Stromhinab

[40] Weiße Segel seh' ich gleiten

Stromhinab im Windeshauch,

Ach, denselben Weg vor Zeiten

Zog ich oft beflügelt auch!

Frühling lachte, Jugend blühte,

Erd und Himmel war voll Licht,

Wenn am holden Ziel erglühte

Mir der Liebsten Angesicht.


Gruß und Kuß, und ein Willkommen

Unermeßlich reicher Lust!

Alle Lebenskeime glommen

Flammend auf in junger Brust.

War's ein Traum? Entrückt, zerflossen

Wie in Todesnebel, schwand

Licht und Leben! Aufgeschlossen

War der Schmerzen finstres Land.


Bergeshöhn, die einst als Pforte

Goldner Lust sich aufgebaut,

Stehen an demselben Orte

Nun als Wächter, kalt, ergraut.

Fest gezogen sind die Grenzen,

Nur ein Seufzer folget sacht

Den zerrißnen Jugendkränzen

Stromhinab in's Reich der Nacht.


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 40-41.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Der Tag Von St. Jakob: Ein Gedicht (German Edition)