Frühlingslied von der Bergstraße

[138] 1871.


Vom Odenwalde der Frühlingswind

Senkt seine Schwingen zu Thal,

Ein grünes Netz um die Buchen sich spinnt

Im wärmenden Sonnenstrahl.

Nun hinaus auf des Lebens erquickender Spur,

Um zu schlürfen den duftenden Schaum!

Zur Rechten des Rheins goldprangende Flur,

Zur Linken der Berge Saum.


Die Burgen und Oertlein wie Perlen sich reih'n,

Und die Bäche wie Silber sprühn,

Es kleidet der Alte, der Frankenstein,

Sich immer noch waidmannsgrün.

Da drunten Seeheim, leuchtend im Thal,

Und Jugenheim, strahlend in's Land,

Gott grüß euch, ihr traulichen Heim allzumal,

Bis an des Neckars Strand!


Was manch Jahrhundert von Süd und Nord

Aus der Wanderstraße hier zog,

An Bergen und Thälern vorüber und fort,

Zieht heut noch, das Völkergewog.[139]

Doch wollt' es uns wieder von Westen her

Mit Drohn und Gelüsten zum Rhein,

Der Weg soll zurück ihm mit kundiger Wehr

Gewiesen für alle Zeit sein!


Was drüben des Fremden Gelüst verdarb

Sei verbannt heut aus unserem Reim!

Wir singen dem Glück nur, das uns erwarb

Ein einziges sonniges Heim.

Ihr aber seid uns von Herzen gegrüßt,

Ihr Vogesengipfel im Blau!

Du schöner Strom, der in Freiheit fließt

Durch den prangenden deutschen Gau!


Drum hinaus auf die Berg', und hinaus zu Thal,

Und wo uns die Rast ist bescheert!

Gesungen, geklungen, wir haben die Wahl,

Und was nur das Herz begehrt!

Ob Diesen verbindet ein heimisches Band,

Ob Jenen die Ferne gebracht,

Wir preisen das herrliche deutsche Land

In wieder erstandener Pracht!


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 138-140.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
Der Tag Von St. Jakob: Ein Gedicht (German Edition)