Sterbeliedelein

[259] O Schöpfer aller Dinge,

Du väterliches Herz,

Merk auf, wie hart ich ringe,

Was für ein schwerer Schmerz

Mich Armen hat ümfangen

In dieser letzten Not!

Wo sol ich Hülf' erlangen?

Sehr nah' ist mir der Tod.

Ich habe nun vollendet,

Herr, meines Lebens Lauf

Und mich zu dir gewendet;

Ach, nim mich gnädig auf!

Bin ich doch schon geschmücket

Mit deines Sohnes Blut

Und trefflich wol erquicket

Durch ihn, das höchste Gut.

Dein Wort hab' ich ghöret

Mit rechter Herzenslust;

Was selbigs mich gelehret,

Ist mir noch wol bewust;

Drüm glaub' ich ohne Wanken,

Daß du mein Helfer bist,

Wil dir auch sterbend danken,

O mein Herr Jesu Christ.

Zu deinen treuen Händen

Stell' ich itz meinen Geist,

Du wirst mir Hülfe senden,

Wie du mir nötig weißst;

Du hast zum Freudenleben,

Mein Gott, berufen mich,

Du wirst es mir auch geben,

Das glaub' ich sicherlich.

In meinen letsten Nöten

Hilf mir, du starker Held;

Wenn mich der Tod wil töten

In dieser schnöden Welt,[260]

So reiß' aus seinen Banden

Mich freudig hin zu dir,

Da werd' ich nicht zu Schanden:

Erfüll, Herr, mein' Begier.

Drauf wil ich ruhig schlafen

In meinem Kämmerlein;

Gott, der du mich erschaffen,

Wirst mein Erwecker sein

Und mein verborgnes Leben

Bald machen offenbar,

Daß ich müg' ewig schweben

Bei deiner Engel Schar.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 259-261.
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