Neujahr!«

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 413-414.
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