Die Botschaft des lachenden Hausel.

[52] Der Mur entlang, ins Gebirge hinein – und weiter als gewöhnlich.

Meinen braven Hammermeister Sallinger wollte ich wieder einmal sehen, den behäbigen, lebenslustigen Mann, der täglich glatt rasiert war wie der Pfarrer, bis auf den weißen Schnurrbartbusch, der zu den breiten roten Wangen und zu den kleinen grauen Äuglein kein schlechtes Farbenspiel gab – ein gutmütiger, stets frohgesinnter Herr; der freilich leicht munter sein konnte, weil das ganze Tal ihm gehörte – die pochenden Zeug- und Sensenschmieden, die klappernden Mühlen, die schnarrende Brettersäge, die Huben und Hütten und auch das Dorfwirtshaus, in welchem er zugleich Wirt und Gast war.

Verfinstert konnte sein rundes Gesicht nur werden, wenn von Napoleon III. die Rede war, der dazumal mit der Weltkugel Kegel schob, wie Herr Sallinger sagte. Der Hammerschmied war als grimmiger Franzosenfeind bekannt weitum, und wer schneidig gegen den Napoleon loszog, wenn auch nur mit der Zunge, dem war er ein opferwilliger Freund und traktierte ihn im Wirtshaus mit Wein und Tabak. Der Hammermeister las seine Zeitung, und dem geradsinnigen Bergsohn war die Falschheit, Politik genannt, mit der Napoleon damals Europa regierte, von jeher ein Greuel gewesen. Dann war noch[53] ein besonderer Grund dazu gekommen. Im Jahre 1859 mußte sein Sohn, trotzdem er »losgekauft« war, zu den Soldaten und ward bei Solferino in Welschland auch glücklich erschossen. Jenen Krieg hatte Napoleon gemacht; so betrachtete der gute Hammerschmied »diesen größten Schurken, der je eine Krone getragen«, nicht bloß als das Unglück seines Vaterlandes, sondern auch als seinen persönlichen Feind. Einmal hörte ich ihn sagen: »Nur deswegen möchte ich in die Hölle kommen, daß ich zuschauen könnte, wie die Teufel dieses Biest zwicken und stechen und braten und mit den Zähnen zerreißen werden.« Die Sensen, die der Schmied machte, hatten für Sensen fast zu wenig Krümmung. »Sie sollen auch als Säbel zu brauchen sein,« sagte Herr Sallinger.

Anfangs der siebziger Jahre machte ich die Bekanntschaft dieses Mannes. Ich war damals auf Ferien in die Gegend gekommen, hatte im Wirtshause absichtslos über den großen Taschenspieler an der Seine ein Wort fallen gelassen, worauf der behäbige Herr sich ins Gespräch mischte und mich schließlich einlud, in seinem Hause mich als Gast zu betrachten und mir wohlsein zu lassen, so lange es gefällig wäre.

Sehr gern machte ich, der damals heimatlose Bursche, davon Gebrauch, blieb mehrere Wochen im Orte, fuhr im Wagen des Hammerherrn durch das Tal, machte zu Fuß Ausflüge ins Hochgebirge, und die Abende verbrachte ich in Gesellschaft Sallingers, der allerhand Spaß wußte, ein Freund von Schabernack war, dazwischen auf das, was ihm nicht gefiel, in deutscher Derbheit losfluchte, manchen Gesellen, der ihm widersprach, zur Tür hinauswarf und andere, die er leiden konnte, mit Wohltaten[54] überhäufte. Er lebte immer in einer Art Gefühlsrausch, dem er sich ganz hingab, sei es in Zuneigung oder in Haß. Ich hatte oft meine Not, Gespräche zu vermeiden oder unauffällig abzubrechen, in deren Gegenständen ich ihm nicht beistimmen konnte; um so freier und flotter ließ ich mich gehen, wo wir einer Meinung waren. Als der Herbst kam, fragte er mich, ob ich nicht den Winter bei ihm zubringen wolle, er lasse mir ein recht behagliches Zimmer einrichten mit der Aussicht auf den Fluß, den ich ja schon so hübsch beschrieben hätte und auf die Waldberge, über denen ich meinen lieben Freund, den Winter, sattsam wüten sehen könne. Studieren und Dummheiten schreiben, meinte mein Gastherr, könne ich auch bei ihm auf dem Lande; die langen Abende würden wir bei einem guten Glase gemeinsam zubringen. Es war verlockend, allein dem kleinen Orte fehlte eine regelmäßige Postverbindung, die ich bei der Natur meiner damaligen Arbeiten nicht leicht entbehren konnte.

Wöchentlich ein- oder zweimal wurde ein Bote in das Murtal hinausgeschickt, um in einem Buckelkorbe Welt ins Gebirgsdorf zu tragen, Kleinigkeiten, die man beim Krämer daheim nicht bekam und deren man doch nicht ganz entraten konnte. Dieser Bote, der lachende Hausel genannt, brachte auch etwaige Briefe mit und die Zeitung, welche Herr Sallinger hielt. Der lachende Hausel war ein Mensch jener Gattung, die man im Gebirge »Halbpelzer« nennt. Er war der Sohn eines Blechschmieds und ging manchmal hausieren mit dem Vorrate alter Waren, die sein Vater ihm als Erbschaft hinterlassen. Immer hatte er eine Anzahl von Kerzenleuchtern, Lichtputzen, Drahthafteln usw. in seinem Korbe, die er in[55] jedem Hause, wo er zu tun hatte, mit seinem breiten, lächelnden Bartstoppelgesichte ausbot, und die er nirgends mehr an Mann brachte, seitdem die Kerzen vom Petroleum, und die Drahthafteln von den Beinknöpfen verdrängt worden waren. Statt ihm etwas abzukaufen, schenkte man ihm kleine Gaben, denn er hatte außer sich selbst auch noch seine alte Mutter zu ernähren. Sein Sprechen war nur ein abgebrochenes Stammeln und alle Eigennamen sprach er wie ein Kind in verkleinernder Form aus. Weil er beständig lächelte, so hatte er den Spitznamen »der lachende Hausel« bekommen. Ich habe selten so vergnügte Gesichter gesehen auf der Welt, als das dieses armen Burschen gewesen.

Eines Abends saßen wir, Herr Sallinger und ich, zusammen beim großen Tisch in der Wirtsstube, tranken Obstwein, rauchten etwas dazu und besprachen die Nach) richten vom Kriegsschauplatz, die Schlachten von Saarbrücken und Wörth und wie es sonst den »Preußen« ergehen mochte in Frankreich. Draußen auf den Bergspitzen leuchtete noch die Septembersonne. Das Gesinde brachte seine Arbeitsgeräte in Gewahrsam und schickte sich an zum Nachtmahlessen. Da torkelte zur Türe der lachende Hausel herein, lachte uns an und stellte mit vieler Umständlichkeit den Korb auf eine Sitzbank. Hernach begann er die mitgebrachten Sachen auszupacken: Ein paar Faßpippen vom Drechsler, ein Stück Preßgerm vom Brauer, eine alte Sackuhr vom Uhrmacher, der ihr neue Spindeln eingesetzt hatte, ein paar zerknitterte Briefe, die draußen in der rußigen Postmeisterstube anscheinend schon ein Weilchen den Fliegen als Tummelplatz gedient hatten, und Zeitungen.[56]

»Da halt noch was haben, Herrle kaufen,« sagte der Hausel bescheidentlich, »schöne Kerzenleuchter, Lichts putzen –«

»Ist schon gut, Hausel! Brauchen keine!« rief ihm Herr Sallinger ins Ohr, denn der Hausel war auch schwerhörig; dann befahl er, daß dem Boten eine Schüssel voll Fleischbrühe und ein Glas Obstwein gereicht werde, setzte sich abseits an einen Tisch und begann die Zeitung zu lesen.

Der Hausel kam nun an mich heran und feilte mir eine halbverrostete Lichtschere.

»Vielleicht braucht der Herr Pfarrer eine,« redete jetzt ein alter Schmiedgeselle vom Nebentisch her drein.

»Wieso just der Herr Pfarrer?« fragte ich.

»Weil er das neue Licht noch nicht hat und beim alten das Schneuzen schon gewohnt ist.«

Ich lugte den schwarzen Gesellen nicht ganz ohne Mißtrauen an. Es wurde damals gerade Kulturkampf gespielt und ich vermute fast, daß die Bemerkung vom Lichtschneuzen einen bösartigen Hintergedanken hatte.

Plötzlich in der Stube ein schreckbar greller Schrei. Herr Sallinger an seinem Tische war aufgesprungen, hieb – das Zeitungsblatt in der Hand – mit den Armen in der Luft umher und rang nach Athem. Wir alle waren auf das höchste entsetzt und ich erwartete, daß er im nächsten Augenblick vom Schlage getroffen zusammenstürzen werde. Anstatt dessen fiel er mir um den Hals und schlug – im Auge helle Tränen – ein schallendes Gelächter an.

»Was ist Ihnen? Was ist Ihnen?« fragte ich.[57]

»Ah – ah! – da!« gurgelte er und stieß mir das Zeitungsblatt an die Brust, »– ich kann – kann nicht – lesen Sie!«

Was war geschehen?

Mit zitternder Hand nahm ich das Blatt, und während er offenen Mundes und ächzend vor Aufregung auf das Papier starrte, suchte mein Auge nach der Ursache und – fand sie auch.

In der Zeitung stand das amtliche Telegramm von einem großen Siege der Deutschen gegen die Franzosen bei Sedan und von der Gefangennahme Napoleons.

Ich selbst hatte die Fassung verloren. Das ganze Haus war in größter Bestürzung zusammengelaufen und wußte nicht, was denn geschehen sein mochte, daß der Herr Sallinger und der Student sich in den Armen lagen und laut weinten und lachten.

Endlich war es doch so weit, daß Sallinger, die Zeitung wie eine weiße Fahne schwingend, laut ausrufen konnte: »Liebe Leute! Morgen ist Feiertag! Essen, trinken, was gut und teuer ist! Musikanten her! Pöller laden! Freudenfeuer! – Der Napoleon gefangen! Von den Preußen! Na, na, von den Deutschen! Die Franzosen besiegt! Von den Deutschen! Schmiedmichel, ein Bussel kriegst! Und du auch eins, Großknecht! Und du auch eins, Stalldirn! – Jesses, mein Weib! Die liegt auf dem Kirchhof! Aufwecken! Der Napoleon ist hin! Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit, Amen!« – So schrie er und umarmte jeden und jede vor Glückseligkeit.

In solchem Freudentaumel war er auch an den Hausel gekommen, der bei seiner Suppe saß. Vor diesem wurde Sallinger ruhig und er sagte laut, daß es alle[58] hören konnten: »Hausel! In Gold kann man dich nicht fassen, weil du darin ersticken müßtest. Du hast uns die Botschaft gebracht. Die allergrößte Freud' in meinem ganzen Leben hast du mir gebracht! Vom heutigen Tag an hast du bei mir das Gnadenbrot. Das Häusel unten bei der Brücken, das gehört dein, so lang' du lebst. Und jetzt, Hausel, lachender, himmlischer Kerl du, jetzt kriegst eins!« Er packte ihn am Haupt und bedeckte es mit Küssen.

Der Hausel wischte sich den Mund ab und glotzte sehr verwundert drein. Als er es endlich faßte, die Franzosen wären danieder, machte er mit den Fäusten die Miene des Zustoßens, dann kam wieder sein Lächeln.

Das Volksfest begann sofort, währte die ganze Nacht und den nächsten ganzen Tag. Im Keller rannen zwei Weinbrunnen ununterbrochen. Was tanzen konnte, das tanzte, wer Stimme hatte, der sang und jauchzte. Auch die Kerzenleuchter des Hausel kamen zu Ehren, denn im Hause wurden die Lampen zu wenig. Sallinger wollte unbändig viel Licht haben und ließ alles anzünden, was an Öl, Kerzen und Lunten vorhanden war. Um Mitternacht war auf der nächsten Anhöhe auch der Holzstoß fertig geworden, und zur Stunde, als er bei Pöllerkrachen in Brand gesteckt wurde, kam mein Gastherr mit verstaubten Flaschen aus dem Keller. Vor Jahren war draußen im Stifte zum Heiligen Kreuz Kellergut versteigert worden. Der Hammerherr hatte ein paar Dutzend Rheinweinflaschen erstanden und damals gesagt:

»Der Tropfen wird getrunken, wenn der alte Schwindler an der Seine umsteht!«

Was nun geschehen, war mehr als »umstehen«, also Rheinwein! Rheinwein![59] Der Herr Pfarrer; der natürlich mit uns war, wollte anfangs die richtige Stimmung nicht finden. Es sei sehr zweifelhaft, meinte er, ob die neuesten Ereignisse zum Heile der Kirche ausschlügen. Beim goldenen Rheinwein verwandelte sich der künstliche Römer in einen echten, wackeren Deutschen, als der er ja in einem oberländischen Bauernhofe geboren worden, und wir stießen unsere Becher an auf die Herrlichkeit des deutschen Volkes. –

Der Tag ist mir unvergeßlich. Als das Fest vorbei und im Tale wieder die gewöhnliche Ordnung zurückgekehrt war, fuhr Herr Sallinger hinaus zum Notar und verschrieb Form Rechtens dem Baldhauser Lechhammer das Häusel an der Brücke und die Verpflegung für ihn und seine Mutter auf lebelang.

Endlich war für mich der Tag der Abreise gekommen. Bei derselben sagte mein Wirt: »Die letzten Ereignisse haben mich um zehn Jahre jünger gemacht. Also hoffe ich noch lange zu leben und Sie noch oft in meinem Hause zu sehen. Jedenfalls mache ich es Ihnen zur Pflicht, den Jahrestag von Sedan allemal dort zuzubringen, wo Sie ihn das erstemal gefeiert haben. Sie sollen auch nirgends als dort einen besseren Wein finden.«

Mein Geschick nahm einen etwas unvorhergesehenen und unsteten Verlauf; und volle fünfzehn Jahre vergingen, bis es mir vergönnt war, der Einladung Folge zu leisten.

Endlich aber doch. Der Mur entlang ins Gebirge hinein – und weiter als sonst.

Um die Nachmittagszeit kam ich ins Tal. Es fiel mir nicht auf, daß die Eisenhämmer schwiegen. An der[60] Brücke, die zum Dorfe hinüberführte, unter dem Mautbaum saß ein altes Männlein, dessen unbedecktes Haupt fast wie ein Schneeballen aussah, so weiß waren Haar und Bart, wovon das kleine runzelige Gesicht schier verdeckt schien. Ich trat zu ihm, um mich nach Herrn Sallinger zu erkundigen. Er stand auf und mir mit gebogenem Finger winkend, torkelte er ins Haus. Ich folgte ihm, doch anstatt drin mir etwas vom Hammerherrn zu erzählen, begann der Alte ein in Lappen gewickeltes Ding zu enthüllen und fragte lächelnd und lallend, ob ich ihm nicht eine Lichtputze abkaufen wolle?

Also der gute Hausel. Und wenn der schon so schneeweiß war, der dazumal braun gewesen, wie weiß mußte erst mein vor fünfzehn Jahren schon grauer Hammerherr sein! Ich stieg den Berg hinan gegen das Wohnhaus. Leute begegneten mir, die herabkamen und allerlei Gegenstände, Kästen, Wanduhren, Sessel, Bilder und andere Hausgeräte mit sich führten. Sie hegten miteinander lebhafte Gespräche, und jedes schien sich seines Gegenstandes zu freuen. Das kam mir wunderlich vor. Nun eine Gruppe von Weibern, die miteinander zankten; so viel ich aus dem wirren Geschrei merkte, hielten sie sich voneinander für übervorteilt. In einem dieser Weiber, das buckelig am Stock daherhumpelte, erkannte ich die Schwester des Hammerherrn, welche ihm vor Jahren den Haushalt geführt hatte. Sie hatte mich auch erkannt. »Ist das nicht der Student?« rief sie. »Ja, der kommt zurecht. Wir sind just fertig worden.«

Was es denn gäbe, war meine Frage.

»Haben gerade den Bruder vergantet!« schrie sie fast lustig. »Kein Wandnagel ist ihm verblieben. Von der[61] Hosen, die er anhat, gehört kein Faden und kein Knopf mehr sein. Ja, ja, so geht's den Herren Verschwendern!«

Damit war der Rudel vorüber.

Nun wendete ich mich an einen Mann, der gebückt unter einer großen Matratze herabkam. Der warf seine Last an den Wegesrand hin, setzte sich drauf, und deutete mir mit wenigen abgerissenen Worten an, wieso das gekommen war. – Schlechte Zeiten. Große Fabriken haben die Eisenhämmer umgebracht. Hammerherren sind das Wohlleben gewohnt. Geld aufnehmen. Schulden. Wucherer. Gant. Bettelmann. – Das war's. Ich fühlte mich dem Manne ordentlich dankbar, daß er sich nicht in lieblosen Ausdrücken erging.

»Wo finde ich jetzt Herrn Sallinger?« war meine Frage.

»Da kommt er schon,« antwortete der Mann, packte sich das Bett auf und haftete wegsher.

Von der Anhöhe herab kam ein Steirerwäglein auf dem Radschuh dahergeschliffen; eine eckige, kopfhängerische Mähre hatte zu tun, das Gefährte zu halten, es wollte allzu schnell talwärts. Auf dem Wäglein neben einem großen Handbündel saß mein guter Sallinger. über sein Aussehen erschrak ich freudig. Das war noch das runde, wohlrasierte Gesicht; und das Haupt? Mit weißen Haaren gab sich dieses nicht ab, lieber gar keine.

Da man auf solchem Wege, wie er ihn eben machte, nicht gerne einen guten Bekannten begegnet, so wollte ich mich hinter einen Busch bergen, bis er vorüber war. Doch er hatte mich gesehen.

»Sie kommen schon en spät, wenn Sie was kaufen[62] wollen,« redete er mich an und hielt den Pferderiemen fest. »Wir sind fertig!«

»So etwas – hätte ich nicht erwartet....«

»Warum?« fragte er. »Finden es doch in jedem Tal heutzutag, daß die alten Hammerschmiede abwirtschaften.«

»Ist alles hin?« war meine Frage.

»Nein,« antwortete er und hieb mit der breiten Hand auf das Bündel. »Das ist mein! Das Roß wär' mir am End' auch noch geblieben, brauch's aber nicht. Nur zum Siedeln.«

»Wohin fahren Sie; Herr Sallinger?«

»Im Murtal draußen habe ich Verwandte, die will ich jetzt einmal besuchen.«

In diesem einen, so zuversichtlich hingesprochenen Worte enthüllte sich mir seine ganze bemitleidenswerte Zukunft.

»Aber so setzen Sie sich doch zu mir!« rief er und machte auf dem Wäglein Platz. »Draußen dem Lahmbachwirt kaufen wir ein Glasel Wein ab.«

Ich wollte nun dem heimatlosen Alten über diese Tage hinweghelfen, so gut es ging.

»Rauchen wir eine!« sagte Herr Sallinger jetzt und langte in seine Rocktasche, um mir eine Zigarre auszuwarten. Es war aber keine drin. Zum Glücke – es war mir ein wirkliches – hatte ich deren bei mir und staunend sah ich zu, wie er sich den Stengel mit aller Behaglichkeit anbrannte.

Als wir zur Brücke kamen, senkte sich vor unserem Pferde so eine Art Schlagbaum. Ich langte nach dem Mautgroschen.[63]

»Gott, es ist ja nicht das!« lachte Herr Sallinger; er will uns nur seine Kerzenleuchter und Lichtputzen verkaufen. – »Brauchen keine, Hausel, brauchen keine!« rief er dem Alten zu, der neben dem Wege stand und die Kette des gesenkten Schlagbaumes in den Händen hielt.

»Vorwärts!« befahl Herr Sallinger.

»Nein! Nein!« gröhlte der alte Hausel und seine Hände zitterten vor Aufregung. Nur zur Not verstanden wir es, als er nun schrie: »Herrle nit fortgehen! Dableiben! Sein Häusel das! Sein Häusel!« Er sprang an die Tür des kleinen Hauses, stieß sie auf und lud den Herrn mit bittender Gebärde ein, auszusteigen und einzutreten. »Ich gar nicht brauchen!« lallte er, »ich hausieren gehen. Herrle heim! Herrle heimbleiben!«

Wir blickten uns an.

»Ist dieses Haus, welches Sie damals dem Boten verschrieben haben, auch mitvergantet worden?« war meine Frage.

»Das gehört ja dem Hausel,« antwortete Herr Sallinger.

»Es gehört Ihnen!« rief ich.

»Es ist wahr,« sagte er. »Wir würden uns ganz gut miteinander vertragen, der Hausel und ich. – Na, Fuchs, dann könnten wir ausspannen.«

Er hat seine Verwandten im Murtale nicht besucht und die sollen darob nicht trostlos gewesen sein. Er ist unter der Pflege einer rührsamen alten Magd im Häuschen verblieben, das er voreinst dem Sedanboten zugeeignet. Der Hausel ging manchmal zu den Leuten umher, um seine Lichtputzen und Drahthafteln auszubieten,[64] die längste Zeit jedoch saß er am Schlagbaum und nahm die Mautgroschen ein.

Herrn Sallinger ging es – wieer selbst versicherte – nun sehr gut, er hatte keine Wirtschaftssorgen und keine Behelligungen von Gläubigern mehr auszustehen. Sein einziges Mißgeschick war, daß er immer wohlbeleibter wurde. Zwei Jahrestage des Sedansieges hatten wir noch mitsammen gefeiert, und zwar bei der gebenedeiten Blume des Rheins. Als ich das drittemal angerückt kammit meinem Flaschenkorbe, bot mir der Hausel keine Lichtschere zum Kauf. Er brauchte sie just selber, indem er damit die zwei Kerzen auslöschte, die an der Bahre des alten Hammerherrn Franz Sallinger gebrannt hatten.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 4: Der Student auf Ferien, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 20, Leipzig 1914, S. 52-65.
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