Als wir das Geld haben fortgetragen.

[29] Ich war wieder auf Ferien, schaute durch das Fensterglas hinaus und plante, wie denn dieser junge, freie und lustige Bursche einstweilen am besten zu verwenden wäre? Das Fensterglas wurde alsbald trübe, weil ich ihm mit dem Munde zu nahe kam. Und mit vielem andern ist es auch so: die größten Freuden werden oft trüb oder vergehen gar, wenn sie der Hauch eines Mundes berührt. Studenten kümmert das nicht.

Jetzt, wie ich wieder einmal so ins Freie guckte, war hinter mir ein Räuspern und da stand der Ortsvorstand von Kathrein am Hauenstein. Er hatte höflich den Hut abgezogen und glättete nun mit der Hand sein graues Haupthaar und schaute mich sehr gutmütig an.

»Muß doch ein wenig nachsehen, was du machst – wenn man noch du sagen darf!« lautete seine Anrede.

Dusagen, ja das versteht sich. Der Haselbauer, der Karl, – und das war der Ortsvorstand – ist mir während der Handwerkerzeit einer meiner liebsten Menschen gewesen, weil er gar gutherzig war und weil er eine so besondere Art von Töchtern hatte – doch, das gehört auf einen anderen Fleck. Kurz, beim Dusagen blieb's, und so sagte denn der Vorstand: »Hättest nicht Lust, morgen mit wir eine Lustreise nach Vorau zu machen?[30] Das Chorherrenstift ist schön anzuschauen und die geistlichen Herren haben einen guten Wein.«

Es waren Gründe da, mich zu besinnen.

»Ich habe dort ein verwunderliches Geschäft,« fuhr der Karl fort, »und weil mir durch den großen Wald allein woltern die Zeit lang wird, so wär's mir frei ein Gefallen, wenn du mittun wolltest. Daß ich dich zehrungfrei halten tät, müßtest mir halt nicht für Übelnehmen.«

Die Gründe, mich zu besinnen, waren nun nicht mehr da. Mit Freuden war ich zur Lustreise nach Vorau bereit.

»Ein bissel was zu tragen haben wir halt auch,« sagte der Vorstand, »wir wollen damit brüderlich abwechseln und so wird's für einen nicht schwer sein. Vielleicht passiert dir ein solches Tragen dein Lebtag nicht mehr«

»Was wird's denn sein?« fragte ich.

Nun hob er seinen Zeigefinger auf und sagte: »Da will ich dich einmal raten lassen, Studiosus. Morgen ums Sonnaufgehen kommst zu mir aufs Frühstück, vielleicht hast du's bis dahin fertig.«

Ich hatte an demselben Abend vor dem Einschlafen richtig ein paar Stunden nachgedacht, was wir denn nach Vorau zu schleppen haben würden. In Vorau war das Bezirksgericht, das nimmt allerhand Sachen, aber diesmal mußte es nach den Andeutungen des Karl was Besonderes sein.

Ums Sonnaufgehen war ich da; auf dem Tische dampfte schon der Kaffee, der in der Morgenfrische, die zu den offenen Fenstern hereinströmte, köstlich duftete. Und auf dem Tische lag die braune Seitentasche des Karl,[31] die er auf seinen Kaufmannsfahrten nach Graz – er war ja der Ortskrämer – stets mit hatte und an deren behaarter Decke noch die Klauen des Rehbockes waren, von dessen Haut die Tasche stammte. Diese Tasche war heute ganz gewaltig vollgepfropft, war schwer wie Blei und klirrte ein wenig, wenn man sie hob und schob.

Anfangs trug sie der Karl, später nahm ich sie über die Achsel.

»Wie schwer schätzest du sie?« fragte mich mein Genosse.

Ich berechnete nach dem mir damals noch immer am nächsten liegenden Anhaltspunkt.

»Das sind zum wenigstens drei Bügeleisen,« sagte ich, »wiegen zwölf Pfund.«

»Hast nicht schlecht geschossen und wenn ein Pfund Silbertaler auch so schwer ist; als ein Pfund Bügeleisen, so schleppen wir heute zwölf und ein Viertel Pfund nach Vorau.«

»Wir werden doch keine Silbertaler schleppen?« war meine Frage.

»'s wird aber doch nicht weit gefehlt sein,« sagte der Karl.

»Ja, wachsen denn heuer in Kathrein am Hauenstein die Silbertaler auf den Bäumen, wie Holzäpfel?«

»Auf den Bäumen wie Holzäpfel nicht, aber unter der Erde, wie Erdäpfel. Ja, Studiosus, wie du itzt dahertrabest, hast du einen vergrabenen Schatz über der Achsel hängen. – Bist durstig, so wollen wir beim Mostmichel abrasten.«

Beim Mostmichel im Narrenhof nahmen wir eine Labnis; und dort; wo der Vorauerwald beginnt, der[32] den stundenlangen Bergrücken bedeckt und zu beiden Seiten weit hinabgeht in die Lehnen und Engtäler, wo dann am Saume die Bauernhöfe und kleinen Dörfer hängen – an der Straße also, wo dieser Wald beginnt, setzten wir uns in den Schatten und rasteten eine Stunde lang.

Der Karl sah mich von der Seite an und rief hernach, auf die Ledertasche schlagend: »Na, was sagst du dazu?«

So richtete ich mich denn empor, tat den Mund auf und sagte: »Da kann ich gar nichts sagen.«

»Und ich sag',« versetzte der Karl, »ich sag', das Geld ist eine harte Sach'!«

»Ja, besonders wenn's von Silber ist –«

»– und nicht dem gehört, der's tragen muß.«

»Gehört es also nicht dir?« fragte ich.

»Schau mich an, Student. Kann ein Mensch, der so ausschaut, wie ich, Silbergeld haben? Wird ein Kaufmann seine Barschaft anderswo vergraben, als in abgestandenen Waren? Kann ein Mensch, der jetzt im neunten Jahr Ortsvorstand zu Kathrein am Hauenstein ist, einen vergrabenen Schatz besitzen?«

»Ich weiß es wohl, Karl, daß du als Vorstand für die Leute, die gepfändet werden sollen, die Steuern oft aus deinem eigenen Sack zahlst. Wie oft hast du den Stegbauer ausgelöst, den Schachenhans, den alten Grabentickel!«

»Ten alten Grabentickel,« murmelte der Karl, »ja, ja, den Grabentickel habe ich richtig auch ein paarmal ausgelöst. Die Witwe von ihm ist erst vor etlichen Wochen gestorben.«

»Der hast gewiß auch du das Begräbnis gezahlt!«[33]

»Beileib' nicht, die hat Geld genug gehabt, schier so viel, daß zwei Männer, ein junger und ein alter, dran zu schleppen haben. Ja, Studiosus, dieser Ranzen voll Taler ist von der Grabentickelin! Sie hat ihn mir auf dem Totbett anvertraut.«

»Dahinter steckt gewiß eine merkwürdige Geschichte.«

»Ah, versteht sich, und die soll ich dir nun erzählen,« sagte der Karl. »Ja, ich habe mir oft schon gedacht, wenn ich einen alten Silbertaler in der Hand gehabt: Wüßte einer die Geschichte von deinem Lebenslauf!«

»Bisweilen wird's besser sein, man weiß sie nicht.«

»Das sag' ich auch. Aber bei den Talern der Grabentickelin kann man sich seinen Teil herausnehmen – heißt das, nicht aus dem Ranzen, sondern aus der Geschichte. – 's ist noch nicht vier Wochen aus,« erzählte der Karl, »just am Magdalenentag ist's gewesen, daß ich aus der Kirche eilends zur kranken Ticklin gerufen werde. – Bin ja kein Arzt und kein Priester, sage ich. – Macht nichts, meint der Bote, sie wolle just den Vorstand haben. Drauf bin ich in ihr Häusel gegangen und hab' sie wolter krank gefunden. Ich muß mich gleich zu ihr setzen, sie nimmt mich bei der Hand und sagt, daß sie zu mir das Vertrauen hätte, und hebt an zu erzählen; von ihrem Mann, dem Grabentickel, zuerst, wie er sie geheiratet hat. Er ist Holzknecht in Kreßbach gewesen. Und da wäre der Tickel halt alleweil so viel unruhig und aufgeregt gewesen, und sie hätte nicht gewußt, warum. Nachher, am ersten Tage nach der Hochzeit habe er ihr's frei mit Zittern und Fiebern vertraut, er wäre nicht so arm, wie die Leute von ihm meinten, er habe von seinem Vater her noch ein Erspartes und er selber hätte sich[34] auch was erwirtschaftet; er habe das Geld zwar gut verwahrt oben unter dem Hausdach, zwischen den Brettern, die doppelt übereinander liegen und wo kein Dieb hindenke, aber er sei halt immer in Angst, daß es ihm gestohlen werden könne. – Die Tickelin soll den Tickel sehr gern gehabt haben, doch sie hätte sich nicht viel aus dem Geld gemacht: ist's da, so ist's gut, und ist's nicht, so lebt man wie andere Leut', die auch nichts haben, als den lieben Gesund und den Fried. Sie haben aber nicht gelebt wie andere Leut', sie haben schlechter gelebt und der Tickel soll sich halb zu tot gearbeitet haben, daß sich nur um Gottes willen das Geld alleweil vermehren möcht'. Und dabei die immerwährende Angst, ob nicht doch auf einmal wer einbricht, oder das Haus niederbrennt, oder das Silbergeld auf andere Weise zugrunde geht. Endlich hat ihm darüber gar kein Essen mehr geschmeckt, er hat die lieben, langen Nächte nicht schlafen können, und was ihm das Weib auch zugeredet hat, er sollt' sich sein Leben doch nicht mit dem Geld verderben; wenn er's schon verderben wollt', so sollt' er's lieber mit Essen und Trinken tun. Soll nichts genutzt haben, noch alleweil ärger soll es worden sein mit der Angst und mit dem Geiz beim Tickel, bis das Weib dem Geld spießfeind worden ist. – Was meinst, Student, was wird jetzt geschehen sein?«

»Den Verstand wird er verloren haben,« mutmaßte ich.

»Nein,« sagte der Karl, »das Geld hat er verloren. Denn wie das Weib jetzt fest davon überzeugt gewesen: Tickel, dieses Silbergeld ist dein Unglück! hat sie es ihm heimlich weggenommen und vergraben für eine Zeit, wo sie den Sparpfennig einmal gut brauchen möchten.«[35]

»Vergraben!« rief ich in meiner Entrüstung (ich verlegte mich damals stark auf das Gescheitmachen des Landvolkes), »vergraben und nicht in die Sparkasse gelegt?«

»Die Tickelin da oben im Kreßbachwald hat von einer Sparkasse all ihrer Tage nichts gehört,« belehrte mich der Karl, »oder hat sich darunter einen Tontiegel mit einem Loch vorgestellt, durch das man die Taler hineinstecken, aber nicht mehr herauskriegen kann. Anstatt das Geld in fremde Hände zu geben, hat sie gemeint, es wäre gescheiter, es in einen Eisentopf zu tun und sicher zu vergraben.«

»Und was hat denn ihr Mann dazu gesagt?«

»Der Tickel soll freilich schauderhaft wild und schier verrückt worden sein, wie er wahrgenommen, das Geld wär' weg und sein Weib hat ihn beim Glauben belassen, daß es Diebe fortgetragen hätten. Nachher soll der Tickel ein anderer worden sein. Wenn's mit dem Sparen so ausgeht, ist's gescheiter, den Verdienst flottweg wieder verbrauchen, soll er gesagt haben und von dem Tag an – hat mir die Ticklin erzählt – sollen sie brav gegessen und getrunken und keine Not gelitten haben. Jetzt sind auch die Sorgen weg gewesen, von wegen des Geldes, und der Tickel – nu, du hast ihn ja auch noch gekannt, Student – ist dick und fett worden. Freilich soll er ein paarmal, wie er so ein Häufl Geld vor sich liegen gehabt, vom Aufsparen gesprochen haben, aber sein Weib hat allemal gesagt, für Diebe wollten sie nicht fleißig sein, und hat ihn nicht mehr anfangen lassen. Und richtig ist's so gegangen, daß sie von dem heimlich vergrabenen Gelb keinen Kreuzer benötigt haben. Der Tickel hat ohne viel Sorg' gelebt und ist auch so gestorben. Und[36] wie die Tickelin auf dem Totbett gelegen ist, hat sie mir das alles anvertraut und ich habe nachher in Gegenwart von Zeugen das Geld ausgegraben und die Sach' bei Gericht gemeldet.«

»Was geschieht jetzt mit dem Geld,« war meine Frage.

»Das geht zum Bezirksgericht und will warten, bis sich ein Herr dafür findet.«

»Darauf wird's nicht lang zu warten brauchen,« war meine Ansicht.

»Vielleicht recht lang,« sagte der Karl. »Es sind reine Verwandten da. Ein Bruderssohn vom Tickel soll noch leben, aber man weiß nicht, wo er ist. Wird er in Jahr und Tag nicht gefunden, so ist das Geld verfallen.«

Nun wußte ich die ganze Geschichte und wir rückten wieder an.

Zu Vorau am Stifte, vor dem Herrn Bezirksrichter, hat der Karl das Silbergeld in eine große Lade geschüttet, daß es gar merkwürdig geklimpert hat. Die Beamten in den anstoßenden Kanzleien haben gestanden, sie hätten Zeit ihrer Praxis niemals ein solch' schönes Klimpern gehört.

Der Herr Bezirksrichter selbst unterließ es nicht, mit seinen Fingern die Silberstücke ein wenig aufzukrausen und wir weideten – zu Lohn für das Tragen – unsere Augen. Uralte Münzen waren dabei, aus aller Herren Länder und Zeiten. Die meisten trugen wohl das Bild Leopolds und der Maria Theresia. Sie waren gar abgegriffen, so daß man die Prägung oft nicht mehr erkennen konnte. Manche waren durchlöchert, beschnitten und gar nicht mehr rund. Etliche waren so groß, daß der Karl sagte: »Helle Kaffeetopfdeckeln!« – Hätte ich[37] damals nur einige Münzkenntnisse besessen, ich wüßte sicherlich Wunderdinge zu berichten von diesem Schatz des Grabentickel.

Endlich, nachdem das Geld von Berufenen geschätzt worden und alles in Ordnung befunden war, schob der Bezirksrichter die schwere Lade zu und wir konnten nun gehen.

Wir taten uns was zugute im Wirtshaus und dann gingen wir leicht und lustig heimwärts. Ein paar Tage lang hatte die Haut meiner rechten Achsel, auf welcher der Riemen gelegen, einen blauen Streifen. Dann vergaß ich der Sache und erst nach vielen Jahren ist mir jenes Geldtragen nach Vorau wieder in Erinnerung gekommen. Ob sich für das Silbergeld des Grabentickels der rechtmäßige Erbe gefunden hat, das weiß ich nicht. Vermutlich haben die schönen Taler ihrem neuen Herrn bessere Dienste erwiesen, als ihrem alten; möglicherweise auch noch schlechtere.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 29-38.
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