Der Waldbauer, dieser Dodel!

[313] Schau, schau, das ist wieder schön! Ums Roß kommst du betteln. Habt ihr leicht das letzte Paar Ochsen auch schon verhaust?«

»Verhaust nicht,« antwortete der kleine Bub bescheidentlich, »aber die Kläseuch' (Klauenseuche) haben die Ochsen und können halt jetzt nicht ziehen.«

»So wiedet's die Kuh ins Joch!«

»Die Kuh hat jetzt ein Kalb.«

»So spannt's deinen Vater ein, der ist nix zu gut dazu; der wird eh schmöckend vor lauter Faulheit!«

»Faul ist er nicht, der Vater, Blut husten tut er.«

»Ja freilich! Das könnt' ein anderer auch sagen, wenn er nicht arbeiten will. Und herumliegen in der Sonn', bis er Maden ansetzt über und über. Was Vorstand! Bei der Schüssel ist er Vorstand. Und verdienen sollen ihm die Brocken andere Leut'! Der Dodel (Tropf)! Den werd' ich mir noch einmal vergunnen, deinen Vater, wenn er uns in die Einleg' kommt mit dem Bettelsack! Der Taderling, dem will ich das Bluthusten schon ausziehen, darauf könnt's euch verlassen! – Soll halt die Mutter an den Pflug!«

»Hat's eh schon versucht,« sagte das Bübel, »aber sie kann ihn nicht derziehen.«[314]

»Versteht sich! Das zernichte Zeugl nicht derziehen können! So ein Trum Weibsbild her! Soll sich halt das Kinderwerk abtun. Alle Jahr' kindern, das kann sie, aber die Arbeit sollen ihnen andere Leut' richten. Greif' du was an, Fratz! Gescheiter, wie alleweil in die Bücheln gucken, wo eh lauter Spitzbübereien drinnen stehen. Taugenichts, verdächtiger! Mein solltst du sein! Alle Tag' siebenmal unters Knie und karabatschen. Ausstampern einmal das ganze Waldbauernnest, nachher werden's schon ziehen können. G'lump, faules!«

Das hat sich vor Zeiten der kleine Waldbauernbub sagen lassen müssen von der Großbergerin, zu der er geschickt worden war, auf daß er bitte um ein Pferd. An anderen Berghängen grünten die Felder schon, beim Waldbauern lag der Acker noch ungebrochen, der Pflug stand bereits am Rain und hatte seine Scharre in den Rasen gewühlt, ihn weiter zu ziehen waren sie nicht imstande gewesen. Krankheiten bei Menschen und Vieh und anderes Ungemach hatten den Winter über gehaust bei diesen Leuten und sie in allem zurückgeworfen, so daß sie jetzt Nachbarshilfe ansprechen mußten.

Als der Knabe nun so schneidig abgefertigt war, watschelte er in seinem unten zerfaserten grauen Leinwandhöslein wegshin. Er war soweit ganz gleichmütig geblieben. Derlei Vorhaltungen war er schon gewohnt. Anfangs, als sie über den Vater oder gar über die Mutter so herfielen – das hat weh getan. Jetzt erschien es ihm fast selbstverständlich. Wurden doch auch die anderen armen Leute so verschimpft, wenn sie bitten kamen. Die Kohlenbrennerwaberl war die Fraßwaberl genannt, weil sie von dem, was ihr zum Almosen vorgesetzt wurde, nie[315] auch nur den geringsten Rest in der Schüssel ließ. Der alte Schwammnantel wurde verspottet und gemieden, weil er »Unfrutt« im Gewand hatte; denn niemand kümmerte sich um die Reinlichkeit des siechen Alten. Und erst die Holzknechtin Mariandel! Als die plötzlich mit einem kleinen Kind dahergekommen, waren alle tugendsamen Weiber der Gegend so grenzenlos empört, daß man ihr das schwarze Haar »schippelweis« ausreißen wollte, weil es diese Schlange geheim hielt – von wem. Sie mußte heilig schwören, nie mehr mit einem kleinen Kinde zu erscheinen und hielt den Schwur. Im nächsten Jahre kam sie nicht mit einem, sondern mit Drillingen. Da lachte sie sich vorweg den Hals voll über die schönen Namen, die sie bekommen würde. Die bekam sie auch, und dazu Windeln und Milch von den entsetzten Nachbarinnen.

Es geht überall so. Die Armen können sich nicht verteidigen, weil ihre Stimmen heiserer sind, als die der Wohlhabenden und Festgesessenen. Und wo doch einmal so ein schriller Laut hervorgellt, da kann's Prügel setzen, und diese Beweisgründe haben noch zu aller Zeit jeden Einwand niedergeschlagen. Auf solche Weise werden die vergewaltigten Leute ungut und ungeschickt, sie gewöhnen sich das überstürzte Reden an, denn auf eine geduldige Zuhörerschaft haben sie nicht zu rechnen. Sie müssen mit kurzen Worten viel zu sagen trachten und reden sich bei der Aufregung manchmal in eine große Dummheit hinein. Entweder sie sind eingeschüchtert, sagen gar nichts und geben also scheinbar eine Schuld zu, die sie nicht haben, oder sie schreien eine schauderhafte Beleidigung heraus, die dem Gegner erst recht das Heft in die Hand gibt. So nehmen sich die armen Leute wirklich zumeist ganz[316] dumm aus und glauben es am Ende selbst, daß sie's sind und glauben – verzagt geworden – noch mehr. Sie finden es in Ordnung, daß man roh und rücksichtslos auf ihnen herumtritt, kommen nur selten zum Nachdenken über das ihnen widerfahrene Unrecht, verstumpfen und versumpfen.

Im Waldbauernbübel war von der wüsten Rede der dicken Großbergerin nichts haften geblieben, als der Sinn: Das Roß ist nicht zu haben! – Er watschelte also mit hängendem Kopf durch den Krautgarten hinaus. Da schrie sie ihm plötzlich nach: »Saubub! Ob du nicht warten kannst, bis es ausgeredet ist. Kunnt dein Vater auch einen gescheiteren Boten schicken, heißt das, wenn das ganze Waldbauernhaus nicht voller Dodeln wär'. Stehn bleib', hab' ich gesagt. Heut' hat's Roß nit Zeit. Morgen wird's der Knecht hinüberführen und euch den Dreck anbauen.«

Die gute Großbergerin! Das Bübel war voller Rührung. »Ein bissel scharf ist sie gewesen,« berichtet er nachher daheim, »aber das Roß kommt morgen mitsamt dem Knecht.«

Der Großberger Pferdeknecht war ein zugereister »Krobat« und seine grobe Rede holperte, als ob sie über lauter Steinhaufen gehen müßte. Er war ein unsauberer Gesell und hatte auch schon Anstände bei dem Richter gehabt. Na, dieser Knecht behandelte den Waldbauern großartig. Der Waldbauer war zwar seit zwei Jahren gewählter Gemeindevorstand, aber das respektierte der Knecht nicht, wie es eigentlich niemand respektierte im ganzen Gau. Gleichwohl kamen sie zu ihm, wenn irgend etwas außer der Regel war. Dieser Gemeindevorstand hatte bei den Amtshandlungen verhältnismäßig nur wenige Torheiten gesprochen, er redete ganz anständige Klugheiten, aber[317] zu leise sagte er sie. Und eine leise gesprochene Klugheit nimmt sich dümmer aus, als eine mit mächtigem Brustton hervorgebrachte Dummheit. Zwar nicht allemal. – Wir wollen jetzt den Pferdeknecht voran lassen. Der hatte gehört, wie seine Großbergerin von den Waldbauernleuten sprach, er behandelte diese also teils mit zerschmetternder Derbheit, teils mit sprachloser Verachtung. Den kränklichen Waldbauern, der unsicher, blaß und demütig den Pflug an den Hörnern führte, nannte er abwechselnd Lalli, Dalgerd, Motzer, Locherl, Britsch und Dodel. – Die Waldbäuerin versuchte es, einen besseren Humor aufzupäppeln und schickte den Zwillingstopf aufs Feld; in dem einen Teil war feister Sterz, in dem anderen Rahmmilch. Der Bub trug das doppelte Ding am Henkel; fast feierlich trottete er damit einher, in dem Glauben, er trüge eine große Versöhnung mit sich.

Das schickt die Mutter dem Fuhrmann für Vormittag!« Mit solcher Anrede überreichte er den Zwillingstopf.

Der Knecht packte ihn heftig an und rief: »Nau, was wird denn das wieder für ein Fressen sein!« Dann roch er und stellte das Essen vors Pferd hin: »Vielleicht weißt du was damit anzufangen, Brauner. Ich nicht.«

Das Pferd schnupperte dran und stieß mit der Schnauze das Geschirr um, Sterz und Milch lagen im Grase.

Der Waldbauer war ob solcher Ablehnung nicht ermutigt, aber er schwieg. Er bedurfte ja des Fuhrwerks, und ein einziges Wort hätte ihn drum bringen können. Langsam und schwerfällig leitete er den Pflug; er war erschöpft. Es tat ihm leid um das verschüttete Essen.[318]

Der Knecht fuhr ihn an: »Wieviel Knödeln hast denn heut' wieder im Bauch, Dodel, daß du dich nicht rühren kannst?«

Als der Waldbauer friedfertig antwortete, daß er des Morgens nur ein paar Löffel voll Topfensuppe gegessen hätte, gröhlte der Knecht auf und rief: »Recht geschieht dir, alter Dürrmagler, wenn du hin wirst. Wer sich von anderen Leuten das Brot anbauen lassen muß, um den ist's kein Schaden. Verdammtes G'lump übereinander!« Dem Pferde gab er mit dem Peitschenstecken einen Schlag, daß es erschreckt voransprang und der Waldbauer bei dem plötzlichen Ruck stolpernd fast auf das Gesicht gefallen wäre. Der Knecht war ärgerlich. Ihm tat's jetzt leid um Sterz und Milch. Und den Zorn darüber, daß er das Essen verschüttet, wollte er an anderen auslassen. Als hernach die Raststunde kam, sagte er zum Waldbauern: »Gib aufs Roß achting, alter Locherl!« und ging in die Schlucht hinab. Der Waldbauer wischte sich mit dem Ärmling den Schweiß von der Stirn und sagte für sich: »Eine traurige Sach', wenn der Mensch arm ist.« Der Knabe, der da war, um die schlechtgebrochenen Furchen mit einer Haue zu zerhacken, hörte es, und da hub sein Vater an so sehr ihn zu erbarmen, daß er in einem grellen Schrei ausweinte.

Als der Knecht von der Schlucht zurückkam, hatte er etwas bei sich, das in ein blaues Sacktuch gewickelt war.

»Dein Furchenzerhacken ist für die Katz!« fuhr er den Knaben an, »geh', Nixnutz, trag' Stauden zusammen und mach' Feuer. Eure Mehlpampsen zu Mittag werden ja doch wieder nicht zum Fressen sein. Zu diesen lausigen Leuten muß man selber sein Essen mitbringen, will man[319] nicht verhungern. Eine schundige Wirtschaft, meiner Seel'!«

Als am Rain das Feuer knisterte, torkte der Knecht hin, häufte Glut und warf ein großes Stück Rohfleisch hinein. Wie prächtig es gebraten wurde, weiß man nicht; raucheln tat es, der Knecht aber nahm das Stück in die Faust und biß drein. Während des Kauens fluchte und schimpfte er unaufhörlich darüber, daß einer bei diesem »G'fröttbauern« schon einmal gar nichts Ordentliches zu essen bekäme. »So, da hast auch was!« mit diesem Worte warf er dem Waldbauern die Knochen vor.

Vom Waldhause her schrillte ein Pfiff. Die Bäuerin rief herab, der Vater sollt' heimkommen, es wär' jemand da, der was Notwendiges zu reden habe mit dem Vorstand.

So war der Bub nun ganz dem schrecklichen Knecht überantwortet. Er sollte den Pflug führen und wurde von dem holpernden Ungetüm so mächtig hin und her geschleudert, daß der Fuhrmann auflachte: »Nichtige Kochschneck, schau, daß du weiter kommst!« Er packte den Kleinen an den Arm und warf ihn auf die dampfenden Furchen hin.

Vom Hause her wurde das zweitemal gepfiffen. Der Knecht solle ausspannen und hinauskommen.

»Eßt ihr eure Talken selber!« gab der Knecht zur Antwort.

Nein, nicht zur Mahlzeit wäre es. Er solle nur hinauskommen.

Das verblüffte den Knecht ein wenig und er tat, als wolle er das Pferd ausspannen und gegen seinen Großbauernhof treiben. Nun kamen sie aber schon herab, der Nachbar Grieslacher und sein Bruder, der Jokel, und[320] zwei andere Männer und der Waldbauer. Dieser Waldbauer war aber jetzt nicht mehr der Dalkerd, auch nicht der Locherl, und schon gar nicht der Dodel, sondern der Gemeindevorstand. Er war so sanftmütig wie vorher und sagte zum Knecht: »Stephan, jetzt wirst du müssen Feierabend machen.«

Dann setzte er sich auf den Pfluggründel, die anderen standen ringsherum, der Grieslacher und sein Bruder hatten den Knecht zwischen sich.

Der Waldbauer streifte sich die Erdkrumen von den Schuhen, er war verlegen.

»So heb' an, Vorstand!« drängte der Nachbar.

Der Waldbauer wendete sich gegen den Knecht und sagte: »Du, ich muß dich um was fragen, Stephan. Gelt, du gibst mir gottsaufrichtig Antwort?«

Dem Knecht wurde jetzt ungleich. Das war eine höchst befremdliche Feierlichkeit. Er tat, als wollte er anfangen zu schimpfen, denn seine Schweigsamkeit kam ihm selber verdächtig vor.

»Sag' uns, Stephan: In der Philipp- und Jakobinacht bist du wohl daheim gewesen in deinem Bett?«

»Warum soll ich nicht daheim gewesen sein?«

»Ich hab' nur gefragt.«

»Wo soll ich denn gewesen sein bei der Nacht, als daheim!«

»Weißt du es gewiß?« fragte der Waldbauer. »Denke nach. In der Philipp- und Jakobinacht. Das ist die Nacht gewesen am vorigen Samstag bis auf den Sonntag.«

»Sakra, was hat's denn? Daheim bin ich gewesen und geschlafen hab' ich die ganze Nacht.«[321]

»Sie ganze Nacht? Sag' es noch einmal, aber bedenk's vorher. Ich laß dir Zeit dazu.«

»Brauch deine Zeit nicht. Geschlafen hab' ich die ganze Nacht.«

»Sie sagen aber, du wärst in derselbigen Nacht auf der Puchebene beim Maibaumsetzen gesehen worden!«

»Wen geht's was an!« fuhr der Knecht jetzt derb drein, »das Maibaumsetzen ist nichts Schlechtes.«

»Das meine ich wohl auch,« drauf der Waldbauer, »und desweg möcht' ich nur wissen, warum du so fest gesagt hast, daheim wärst du in derselbigen Nacht gewesen und geschlafen hättest du die ganze Nacht.«

Der Knecht hub an, aus sich herauszugehen. »Was habt's denn mit mir? Ich laß mich nicht ausfragen wie einen Spitzbuben, von dir nicht, alter Dodel!«

»Oho!« riefen die Männer. »Vergiß nicht, vor wem du stehst.«

»Was ist denn Schlechtes geschehen beim Maibaumsetzen, he?«

»Gewiß nicht, Stephan, vom Maibaumsetzen weiß kein Mensch nichts Schlechtes,« sagte der Waldbauer immer in gutmütiger Weise. »Aber wenn du uns schon die Philipp- und Jakobinacht verleugnet hast, wo nichts geschehen ist, so wirst uns die Nacht vom Montag auf den Erchtag noch gewisser verleugnen, wo was geschehen ist.«

Der kleine Waldbauernbub betrachtete den Knecht und könnte heute noch den Ruck beschreiben, der jetzt auf einmal den ganzen Kerl erschüttert hat. Aber nur einen Augenblick hatte ihn die unverhoffte Wendung so gestoßen, dann stand er wieder starr wie ein Holzstrunk zwischen den zwei Männern.[322]

»Da ist der Grieslacher zu mir gekommen,« fuhr der Waldbauer fort, »und hat erzählt, daß ihm in der Montagsnacht seine beste Sau aus dem Stall gestohlen worden ist.«

Der Knecht hub an zu erstaunen, wer denn so sumpflackenschlecht sein könne und dem Grieslacher eine Sau stehlen! Daß es doch gar so schlechte Leut' geben könne auf der Welt!

Sagte der Grieslacher: »Tu, Stephan, möchtest nicht so gut sein und uns dein Taschenmesser ein bissel anschauen lassen? Das mit der Hirschhornschale, weißt eh.«

»Mein Messer, warum denn nicht?« Der Knecht griff in die Taschen, fand es aber nicht gleich. »Ist ja wohl nichts dran, ist ein alter Scherben.«

»Schau, der Vorstand möcht' just einmal so ein hirschhornschalenes Messer sehen, 's hat sonst keiner eins.«

Der Knecht suchte sehr angelegen das Messer. »Wo es nur steckt! Sollt' ich den Scherben daheim vergessen haben? Ist eh ein rechter Scherben. Wenn ich ihn gar verloren hätt'? Liegt auch nichts dran.«

»Sollt's vielleicht das sein?« fragte der Grieslacher und hielt in der flachen Hand ein Taschenmesser mit Hirschhornschale hin.

»Kümmere mich nicht drum,« rief der Knecht und hieb mit seiner Hand in die leere Luft hinein.

»Nicht so, Stephan, was dein ist, bleibt dein, und um seine Sach' muß sich der Mensch rühren. Hab's ja gleich gesagt, das ist dem Großberger Knecht sein Messer, wie ich's gefunden hab' im Schachen, wo die gestohlene Sau geschlachtet worden ist. Siehst eh noch das Blut dran. Abwaschen tun wir's derweil nicht.«[323]

»Das dumme Messer da hat mein Lebtag nie mein gehört« versicherte der Knecht.

Hierauf ging ein schnelles Hin- und Widerreden an, sogar der langsame Waldbauer entfachte ein Kreuzfeuer.

»Knecht Stephan,« sagte er, »du hast dir dort – die Glut glost eh noch – vorhin ein Schweinernes gebraten.«

Der Knecht: »Vergunnst mir's etwan nicht, das bissel Kälberne?«

Der Gemeindevorstand: »Gunnen, wohl, wohl, hast mich ja mithalten lassen wollen. Schau, da liegt noch so ein Knöchel. Aber Kalbsbein ist das keins.«

Ber Knecht: »Was weiß ich! Bei so einem Hungerbauern frißt man; was man zu schenken kriegt.«

Ber Vorstand: »Zu schenken, sagst? Stephan, du hast dem Grieslacher die beste Sau mitsamt den drei Ferkeln gestohlen.«

Der Knecht: »Das ist derlogen! Ferkeln nicht!«

Der Vorstand: »Also nur die Sau. – Nachher wären wir so weit.«

Der Knecht setzte zu einem Sprunge an, da hielten sie ihn schon fest.

»Tut's ihn halt zum Bezirksgericht treiben,« sagte der Vorstand.

»Treiben!« schnob der Knecht wütend auf, »treiben wie ein Vieh! Waldbauer, mir scheint, du weißt es nicht, daß man auch einen Angeklagten nicht schimpfen darf, sonst kannst kurios eingehen, mein Lieber!«

»Also nicht treiben, nur führen. Mußt schon verzeihen, ich kenn' mich bei den Spitzbubenbräuchen nicht so aus.«[324]

Wie der Knecht vorhin ihn selbst mit den niedrigsten Schimpfwörtern überhäuft hatte, an das erinnerte er gar nicht. War auch was anderes, Bauer. Das Kriminalgesetz sagt für diesen Fall nur, daß der Delinquent nicht geschimpft werden darf. Ein armer Notbauer ist doch kein Delinquent!

Also, der Großberger Knecht ist fortgeführt worden. Und war es wieder ein Beispiel, wie der Waldbauer überall Malheur gehabt hat. Lange hatte er in seiner Bedrängung keinen Knecht bekommen können zum Anbauen in diesem Notjahr, und als er endlich doch einen gefunden, mußte er ihn vom Acker weg einsperren lassen.

Was die schneidige Großbergerin über eine solche Undankbarkeit gesagt, das dürfte sich der Leser reimen können. Als das Richteramt vorüber, war der Vorstand wieder der notige Waldbauer, der erst recht alles einstecken mußte, wie es sich für arme Leute geziemt. »Meinetwegen,« sagte er gerne, »das macht mich nicht besser und nicht schlechter. Ein solches Krepierl, das das Schimpfen nimmer aushalten kann, bin ich halt doch nicht.«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 313-325.
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