Der Student als Amorl.

[130] »Wenn der Mensch,« sagte der Hubelbauer, »die ganze Woche im Heu arbeitet, mäht, schöbert und einstadelt, so braucht er am Sonntag geistige Erholung.« Und ging also am Sonntag nachmittags allemal auf den Stadel und legte sich ins Heu und schlief.

So machen es auch andere, und es war eine Zeit, da ich selbst mir diese »geistige Erholung« gönnen konnte. Wenn der Student in den Ferien dem Bauern beim Heumachen hilft, so hat er nachher das Recht, auf dem Heu auch zu liegen. Das taugt am besten, wenn man es selber gemäht hat.

Das knistert so sein, und jeder Halm legt und schlichtet sich, wie es die Glieder haben wollen, und da ist's so kühl lustig und durch die Dachbrettspalten blitzt dort und da der Strahl des Sommerhimmels durch. Muntere Heupferdchen hüpfen dir über die Knie und meinen: Wenn der Mann so häufig auf dem Pferde sitzt, warum soll nicht auch einmal das Pferd auf dem Manne sitzen!

Aber einmal ist mir solche Rast auf dem Heu unterbrochen worden. Ich liege im Heu und denke: Jetzt schlafst, dabei gib acht, daß du am Abend rechtzeitig aufwachst zum Schlafengehen. Da höre ich die Leiter knacksen und aus dem Loch, das von der Futterkammer heraufgähnt, ragte zur Hälfte ein Kerl hervor, wendete mehrmals[131] den bärtigen Kopf hin und her und schnarrte endlich:

»Ist Ermunter?«

»Was will Er denn?« fuhr ich auf. Er stieg vollends auf den Heuboden, kroch an mich heran, und als sich sein Auge an die Dunkelheit gewöhnt hatte, sah er mich liegen und ließ sich schwerfällig neben mir nieder, gleichzeitig richtete ich mich auf, denn es war kein Mensch vom Hause.

»Mensch Gottes, dich habe ich lange gesucht!« sagte er und setzte leise bei: »Du mußt mir was schreiben!«

Ein Holzarbeiter aus dem Massenwalde war's, der da neben mir kauerte; ich hatte ihn öfters an Sonntagen gesehen, da er in der Kathreiner Kirche an einem Seitenaltare stand, sich mit den Ellbogen auf das steinerne Taufbecken stützte und den Hut vor sein Gesicht hielt, als betete er sein Anliegen in denselben hinein. Zwar konnte man sich nicht denken, was so ein kerngesunder Holzknecht viel Anliegen haben mochte, an den Werktagen seine Schmalznocken, seinen Tabak, an Feiertagen sein Wirtshaus, kein Weib, kein Kind, kein Häusel, das niederbrennen, kein Rind, das über die Wand stürzen kann. Es müßte ihm denn um den Himmel sein, auf welche Meinung er etwa dem lieben Gott sein Gebet hutvollweise darbrachte.

»Kennen wirst mich eh,« sagte er nun, »ich bin der Krasel und die Sachen habe ich alle bei mir.«

Er begann auszukramen: einen zusammengerollten, stark verknitterten Papierbogen, ein Glasfläschchen mit Tinte, eine Gansfeder. »Den Tisch,« meinte er, »richte ich dir da auf dem Heu her.«

»Auf dem Heu ist kein Schreiben,« war mein Einwand; »da gehen wir lieber in die Stuben hinein.«

»Das nit, Peter, das nit. In der Stuben sind Leut'.[132]

Lieber auf der Ochsenkrippen, die da unten in der Futterkammer steht; ich lege dir ein Brett drüber und der prächtigste Tisch ist fertig. Ich bitt' dich schön, Bürschel, mach' mir keine Umständ', die Leut' brauchen nichts zu wissen.«

Gut, dachte ich mir, ein ordentlicher Schreiber muß es auch auf einer Ochsenkrippe können. Die nötigen Vorrichtungen waren bald getroffen. Ich saß auf der Krippenleiter, steckte die Füße auf den Trog und über den Randleisten das Brett mit dem Schreibzeug, so wartete ich nun darauf, was der Krasel schreiben lassen würde.

Dieser schob sich sachte an mich heran und sagte: »Es wird schier ein Liebesbrief werden. Aber nicht für mich, mußt wissen, für einen anderen.«

»Laß das nur sein, Krasel,« sagte ich, »es muß ja der Name darunter, da hilft keine Ausflucht.«

»Du bist aber schon gar ein scharfes Bürschel!« sagte hierauf der Holzknecht und kräuselte mit dem Finger seinen Backenbart. »Also mich selber, meinst, ginge es an?«

»So was besorgt jeder für sich selber.«

»Magst recht haben. Schlecht genug, daß die Mannerleut' so sind, daß sie Weibsbilder brauchen! Hätt' ich das als kleiner Bub wissen können, ich wollt' dem alten Fischbacher Lehrer – dem dicken Zikal, wenn du ihn noch gekannt hast – nicht aus der Schul' gelaufen sein. Du glaubst es gar nicht, was so eine Liebschaft für Umstände macht! Und sie ist nicht einmal groß. – Jetzt mach', mach', Bub, daß du zum Zeug kommst.«

»Ich bin schon lange bereit. Ruck' nur endlich einmal heraus, Krasel, was soll ich ihr denn schreiben, der Liebsten?«

»O, Narr!« rief er, »das mußt du selber wissen.«[133]

Deß war ich sehr überrascht, aber im Grund hatte er recht. Es kennt's einer wie der andere, es ist ein Liebesbrief wie der andere. Ich fragte ganz geschäftsmäßig: »Willst ihr zu wissen tun, daß du gesund bist? Willst ihr die Lieb' aussagen, oder willst ihr ins Gewissen reden, daß sie dir treu bleiben soll? Oder hat's was anders?«

»Gott Lob und Dank, nein,« antwortete der Krasel, »haben tut's nichts; will ihr nur wissen lassen, daß ich's wissen möcht', ob sie's weiß, daß ich sie alleweil noch gern hab'.«

Das war nun etwas verzwickt, man legt sich derlei mit Mühe zurecht, im Grunde aber ist's ganz einfach: Er hat sie gern und möchte wissen, ob auch sie ihn noch gern hat.

»Mirzel heißt sie und sein tut sie in der Breitenau drüben,« gab er an, »und möcht' wieder einmal mit ihr zusammenkommen.«

Das war's.

Wenn man die frischgeschnittene fettige Gansfeder das erstemal etwas zu tief in die Tinte taucht, so gibt's fast jedesmal auf dem Papier ein Malheur. Wer mit dem Fließpapier, welches jeder Mensch im Munde hat, das Ungeheuer rasch aufleckt, der tut das beste, mas er tun kann. Ich begann hernach – während der Krasel daneben auf einem Strohschaub saß – meinen Liebesbrief:

»Innigst geliepte, bis in den Dot geliepte Maria!

Weill Wir jetz so Weit auseinander sein, schicke Ich Dir im Prieff so fieltausend grüsse, als Stern seind Am Himel, als sandkorn am Meer, als Bludstropfen[134] sein in Allen meinen adern. Alle Blümelein, die blihen in der Breitenau grüßen Dich son mir; alle Vögelein, die durch die Liste flügen, sohlen es Dir Sagen, wie ich in Lieb und Dreie Dein gedenke, Tag und nacht und zu jeder stund, und ich beim Arbeiden denge: Das due ich für sie, und beim Essen: Wer sie bei Mir; und Beim beten: Himlischer Vader, beschitz mein Dirndel, jag Alle Deifel von ihr das sie Mir drei bleib – denn so fiel gern habe Ich das Trutscherl, das ih ir das Hertz möcht mitten auseinand Küssen.«

So ging es fort; es schreibt sich wolter warm in der Ochsenkrippe. Und man sieht, ich machte nicht die Studenten-, sondern die Holzknechtschreibfehler, der Echtheit wegen. Als ich ihm hernach das Schriftstück vorgelesen hatte, schaute er mich eine Weile starr an und sagte: »Du bist schon ein vertrackter Knauß! Hast denn selber schon eine, daß dir das alles so einfallt?«

Selber habe ich zur Zeit keine gehabt, und als ich später eine gehabt, fiel mir solches nie ein.

»Wenn du jetzt noch aufschreibst,« sprach der Krasel, »daß ich am Kirchweihsonntag in die Breitenau komme und hinter der Erhardikapellen auf sie warten werde – wirst es schon setzen, daß es sauber steht – und noch ein brennendes Herz dazumalst, nachher kannst wieder aufs Heu gehen.«

Ich vollzog den Auftrag nach bestem Können. Dann schlug ich den Brief so zusammen, daß er sein eigener Umschlag wurde, klebte ihn mit etwas Harz zu, das in etlichen Tropfen von der Lärchenholzwand hervorgeschwitzt war, versah ihn mit der Aufschrift: »An die ehrsame[135] Jungfrau Maria Fellnerin, Dünstmagd beim Bruckenhofer in der Pfarre Breitenau. Durch Güde,« und empfahl somit das Schreiben in den Schutz Gottes.

Der Krasel griff in seinen Beutel, steckte mir rasch was in mein Rocksäcklein. »Das gehört dein,« sagte er, »hast dir's heilig verdient! Das Schreibzeug laß ich auch da, kannst es besser brauchen wie ich!« Und eilte mit dem Briefe davon.

Ich schaute nach, was ich mir heilig verdient hatte, und erschrak. Zwei Silbergröschlein! Zwei! – So heiß war noch keine Liebschaft gewesen. Ähnliche Liebesbriefe, selbst wenn ich durch's brennende Herz noch einen Pfeil gezeichnet hatte – mehr als einen Kupfergroschen trug keiner, und sperrte ich mich stets eine Weile, bis ich den einen annahm, weil ich es für Christenpflicht hielt, den Leuten in ihrer Not beizustehen. Seitdem aber der alte Bachbeigel, der auch noch was Liebes haben wollte, den Groschen, den ich bescheiden zurückschob, wieder in seine Tasche getan hatte, schob ich keinen mehr zurück, sondern sagte nur, es wäre zuviel – gab aber nichts heraus.

Früher, wenn der Vater ein Schaf oder ein Kalb verkauft hatte, fiel allemal auch für mich, den Halter, was ab – aber mehr als ein Kupfergroschen niemals. Einmal hatte ein Fremder bei uns zugesprochen und mich als Führer auf den Teufelsstein mitgenommen, der gab mir dafür einen Silbergroschen und das Ver sprechen auf die ewige Seligkeit, was ich besonders schätzte. Aber so sehr aus Rand und Band hatte mich nichts gebracht, als diese Belohnung vom Holzknecht Krasel.

Weil das Schreibzeug noch da war, so setzte ich mich ein zweitesmal dazu und schrieb einen Brief an den[136] Krasel im Massenwald, in welchem ich ihn meinen Gönner und Wohltäter nannte und allen Segen des Himmels auf ihn herabbeschwor. – Man sieht, an Studentenstolz hatte ich zur Zeit noch nicht viel mit heimgebracht.

In der darauffolgenden Woche machten wir auf der Niederwiese neues Heu, aber am nächsten Sonntage war es nicht so gut darauf liegen, als am vorhergegangenen, beschriebenen.

Ich war in der Kirche gewesen. Am Vormittag hatte mir auf dem Kirchweg der Holzer Begg zugeflüstert, ich solle mich vor dem Krasel aus dem Massenwald in acht nehmen, der sei schrecklich gegen mich aufgebracht. Er habe gesagt, sobald er mich irgendwo treffe, wolle er mir die Haare mit seinen fünf Fingern scheren.

Ich fragte um des lieben Himmels willen, warum?

Das würde ich schon selber am besten wissen, meinte der Begg.

»Wie ein neugebornes Kind, so wenig weiß ich!«

»Geh', geh', Student, du bist ein Feiner!«

»Nicht die Haar' allein, den ganzen Kopf soll er mir wegreißen, wenn ich ihm wissentlich was Übels getan hab'!«

»Wär' schad' um deinen Kopf, der so schön Leut' hänseln kann.«

»Leut' hänseln? Wie meinst das?«

»Der Krasel ist ein armer Holzknecht, mußt wissen,« sagte der Begg, »von dem hättest mit zwei Silbergroschen schon gerade fürlieb nehmen können, gleichwohl du viel höllisches Feuer in den Brief geschrieben hast.«

»Und hab' ich nicht fürlieb genommen? Habe ich mich nicht höflich bedankt extra in einem Brief?«

»Ich möchte mich auch bedanken für ein solches Bedanken!«[137] sagte der Begg. »Wenn er dir zwei Dukaten schenkt, meinetwegen, daß du einen solchen Brief schreibst; für zwei Groschen ein Wohltäter, das sieht ein Blinder, daß es gefrotzelt ist!«

Ter Begg ging davon und ließ mich bei meiner Qual. Ich lag nachmittags im Heu und sann nach über das Welträtsel, wieso mein Dankschreiben als Spott und Hohn aufgefaßt werden konnte!

Aber ich konnte nichts tun. Und der Krasel tat auch nichts.

Ein Jahr später war's, daß eines Sonntags die Leute beim Hausteinerwirt Dichtungen von mir, Räubergeschichten, Narrenpredigten, allerlei Schwänke, mit Bildern geziert, beguckten und belachten. Der Holzknecht Krasel war auch dabei. Auf den trat ich zu und sagte: »Holzknecht Krasel, wir zwei haben noch eine Abrechnung miteinander.«

»Ja, wahrlich!« knurrte er und stand von der Bank auf.

»Aber zuerst laß mich reden,« sprach ich rechtschaffen fest. »Du hast das Geschrift dort angeschaut und mitgelacht. Ist recht, freut mich. Du meinst etwan, daß man so was anschaut und darüber lacht, das sei alles und desweg' sei's gemacht. Denkst das, so irrst dich. Ich had's gemacht, weil's mich gefreut hat; hab' ein ganzes Jahr meine Lust gehabt mit diesen Sachen und ein Glück, vielleicht ein größeres, als du mit deiner Maria. Ich bin ein Bettelstudent und die Lust und Freud' hätt' ich nicht haben können, wenn du mir dazumal nicht das Geld gegeben, daß ich damit das viele Papier und alles Dazugehörige hab' kaufen können. Ich bedank' mich nimmer[138] dafür, ich hab's schon getan, ich sage das nur, daß du's glauben sollst, es wäre mir dazumal mit meinem Brief wenigstens so ernst gewesen, wie dir mit dem deinen. – Und jetzt, hast was abzurechnen mit mir, so sag's.«

Da sagte er: »Du bist halt ein anderer Leut', wie andere Leut'. Wenn du wieder einmal zwei Groschen brauchst, daß du dir ein gutes Jahr antun kannst, so denk' dran, daß ein Gott lebt und ein Holzknecht Krasel. Aber Liebesbrief – das weiß ich – Liebesbrief laß ich von dir keinen mehr schreiben!«

»Sollt' er nicht gewirkt haben, derselbe?«

Der Krasel zog mich in einen Winkel und flüsterte: »Nur viel zu stark hat er gewirkt, mein Mensch!« –

Das wollte ich erzählen. Aber nicht etwa, als möchte ich mein Liebesbriefschreiben anpreisen – das ist gut vorbei! – sondern um ein Beispiel zu sagen, wie arg die beste Meinung eines einfältigen Menschen mißdeutet werden kann. Leute, die es – wie der Holzhauer Krasel – nicht gewohnt sind, von anderen Herzlichkeiten zu erfahren, kann man mit kindlicher Gutmütigkeit manchmal bitter verletzen – sie glauben, es gibt auf der Welt nur Grobheit und Spott.

Das ist nun abgetan. Damals machte mir nur noch die angedeutete Wirkung des Liebesbriefes einige Sorge. Habe aber nichts Näheres darüber erfahren. Der Brief ist mir nach Jahren ganz zufällig wieder in die Hand gekommen – gar zerknittert, als hätte ihn einmal jemand in die zornige Faust gepreßt, und Wassertropfen müssen hingeronnen sein über die Zeilen.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 130-139.
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