Klaglied

[233] Gott des Trostes, Herr der Gnaden,

Vater der Barmherzigkeit,

Ich, mit Trübsal stark beladen,

Fühl' itz einen harten Streit;

Ach, ich leide tausend Schmerzen,

Klage dir demnach von Herzen

Meine Not und schweres Leid!

Herr, ich hab' es wol verdienet,

Daß dein' Hand so drücket mich,

Vielmals hab' ich mich erkühnet,

Heftig zu erzürnen dich;

Laß mich aber nicht verzagen,

Deinen Grimm den wil ich tragen,

Schlägst du mich schon grausamlich.

Diesen Kelch wil ich zwar trinken,

Schenk' ihn nur mit karger Hand;

Laß mich nicht so gar versinken

An dem gähen Unglücksstrand.

Herr, es brausen starke Wellen,

Mich durch ihre Macht zu fällen,

Ach, wie kom' ich doch zu Land!

Hast du mein denn gar vergessen,

Wilst du nimmer gnädig sein?

Sol ich stets mit Seufzen essen

Und genießen Thränen-Wein?

Sol dein scharfes Schwert mich schneiden?

Kan man deinen Grimm erleiden?

Ach, mein Glaub' ist viel zu klein!

Zittern muß ich und erschrecken,

Herr, für deiner Majestat,

Die sich weiter kan erstrecken

Als der höchste Sonnen-Grad.

Ach! ich sitz' auf meinen Knieen,

Reu und Demut anzuziehen,

Die das Kreuz erzeiget hat.[234]

Vater, sol ich denn verderben

Unter dieser schweren Last?

Sol ich keine Gunst erwerben,

Bin ich denn so gar verhaßt?

Ist es gleichwol dein Behagen,

Daß ich diese Last sol tragen,

Ei, so gib doch etwas Rast.

Vollenbringe deinen Willen

Mir zu meiner Seligkeit,

Und die Lust in mir zu stillen,

Die mich führet oft so weit,

Daß ich, bloß von deiner Liebe,

Leider mich in Sünden übe

Und zum Bösen bin bereit.

Liebster Vater, diese Wunden

Hast du zornig mir gemacht,

Heile mich in wenig Stunden,

Treib' hinweg des Kreuzes Nacht;

Denn auf Rettung aus den Nöten,

Etwas plagen, selten töten,

Ist dein treues Herz bedacht.

Sol ich stets im Finstern sitzen,

Da mir mangelt Sonn' und Licht?

Sol ich Blut und Thränen schwitzen?

Ist denn kein Erbarmen nicht?

Führe mich doch aus der Hellen,

Laß mich hier dein Lob bestellen

Und erweisen meine Pflicht.

Stärke meinen schwachen Glauben,

Heile das zerspaltne Rohr,

Schweige doch nicht wie die Tauben,

Oeffne mir dein gnädigs Ohr,

Sei mein Gott nicht nur in Freuden,

Bleib' es auch in allem Leiden,

Hebe bald mein Haubt empor.

Dieser Unfall, der mich troffen,

Komt von deinem Willen her;

Stärke nun mein schwaches Hoffen,

Denn so fällt mir nichts zu schwer,[235]

Gib Gedult, daß ich nicht wanke,

Hilf, daß ich dir herzlich danke;

Dieses ist nur mein Beger.

Kan auch eine Mutter hassen

Ein von ihr gebornes Kind?

Kan ein Vater auch verlassen

Die von ihm erzeuget sind?

Weiniger kanst du verderben

Mich, o Vater, deinen Erben,

Vater, kom' und hilf geschwind!

Deinen Namen wil ich nennen,

Herr, mein Licht, Rat, Trost und Teil;

Standhaft wil ich dich bekennen,

Sende mir nur Hülf' in Eil';

Schmücke mich mit Ehr' und Leben,

Laß mich alles überstreben,

Zeige mir, o Gott, dein Heil.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 233-236.
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