Narrenlied

[125] Wir lustigen Brüder, wir sechse,

Wir tragen hohen Mut,

Wir trinken gern gut Gewächse,

Und essen auch gerne gut.

Und kommen auf Schusters Rappen

Wir all' von verschiedener Bahn,

So tragen wir gleiche Kappen,

Und gleiche Schellen daran.


Wir lustigen Brüder, wir sechse,

Wir lachen schon manches Jahr,

Wir bringen die Milz und die Flechse

Den Leuten und uns in Gefahr.

Wir athmen die reinste Beglücktheit,

Wenn Jeder darauf bedacht,

Wie er des Andern Verrücktheit

Zum Spiegel der Weisheit macht.


Wir lustigen Brüder, wir sechse,

Wir feiern all' unsre Fest'

Mit witzigem Versegeklexe,

Und Griffel und Pinsel auf's Best!

Und wer am tollsten läßt sausen

Im Kopf seinen Kreisel und Querl,

Die Weiblein lachen der Flausen,

Und über den närrischen Kerl.
[126]

Wir lustigen Brüder, wir sechse,

Wir haben die Weiblein gar lieb,

Daß jegliches an uns verhexe,

Was noch zu verhexen blieb.

Und weil sie die Narrheit bestätigt

An Jedem hundertmal schier,

So sei sie für immer bethätigt

Zu ihrem Dienst und Pläsir!


Wir lustigen Brüder, wir sechse,

Wir stehen uns allzeit bereit

Als Chronisten und Versifexe

Der eigenen Herrlichkeit.

Längst sind wir unsterblich geworden

Auf ewig ureignem Gebiet,

Denn die Narrheit ist erblicher Orden

Bis in's hunderttausendste Glied.


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 125-127.
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