Der Warzenkrieg.

[347] Die Milch war ausgelöffelt. Die Schüssel, die so groß war, daß man in ihr Zwillinge hätte baden können, zeigte auf ihrem gelblichten Grunde den schwarz gemalten »Süßen Namen«1. Sonst, wenn manchmal die Milch so dünne gewesen, daß die Buchstaben schon erklecklich früh durch die bläuliche Flüssigkeit schimmerten, nannten die boshaften Knechte das eine »Süße-Namen-Suppen«. Heute hatte es keine »Süße-Namen-Suppen« gegeben, denn wir waren mitten im Sommer, und da brachten die Kühe viele und fette Milch nach Hause.

Wir saßen noch um den Tisch herum. Der Vater kratzte vom Brotmesser die Krusten, der Florl stopfte sich eine Pfeife, ich rieb mit dem Ellbogen meine messingenen Hosenknöpfe, um sie für den Sonntag auf Glanz zu stellen. Reden taten wir so nebenbei; weil uns recht wenig einfiel, so sagten wir das wenige mehrmals und es war auch gut. Jetzt trat der Hieselegger Knecht in die Stube, ein hagerer, etwas schief gewachsener einäugiger Bursch mit einem borstigen Schnurrbart, aber sonst ganz sauber beisammen. Er hatte auch schon Feierabend bekommen. Er[348] setzte sich gleich auf eine Bank und sagte etwas zähe: »Hab' doch müssen schauen gehen, was sie beim Waldbauern machen.«

»Wärest um ein fingerlang früher gekommen, so hättest mitessen können,« antwortete mein Vater.

»Vergelt's Gott, hab' mein' Sach' schon eingenommen,« darauf der Knecht. »Wir mögen wohl recht zum Essen schauen, daß wir stark sind heut' bei der Nacht.«

»He he!« lachte unser Florl, »beim Liegen wird man weiter viel Kraft brauchen!«

»Beim Liegen freilich nicht, aber beim Stehen, weißt wohl!« sagte der Nachbarsknecht und beugte seinen struppigen kleinen Kopf vor, als rede er unter den Tisch hinein, weil er etwas schielte. »Und hast zu wenig zum Stehen, so wirst geworfen, nachher kannst eh' liegen. – Daß ich's sag', Raufnacht ist heut', und deswegen bin ich da. Auf dem Härtelanger oben. Müssen alle hinaus. Die Fischböcker kommen. Alle kommen sie. Ist kein Spaß nicht, weißt wohl.«

Unter dem Tische knurrte unser alter Walzel, von der hinteren Ofenbank her schrie ein dünnes Stimmlein: »Raufnacht? Da tu' ich auch mit. Höllsaggra plunzenstern, aus den Fischböckern machen wir Most, heut' bei der Nacht. Jo!«

Mein Vater wendete sich gegen den Ofenwinkel, wo der alte, halblahme und halbblinde Einleger saß, und sagte sehr gemessen: »Schau, der Schurl wird lebig! Dem Schurl erlaub' ich's, daß er raufen gehen darf.«

Wir lachten alle.

»Aber euch erlaube ich's vielleicht nicht,« sagte er bei. »Das ist eine Unform, raufen und nicht wissen, wegen was.«[349]

»Wir wissen's schon,« sagte der Hieselknecht.

»Kann mir's denken, daß es wieder um nichts geht,« darauf der Vater. »Oder um Narrheiten. Unter der Woche alleweil das Greinen über die harten Arbeiten, und am Samstagfeierabend, wenn sie rasten kunnten, strichen sie wild herum, wie Zigeuner, und reißen einander das Gewand vom Leib und schlagen einander die Knochen marb und die Augen aus. Hast noch nicht genug, Hieselknecht, willst ganz blind sein?«

Reckte sich der Hagere weit herüber gegen den Tisch, und knurrte leise: »Dasmal prügeln wir die Fischböcker, weißt wohl.«

Mein Vater stand auf und ging hinaus. Seine Befehle wurden sonst ohne Gegenrede ausgeführt, denn er war so klug, nur solche zu geben, die leicht ausgeführt werden konnten.

Die Samstagnacht aber läßt sich kein Bursche nehmen in der Waldheimat, und besonders das Raufen war gutes Recht noch in jenen lieblichen Tagen, da es keine bespießten Landwächter gab in den grünen Bergen. Es gab damals manch verknorpeltes Bein mehr, aber manche heimliche Feindschaft weniger. Den alten Schurl hatten sie bei einer Kirchweih lahm geschlagen; wenn er an jene Zeit dachte, da wurde ihm heiß hinter dem Brustlatz, aber nicht aus Zorn, sondern aus Lust, und: Raufen! Das war der einzige Ruf, der den halbblöden Krüppel allemal wieder aufweckte zum Leben, selbst wenn es schon war, als verkomme er an Altersschwäche und Gicht.

Wir gingen nun auch hinaus und mit dem Hieselknecht am Feldraine hin. Die untergehende Sonne legte auf den gegenüberstehenden Berg noch ihr grüngoldiges Licht. Ach, dieser Sommerabendsonnenschein! Dieses weihevolle[350] Ausglühen der letzten Gipfel! Dieser heilige Frieden in den Talern – eine köstliche Nacht zum Raufen!

»Wegen was wird denn gerauft?« fragte unser Florl den Hieselknecht. Dieser kehrte sich schiefeckig um, hustete und sprach sehr feindselig:

»Sie kleinen Buben sollen daheim bleiben. Für kleine Buben ist das nichts. Die sollen fleißig Suppen essen, daß sie stark werden.«

Das ging mich an. Ich aber tat nichts desgleichen, und wie ich bisher hinter den beiden Burschen gegangen war, so ging ich jetzt neben ihnen einher, damit der Hieselknecht nur einmal sehe, daß beim Waldbauern die kleinen Buben mindestens so groß wären, wie beim Hieselegger die großen Knechte. Ein aufgeschossener Zaunstecken! Natürlich! Weil ich keine Jacke und keine Weste anhatte, sondern in blanken Hemdärmeln war. Milchbart! Natürlich! Wäre der Herr Hieselknecht bei unserer Schüssel gewesen, so hätte er auch einen Milchbart. In drei Jahren war ich zwanzig! Und so ein Bursch' sollt' nicht wissen dürfen, warum gerauft wird?

Der Hieselknecht erzählte es etwas leise dem Florl; damals hatte ich aber noch wohlgewetzte Ohren. Von den Fischbachern ging es her, die in der ganzen Gegend immer nur die Fischböcker genannt wurden, erstens weil sie arge Böcke waren, und zweitens weil es schon so in der Sprache lag.

– Erhoben hat sich die Geschichte am Annenkirchtag, erzählte der Knecht. – Dazumal beim Grabenwirt sind Fischböcker, Stanzer und Alpler beieinand gewest. Und wie der Fischböcker Schuster Stamp schon ein paar Gläser zu viel hat, schreit er hinüber zum anderen Tisch, wo der Zislerfranz aus Alpel mit der Seinigen sitzt: »Franzl, heut' möcht' ich[351] heiraten. Gibst mir dein Madel um fünf Groschen?« Springt der Zislerische auf, und haben wir gemeint, los geht's. Der Schuster Stamp bleibt aber ganz ruhig sitzen und sagt: »Na, na, behalt sie nur sauber für dich. Kein Alplermadel mag ich nit. Die Alplermadeln haben Warzen auf dem Kui (Kinn).« – Wie ein Löw ist er hergefahren, der Franz, denn sein Dirndl hat die Warzen, weißt wohl. Aber die Leut' dazwischen und die Alplerburschen alle zusammengestanden haben den Franz festgehalten, rechts einer und links einer und haben gesagt: »Zislerfranz, sei du jetzt ruhig. Jetzt ist's was anders worden. Jetzt geht's uns all an. Die Alplermadeln, hat er gesagt, der pickend' (klebrige) Schuster! Eine Warzen auf dem Kui, hat er gesagt. Gegerbt wird er heut', daß er morgen aus seiner eigenen Haut Stiefel machen kann.« Natürlich, jetzt gleich die Fischböcker voran und um ihren Schuster Stamp herum, und die Alplerbübelen sollten nur hergehen! Der Grabenwirt dazwischen mit aufgehobenen Händen: »Bitt' euch, liebe Leut', nur in meinem Haus keine Schlacht!« – »Grimm' dich nicht, Wirt,« sagt jetzt der Knittler Thom aus Alpel. »Der heutige Handel, das ist ein großer Handel. Der hat nicht Platz im Grabenwirtshaus. Der muß auf dem weiten Feld ausgemacht werden. In vierzehn Tagen auf dem Härtelanger! Ist's recht?« – »Recht ist's,« sagten die übrigen Alpler und die Fischböcker auch. »Fischböcker, wie viele stellt ihrer?« fragt der Thom. »Das brauchst nicht zu wissen,« antworten die Fischböcker, »ruckts nur an mit eurer Schneiderkurasch –« – »Schneiderkurasch?« schreien drei Alpler zusammen, daß das Haus gellt, der Thom dämpft sie zurück. »Schimpft's, wenn ihr wollt's. Wann g'rauft wird, das wißt's. – Damals,« so schloß der Hieselknecht, »ist bloß geschimpft worden, heut' wird g'rauft[352]

»Ah, so ist die G'schicht,« sagte nun unser Florl, »na, da müssen wir freilich alle zusammenstehen. Warzen auf dem Kui, hat er gesagt?«

»Warzen auf dem Kui hat er gesagt.«

Ich war während dieser Erzählung ein anderer geworden. Sonst immer für den lieben Frieden stimmend, weil man sich beim Raufen, wie die Mutter sagte, die Hosen zerreißt. Vorher hatte ich nur wollen dabei sein aus Neugier und Kurzweil. Nun stand es anders. Die Dirndeln von Alpel Warzen auf dem Kui! Das wird kein Raufen in dieser Nacht, das wird ein Schlachten!

»Wo treffen wir uns nach dem Nachtmahl?« war meine Frage.

»Wir Alpler bei der Massentann,« antwortete der Hieselknecht. Das war genug, ich gehörte in den Heerbann.

»Florl,« sagte der eine auf dem Rückweg, »ich gehe zum Auenhofer hinüber, der hat einen Kugelstutzen.«

»Ja, grad so! Mit Kugelstutzen werden wir raufen!« entgegnete der andere voller Verachtung. »Ich denk', wir Alpler bringen auch noch die Kraft und Kurasch auf zum Rangelringen.«

So lief ich noch eilig zum Riegelsteff hinab in die Köhlerhütte, um mir seinen Schlagring auszuborgen. Als ich vor der Hütte stand, es war schon dunkel, hörte ich drin laut brüllen. »Wegen meiner geht's her!« rief eine klagende Mädchenstimme. »Ins G'red' und in die Schand kommt man, von wegen so einer kreuzweis verschwefelten Warzen da!«

»Bind's ab!« sagte der alte Steff. »Mit dem Faden abbinden, den Faden unter den Dachtraufen eingraben. Bis er verfault ist, wird die Warzen hin sein.«

»Hab's eh' getan, Vater,« berichtete das Dirndl, »hab's[353] abgebunden und den Faden eingegraben, und wie der Faden verfault, ist die Warzen noch größer geworden.« Und brüllte zum Erbarmen.

»Liserl,« sagte nun der Alte beschwichtigend, »mach' dir nichts draus. Wenn sie wegen deiner raufen, so kann's dir nur eine Ehr sein. Nachher wirst bekannt, brauchst nicht mehr zu warten, bis selber einer kommt, kannst dir einen aussuchen. Nur schön gescheit sein, Liserl!«

»Den Franzel derschlagens!« schrie das Dirndl verzweifelt auf.

»Wär' nit schlecht!« lachte der Alte. »Eher derschlagt er ein paar!«

»Nachher wird er eingesperrt!« rief sie.

»Just so, just so,« sagte er, »als ob sie wegen Raufens schon einmal einen angezeigt hätten. Das gibt's nit. Da halten sie all zusammen. Wie die Veitscher auf der Kirchweih unseren Alplermichel all zwei Füße abgeschlagen haben, daß wir ihn haben müssen heimtragen, wie einen Mehlsack, da ist's wohl dem Schneider Kindl eingefallen: Anzeigen die Veitscher! Na, haben wir anderen gesagt, anzeigen nicht, das ist uns zu fürnehm, aber hauen die Veitscher, daß die Schwarten krachen! Im nächsten Jahr haben wir ihnen den Mehlsack dreifach zurückgezahlt und gut ist's gewest. Na na, Liserl, dem Franzel geschieht nichts.«

Als sie sich hierauf beruhigt hatte, trat ich ganz harmlos, als ob nichts wäre, in die Hütte. Die Liserl wendete sich rasch ab und machte sich mit der Schürze im Gesicht zu tun, aber ich sah es doch, das Wärzlein. Es stand am Kinn, gerade neben dem Grübchen. Es war nicht größer, als ein kleines Erbsenkorn. Es schien an einem dünnen Hälslein zu hängen, aber um ganz Alpel hätte ich es nicht mögen wegschneiden. Gar nichts Herzigeres ist zu denken[354] als dieses Wärzlein am Kinne der Liserl. Der Neid war's von den Fischböckern, und nichts anderes! Warzen hatten wohl die Fischböcker auch, aber keine so sauberen Dirndeln dran.

Den Schlagring borgte er mir gerne, der Riegesteff, aber zu groß war er für meine Finger. »Steck' ihn über die Faust!« riet er, da sah ich erst, wie das Ding zu brauchen war.

Ein paar Stunden später standen wir zusammen an der Massentanne. Unten am Bach stand eine Mühle; in das vom Flosse niederstürzende Wasser schien der ausgehende Mond, so daß es war, als rinne ein goldener Strom auf die schlechte Mühle des Waldbauern. An der Mühle hatte einer ein paar Dachlatten losgerissen und trug sie über der Achsel, wie lange Speerschäfte. Andere hatten Stöcke und Knittel bei sich und der Grabner Wendelin einen kurzen Strick mit Knoten. »Der,« sagte er, mit Stolz seine Waffe schwingend, daß es pfiff, »der kitzelt hübsch gesalzen und macht keinen Beinbruch, der ist ein guter Kamerad.«

Unser waren an dreißig. Fast ganz Alpel war beisammen in seinem jungen Burschenblut und Mut. Der Feldzugsplan wurde entworfen, und als wir schon ansteigen wollten, kam über die Wiese her ein Ding getrudelt; schnaufend, mit zwei Stöcken kam es heran, und als einer mit dem Streichholz unter den alten Filzhut hineinleuchtete, war darin das knochenspitzige Gesichtlein des alten Einlegers Schurl. Und er wolle auch mit zum Raufen! Jo. Da ihn aber weder seine Beine noch die jungen Helden tragen wollten, so machte der Hieselknecht den Vorschlag, der Alte sollte in der Mühle bleiben, leere Mehlsäcke in Wasser einweichen und sie als kalte Umschläge bereithalten für die Blessierten. So wurden wir seiner los und dann[355] begann der Anstieg durch den finsteren Wald. Dort und da brach eine Mondspange durch, dort und da schwebte ein Johanniswürmchen hin zwischen das Gestämme, dort und da glühte das grünliche Auge eines feindgierigen Burschen. Das waren unsere Lichter, sonst alles finster.

Je höher wir hinauf kamen, je leiser traten wir auf den Boden. Nach einer Stunde nahten wir dem Härtelanger, der auf der Höhe lag, zu welcher von der anderen Bergseite herauf die Fischböcker kommen sollten. Der Anger war so groß, wie etwa drei Dorfkirchhöfe nebeneinander, er war fast eben und hatte kurzes weiches Federgras, das taufeucht, wie im Silberreife schimmerte. Der Anger war ringsum von hohen Tannen umstanden, über deren starrem Wipfelgezacke der stille Mond aufstieg. Wir hielten uns an den Waldrand auf der Alplerseite, die im schwarzen Schatten lag, und der Florl flüsterte noch, der Grabner Wendelin solle seine funkelnden Augen in den Sack stecken, daß sie uns nicht zu früh verrieten an den Feind. Ich hatte einen langen Stecken bei mir, war aber noch nicht im klaren, in welcher Weise ich damit meine Heldentaten vollführen würde. Jedenfalls war ich einer der allerwütigsten. In die Avantgarde ward ich aber nicht kommandiert. Der Zislerfranzel, der als die eigentliche Ursache des Feldzuges einer der Heerführer war, schickte mich vielmehr in einen hohen Tannenbaum empor, daß ich von oben spähen und horchen solle, was im Lager des Feindes vorging. Am oberen Ende des Angers stand ein uralter Stamm, den stieg ich an. Durch das Riesengeslechte des Geästes war es keine Kleinigkeit hinauszukommen. Endlich saß ich in einem verlassenen Geierneste und hielt Rundschau über den weiten Wald, der mit dem Milchschimmer des Mondes überhaucht war. Dort und da stand eine schwarze Kuppel auf, oder eine scharfe Lanze,[356] oder eine mehrgestaltige Gruppe besonders hoher Bäume. Aus dem weiten Talkessel, in den ich niederblickte, schimmerte ganz matt ein winziges, weißes Blättchen heraus. Das war die Kirche zu Fischbach. Aber es schien fern und halb versunken, wie in einem Märchenlande. – Meine Kameraden hatten sich ganz in den Wald zurückgezogen. In meiner Nähe quixte oder flatterte manchmal etwas. Ich fürchtete mich und spähte nach dem Feinde, um nötigenfalls bei ihm Zuflucht zu finden. Lange war keiner zu sehen und zu hören. Endlich nahm ich doch etwas wahr. Von der Fischböckerseite gegen die unsere kroch ein großer schwarzer Molch über den Anger. Ich steckte zwei Finger in den Mund und tat einen Pfiff. Da wurde es bei den Alplern unter den Bäumen lebendig, der Molch wendete sich und kroch rasch zurück.

Von unserem Lager schritt ein Mann über den Anger, ich glaube nach seiner vorgeneigten Gestalt war es der Hieselknecht. Am Fischböcker Waldrande blieb er stehen, horchte und schrie dann in das finstere Gestämme hinein: »Seid ihr da?«

»Ja,« antworteten nach der Reihe unzählige Stimmen.

»Wie viele sind euerer?«

»Haben wir euch gefragt?«

»Meine Kameraden lassen euch sagen, ihr sollt an den freien Anger vortreten!«

»Ja, Schnecken mit Salat!« spotteten sie. »Wer Schneid hat, der soll nur hergehen.«

Der Hieselknecht schritt zurück in sein Lager und berichtete: »Ihrer mindestens sechzig müssen sein.«

»Gut ist's,« sagte der Franzel, »kriegt jeder von uns zwei. Nur zuwarten. Auf den Anger müssen wir sie hervorkommen lassen.«[357]

Sie warteten zu. Und die Fischböcker warteten auch. Die Fischböcker hatten ein kleines Anliegen. Damals wußte ich es nicht, aber heute weiß ich es.

Von den Fischböckern waren zuerst drei Mann hinaufgegangen gegen den Härtelanger. Dann waren noch zwei nachgekommen, und dann nichts mehr. Nicht einmal der Schuster Stamp war erschienen. Dieses kleine Heer hatte nun einen viel größeren Zorn auf seine eigenen Fischböcker, als auf den Feind. Sie fühlten sich verlassen und verraten, und doch mußte die Fischböckerehre gerettet werden. Auf die Frage des Hieselknechtes hatten sie nun eine Unzahl von Stimmen nachgeahmt, der Wald barg jene, die nicht da waren, und somit stellten sie nach außen hin eine gewaltige Heeresmacht dar.

Der Mond stieg höher und noch höher und stand endlich so hoch, daß am Angerrande kein Schatten mehr war. Da begannen die Alpler sachte vorzurücken. Die Fischböcker hatten ihren Nachtwächter bei sich, der aber trug heute die Laterne nicht in der Hand, sondern im Kopfe. Der Nachtwächter, der gleichzeitig auch die Ortspolizei zu machen hatte, war ein kleines, gemütliches Männchen, denn nur ein solches paßte für die immer rauflustigen Fischböcker; mit einem baumstarken Bengel hätten sie in jeder Nacht angebunden. Den geschmeidigen Kleinen ließen sie ruhig seine Sprüche ausrufen und im übrigen taten sie, was sie wollten.

»Kameraden,« so sprach nun der Nachtwächter zu den Seinen. »Was gebt ihr mir, wenn ich die Alpler verjage?«

Zuerst lachten sie.

»Was gebt ihr mir?«

»Geh', Polizei, troll' dich!«

Der andere sagte: »Gebt ihr mir nichts, so tu' ich's umsonst. Fürs Vaterland!«[358]

»Sind jetzt nicht aufgelegt zum Spaßmachen.«

»Paßt's auf, sie werden sich bald verlaufen.«

Und der Nachtwächter schlich im Walde um den Anger herum und kam in das Lager der Alpler.

Der Zisterfranzel hatte eben gesagt: »Ich glaub', es sind ihrer nicht viele, weil sie sich nicht herfürwagen.«

Zupfte der Fischböcker Nachtwächter ihn am Ärmel, winkte ihn ein wenig beiseite und flüsterte ihm ins Ohr: »Freilich sind ihrer nicht viele, der Fischböcker. Verhöllt wenig sind ihrer und just die Schwächeren. Und weißt du auch warum?«

»Nau?«

»Ja, da kannst du mir etliche Maß Wein zahlen, wenn ich dir's sagen soll, warum heut' so wenig Fischböckerburschen heroben sind auf dem Härtelanger.«

Weil das mit gar geheimnisvoller Miene vorgebracht war, so horchte der Franzel näher hin.

»Viel Ehr',« fuhr der Nachtwächter fort, »wird nicht herausschauen, wenn die Alpler Burschen die Stärkeren sind, heut' da heroben! Die Fischböcker Burschen sind's derweil anderswo.«

Mehrere hatten sich in die Runde gestellt, und auf die dunkle Rede fiel es dem einen und dem andern ein, daß es freilich nur der leidige Neid gewesen, wenn die Fischböcker sich über die Alplerdirndeln lustig machten. Und nun hörten sie auch schon das Flüstern des Nachtwächters: »Meine lieben Alplerbuben, ich sag' euch's, stark sein ist nicht genug, der Mensch muß auch gescheit sein. Wie das gemeint ist! He, was glaubt ihr? Eine schöne Nacht das, gelt? Eine prächtige Samstagnacht zum Raufen, gelt? – Alplerebuben! Derweil ihr heute da aufs Raufen wartet, gehen[359] die Fischböckerburschen zu eueren Dirndeln fensterln! – Nichts, nichts, will nichts gesagt haben!«

Und verschwunden war er im finsteren Walde.

Die Flöhe in den Köpfen bissen bei etlichen sehr ausgiebig, und mancher Bursch' verlor sich. Der Knittlerthom jedoch sagte: »Zu der meinigen soll nur einer kommen, die hat heut' Zahnweh, da kratzt sie.« Er blieb im Heere.

Der Stochelsepp und der Hieselknecht meinten, sie hätten jetzt keine, so waren sie außer Sorge und blieben im Heere.

Der Weberleopold gestand, er hätte zwar eine, sie dürfte auch nicht Zahnweh haben, aber er bleibe auf dem Anger, das Raufen sei ihm lieber, als das Fensterln. Ähnlich auch andere.

Somit war die List des Nachtwächters großenteils mißlungen. Die alplerische Kriegsmacht war zwar etwas zusammengeschrumpft, stand aber noch guten Muts auf dem Anger und drang vor gegen den andern Waldrand. Und die Fischböcker wollten aus ihrem Dunkel nicht heraus und sie wollten nicht.

»Letfeigen!« schrien wir hinein.

»Ja, geht's nur her!« antwortete im Dickicht eine Stimme. Wir Alpler waren schon aufs äußerste empört über eine solche Feigheit und plötzlich rief der Hieselknecht: »Suchen wir's! Fangen wir's!« Alles fuhr in das finstere Gestämme hinein. Hart prallten sie aneinander, und nun begann der Kampf. Mancher traf mit seinen Hieben einen Baumstamm, mancher einen harten Schädel, mancher auch die vom Schöpfer selbst für solche Fälle bestimmte sehr zweckmäßige Zielscheibe. Man hörte das Strampfen der Füße, das Schnaufen der Lungen; das Brummen der Köpfe fühlten die Betroffenen wohl selbst, ich fühlte nichts davon, weil ich etwas abseits stand und meine Kraft hübsch[360] für die letzte Entscheidung aufsparen wollte. Man hörte auch manches hell herausgeschriene »Auweh!« und dazwischen Flüche, und dann wieder ein klingendes Auflachen. Besonders einen hatten die Alpler in ihre Mitte bekommen, den sie gründlich bearbeiteten. Der Hingeworfene knirschte seine Empfindungen in das kühle Moos hinein, mußte aber, von zehn Armen niedergehalten, seinen Rücken mit allem Zubehör dem Feinde preisgeben. Da die übrigen Fischböcker schnöde geflohen waren, so wollten wir unseren schrecklichen Haß an diesem einen Opfer verlodern lassen.

»Nau,« fragte der Franzel, als sie müde waren, den Unterlegenen, »was ist's, haben die Alplerdirndeln Warzen oder nicht?«

»Ochsen seid's!« antwortete der andere, sich jähe aufrichtend und mit den Fingern Gras und Erde aus seinem Munde kratzend.

»Herr Jesseles!« schrie der Florl, »das ist ja kein Fischböcker nicht, das ist ja unser Hieselknecht!«

Und haben also die guten Alpler damals auf dem Härtelanger nächtlicherweile einen Mißgriff getan und anstatt eines Fischböckers ihren Hauptmann durchgebläut. Dieser soll der Meinung gewesen sein, er sei in die Hände der Feinde geraten, hat sich nach Kräften zwar gewehrt, hat aber nicht geschrien, und die wirklichen Fischböcker sind derweil abgefahren.

Und hierauf sind wir siegreich heimgekehrt. Der alte Schurl in der Mühle wartete schon hochgespannt mit seinen kalten Umschlägen, die dem Hieselknecht recht zustatten kamen.

»Aber diese groben Fischböcker!« klagte der Alte bei Besichtigung der Striemen, Flecken und Beule. »Ist nur gut, daß du ein Aug' schon hin hast, sonst hätten sie dir's gewiß herausgeschlagen. O diese verdeixelten Fischböcker![361] Jo. Habt's ihnen's aber doch recht heimgezahlt, Buben! Gelt?«

Wir hatten uns das Wort gegeben, nichts zu verraten. Der eine aber bestrebte sich, im Laufe der Zeit die Niederlage wettzumachen, und in der Gegend werden heute nur wenige Burschen und Männer umsteigen, die es nicht erfahren haben, daß der hagere Hieselknecht wieder ganz gesund geworden ist.

Der Zislerfranz hat sein Warzendirndel geheiratet. Ob am Ende nicht sie den Warzenkrieg weitergeführt haben? Ich weiß es nicht.

1

In Schüsseln und an Töpfe pflegen die Buchstaben eines heiligen Namens, kunstreich ineinander verschlungen, gemalt zu sein.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 347-362.
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