Das III. capitel.

[30] Das auch im lebendigen leibe ein könig regiere.


"Was wollen abr wir wasserleut

Forschen des himmels heimlichkeit?

In uns selbst muß alles so gehen

Wie wir an eim königreich sehen.

Denn in der kindheit hab ich kant

Ein kleins mantier, Philips Melanth,

Das pflag sein schüler auszufüren,

Alhie an unserm see spazieren,

Nach der kreuter namen zu fragen

Und den von weisheit viel zu sagen.

Und wir saßen in unser ru

Und hörten stilschweigend mit zu,

Damit nicht, die um ihn hergiengen,

Uns mit eim spitzen tolch empfiengen.

Das sprach: Unser leib ist geleich

Eim wolbestallten königreich:

Im heupt der könig selbst hof helt,

Das regiment weislich bestellt;

Im herzen wonet sein gemal,

Hat die haushaltung überall,

Jedoch dem könig, ihrem herrn,

Muß sie gehorchn, ihn lieben, eren;

Im bauch küchen und keller sein,

So den leib neren oder halten rein;

Und muß alles ördentlich gehen,

Wie wir in regimenten sehen.

Erstlich hat got verordnet fein,

Das fünf hurtige diener sein,

So zu hof einbringen bericht

Was sonst auch außerhalb geschicht.

Deren jeder hat seine man,

Die ihm all sachen zeigen an.[30]

Der erst hofdiener ists gesicht,

Nimt von den augen alln bericht;

Der ander aber das gehör,

Bestellt auf jeder seit ein or;

Der dritt das riechen in der nas;

Der viert der gschmack der zungen was;

Der fünft seinem fülen vertraut

Und wonet in der ganzen haut.

Dies fünf schicken ihr postbrief aus

Hinter der stirn ins königs haus.

Daselbst der algemein verstand

Die brief besonders nimt zur hand,

Als des königreichs großcanzler,

Und lesset gehn was nicht ist schwer;

Ist aber an der sach gelegen,

Das man sie ferner sol bewegen,

So warten auf zween edle knaben,

So kammerschreiber emter haben;

Die Gedanken, so ist ihr nam,

Einer heißt Witz, der ander Wan.

Witz merkt mit fleiß was da geschicht

Und was ihm der canzler bericht;

Lieset den brief und denkt ihm nach,

Ob gut sei oder bös die sach,

Ob sie den sinnen sei bequem

Oder etwa unangenem,

Und helt durchaus nichts für warheit,

Es zeugs denn die erfarenheit.

Der Wan aber will klüger sein,

Fantasiert künstlich und fein,

Was ferner daraus zu verstehen,

Das der Witz zuvor hat gesehen,

Was man in unbekanten sachen

Billig solt für nachdenken machen.

Wenn im keller kömt das gesicht

Und kan im finstern sehen nicht,

Und der canzler dasselbig sagt,

So glaubts Witz und nicht weiter fragt.[31]

Wan aber lests dabei nicht bleiben,

Sondern muß auch malen und schreiben,

Was für gespenst im keller sein,

Wie man stürzt in die grub hinein.

Ja wie die hell also gestalt,

Wie greulich man die teufel malt;

Wie man im schlaf mancherlei sehe,

Das wir tun oder uns geschehe,

Das der Witz oft nicht wissen kan,

Ob etwas warheit sei daran,

Odr sei schlecht ein lauter gedicht,

Davon sonst kein sinn gab bericht.

Wenn auch das heupt schwachheit bekümt,

So das der Witz sein abscheid nimt,

Der Wan allein regiert die sachen,

So muß man seiner torheit lachen. –

Also sind sie wol unterscheiden,

Aber doch einig in den beiden,

Das sie dem herzen offenbaren

Was sie erdacht oder erfaren,

Sagn auch ihr gutdünken dabei,

Ob es nütz oder schedlich sei.

Darauf das herz sich bald erregt,

Alls blut und luft im leib bewegt,

Und wenn ihm was guts widerferet,

Gegenwertig odr künftig erkleret,

So tut sichs auf wie eine ros,

Da morgentau mit werm einfloß,

Will, was da ist, in freud empfangen,

Das künftig mit hofnung erlangen.

Als der magnet nach eisen kreucht

Und seine spitz nach mittag reicht.

Ists bös, so schleust sichs und will weichen,

Furchtsam aller gefar entschleichen.

Als die bienen, wenn man sie zwingt,

Mit bitterm rauch vom honig dringt.[32]

Dem herzen folgt auch jedes glied,

Ist frölich oder traurig mit. –

Darnach halten die schreiber auch

Ihres königreichs alten brauch,

Verzeichnen diese sachen all

In des königs memorial

Mit bilden und nicht mit buchstaben;

Und was sie schlecht entworfen haben,

Nicht fleißig und scharf ingrossieret

Und nach der leng illuminieret,

Verleschet daraus mit der zeit,

Das ander bleibt in ewigkeit. –

Wenn nun dies alles ist geschehen,

Muß die vernunft ferner zusehen,

Als des königs vertrauter rat,

Was die schrift für bedeutung hat,

Ob sie nur red von ler und kunst

Odr von rat, tat, feindschaft und gunst.

Damit aber sie auch nicht fel,

Das ungewiß für das gewiß erwel,

Hat ihr der könig ein maß geben,

Die bilder zu visieren eben,

Einen triangel recht dreieckt,

Vom besten gold künstlich gezweckt.

Wie die werkleut mit winkeleisen

Ihr arbeiter sonst unterweisen,

So reformiert sie die gedanken,

Das sie nicht mer unrichtig wanken:

Betrifts kunst, wissenschaft, weisheit,

Sucht sie die prob bei der warheit;

Betrifts aber rat, tun und lassen,

So sucht sie gleichfals aller maßen,

Obs auch erfordert not und er,

Obs möglich und auch nützlich wer,[33]

Sagt den gedanken ihr urteil;

Die schreibens auch mit allem heil

In vorgenants memorial,

Verkündigens dem herzen all. –

Denn schleußt der hofmeister, der wille,

Ob er fort wöll odr halten stille,

Der vernunft folgn oder dem herzen,

Einen ernst brauchen oder scherzen.

Bis das zuletzt der könig kümt

Und sich des regiments annimt,

Das gemüt odr mens, wie ers nant

Und für des menschen seel erkant.

Denn wie die sonn erleucht die sternen,

Wie got die seel anblickt von fernen,

So setzt Mens der vernunft sein licht,

Darnach sie die abmessung richt,

Leret, was got und tugend sei,

Und was für belonung dabei;

Wie auch untugend tausendfacht

Gestrafet werd durch gottes macht;

Ret, das der will das gute faß

Und, was nicht gut ist, bleiben laß.

Folgt vernunft gdanken, will und herz

Und ander glieder unterwerts,

So macht sie die voll trost und freud,

Voll guter hofnung allezeit,

Das sie in lieb und freundschaft leben,

In eitel freud und wollust schweben

Und fürchten weder feind noch not,

Behalten trost mitten im tod. –

Das war die red, so der Melanth

Sein schüler leret am weißen sand.

Also regiert die seel den leib

Und macht, das er bei leben bleib. –

So ist auf erden und bei sternen,

Bei den nechsten und bei den fernen,

Von der welt anfang bis zum end

Durchaus kein ander regiment,[34]

Denn das ein könig alle sachen

Mag durchaus seines gefallens machen,

Got in gemein, darnach die stern,

Welche der sonn gehorchen gern.

Wie die elmenten dem mon,

Muß die seel dem leibe fürston

Und alles mit vernunft regiern

Beide bei menschen und bei tiern,

Obgleich sonst bleibt zu aller zeit

Zwischen jedem sein unterscheid."
[35]

Quelle:
Georg Rollenhagen: Froschmeuseler. Zwei Theile, Teil 2, Leipzig 1876, S. 30-36.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Froschmeuseler
Froschmeuseler (9 )
Froschmeuseler
Froschmeuseler, Volume 1 (German Edition)

Buchempfehlung

Aristophanes

Lysistrate. (Lysistrata)

Lysistrate. (Lysistrata)

Nach zwanzig Jahren Krieg mit Sparta treten die Athenerinnen unter Frührung Lysistrates in den sexuellen Generalstreik, um ihre kriegswütigen Männer endlich zur Räson bringen. Als Lampito die Damen von Sparta zu ebensolcher Verweigerung bringen kann, geht der Plan schließlich auf.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon