Ernstliche Betrachtung der unendlichen Ewigkeit

[245] Dises kan gesungen werden auf die Melodei des Lides: Hertzlich thut mich verlangen nach einem seligen End.


1.

Ich wil für allen Dingen

Vergessen diser Zeit

Und Mir zur Warnung singen

Von jenner Ewigkeit.

Bald scheid' Ich zwahr von hinnen,

Das thut dem Fleische bang';

Ein grössers kränkt die Sinnen,

Das Ewig ist so lang'!


2.

Es ist kein Ding auf Erden,

Und wer es noch so gut,

Das nicht kan widrig werden,

Wen man es immer thut.

Die Ruh' erhält das Leben,

Doch wen man Nacht und Tag'

Ihr müste sein ergeben,

So würde Sie zur Plag'.


3.

Ach! wen wir solten fühlen

Den Brand und Zipperlein

In unsern Gliedern wühlen

Ein eintzigs Jahr allein,

Wie würden wir uns zauen,

Zu werden bald befreit:

Ei solt' uns den nicht grauen

Für jenner Ewigkeit?


4.

Lass Strikk und Räder kommen,

Lass Schwefel, Pech und Feür

Zusammen sein genommen,

Lass alles ungeheür

Uns hundert Jahre brennen,

Daß es ja schwehrlich thut,

Waß ist doch das zu nennen

Für jenner Höllengluht?


5.

O Mensch, wie magst du lauffen,

Kaum eines Stündleins Lust

Für solche Quahl zu kauffen,

Die dir zum theil bewust?

Die Pein wird abgemessen

Nicht etwan nach der Zeit:

Man kan der Zeit vergessen,

Nicht so der Ewigkeit.


6.

O Ewig, wie so lange!

O Ewig, wie so schwehr!

Wie thust Du Mir so trange,

Ja komst so plötzlich her!

Ein Augenblik im Leiden

Ist sonst ein gantzes Jahr:

Wie wird es dort den schneiden,

Wo nichts ist wandelbahr?
[245]

7.

Die Marter pflegt zu tauren

Nicht lang' in diser Welt.

Läst man uns gleich vermauren,

Ist doch der Tag bestelt,

An welchem uns befreiet

Der lang gewünschter Tod;

Nur Ewig, Ewig schreiet

Die grausahm' Höllennoht!


8.

Ja soltest Du noch leiden

Vielleicht so manches Jahr,

Als oft Du hast in Freüden

Gesündigt offenbahr,

Und solte Dich noch quählen

So manches Augenblik,

Als Sterne sind zu zehlen,

Du hättest grosses Glükk.


9.

Ach aber nein, die Plagen

Sind ohne Mahss' und Ziel,

Du must sie billig tragen,

Gott strafft ja nicht zu viel:

Der Richter läst dich schmekken

Ein Feür der Ewigkeit.

Wer wolte nicht erschrekken?

O Zeit ohn alle Zeit!


10.

Nach so viel tausend Jahren,

Als Körnlein Sandes sind,

Als Tröpflein in den Bahren,

Als Stäublein treibt der Wind,

Als Blätter auf den Bäumen,

Als in den Flüssen Stein',

Als Frücht und Samen keimen,

Wirds dennoch Ewig sein.


11.

So lang' ein Gott wird bleiben,

Der alles ja vermag,

So lange wird auch treiben

Der Sünder seine Klag'.

Es kan Ihn niemand retten

Noch bringen zu der Ruh':

Es nimt in Satans Ketten

Die Marter stündlich zu.


12.

Du darfst auch nicht gedenken:

Das Feür wird mit der Zeit

Nicht mehr so hefftig kränken

Den, der in Ewigkeit

Der HöllenQuahl sol fühlen;

Zeit minder' alle Ding.

Ach nein! hie folgt kein kühlen,

Und wer' es noch so ring'.


13.

Ich bitte dich von Hertzen,

O sichers Menschenkind:

Erwege dise Schmertzen

Und sei doch nicht so blind.

Fürwahr die Zeit wird kommen,

Daß du von diser Welt

Wirst plötzlich hingenommen,

Die Stund ist schon bestelt.


14.

Laß Dir sein angelegen,

Waß gegenwertig ist,

Noch mehr laß Dich bewegen

Das, waß in kurtzer Frist

Dir stossen wird zu handen:

Ist doch die schnelle Zeit

Kein Augenblik bestanden.

O ewig' Ewigkeit!


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 245-246.
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