Neuer Frühling

[23] Neuer Frühling ist gekommen,

Neues Laub und Sonnenschein,

Jedes Ohr hat ihn vernommen,

Jedes Auge saugt ihn ein.

Und das ist ein Blühn und Sprießen,

Waldesduften, Quellenfließen,

Und die Brust wird wieder weit,

Frühling, Frühling, goldne Zeit!


Von dem Felsen in die Weite

Fliege hin, mein Frühlingssang,

Ueber Ströme und Gebreite,

Durch Gebirg und Blüthenhang!

Darf nicht wandern, muß ja bleiben

Ob's mich ziehn auch will und treiben,

Doch so weit mein Himmel blau't

Singen, singen will ich laut!


Wie die Welt auch wechselnd gehe,

Wie das Schicksal auch mich treibt,

Komme Glück und komme Wehe,

Wenn nur Eines mir verbleibt:

Fester Muth der freien Seele

Und die freudge Liederkehle,

Lebenslust und Lebensdrang,

Goldnes Leben im Gesang!


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 23-24.
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