[197] In dem grünen ton Frauenlobs.
20. april 1546.
1.
Ein narr zu Florenz ware,
der Nigniaca war genent,
frölich, doch gar einfeltig;
etlich burgers sun an dem ent
machten mit einander den pakt,
wie sie den narren tot krank wolten reden.
Zu im kam einer dare,[197]
sprach: »wie ist dein angsicht so bleich!
ich mein, du hast das fieber.«
ein ander kam, sagt große streich:
»wie sichst so tötlich und verzagt?
sich! kum heim ins bad und ge mit uns baden.«
Der narr erschrak von herzen,
ging mit den zweien heim zu haus,
sagt, er entpfind groß schmerzen,
und in sein bet sich leget.
der jungen bürger kamen mer
und klageten den narren ser,
stunden ums bet, der narr sich nit mer reget.
2.
Teten zusamen sprechen:
»die füß, die sint im schon erkalt,
er fecht gleich an zu sterben;
wie ist er so totlich gestalt
schau zu, wie vispert im die nas!
secht, secht! wie tut sich sein angsicht anspitzen!
Die augen im schon brechen,
secht zu, wie streit er mit dem tot.
iez get im aus die sele!
er ist dahin! genad im got!«
der narr hört und gelaubt im, das
er tot wer, lag und tet vor angsten schwitzen!
Sie teten in ser klagen,
darnach legtens in in ein bar,
ließen zu grabe tragen
hin ein die großen pfarre.
auf dem weg fraget iederman:
»wer ist die leich?« da zeigtens an,
es war Nigniaca, der arme narre.
3.
Eins wirts knecht sprach: »der töret,
der ist gewest ein dieb und schalk;[198]
man solt hinaus an galgen
aufhenken seinen toten balk!
das wer der rechte kirchhof sein;
man solt in in das gweicht ertrich nit graben.«
Und als der narr das höret,
da sprach er auf der totenbar:
»lebt ich und wer nit gstorben,
so sagt ich iez: du hast nit war
und lügst in deinen hals hinein!
frag, die mich in dem leben kennet haben.«
Da lacht des volkes haufen,
und setzten die bar auf die ert
und teten darvon laufen,
merkt erst der schalkheit kreiden.
wer noch einfeltig ist und stil,
den überret man was man wil;
der frum und einfeltig, der muß vil leiden.
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