Die sechs Römers sön

[93] Im gulden ton Rogenbogen.


11. juli 1536.


1.

Ein senator zu Rome saß,

der selbig auferzogen het

sechs junger sön; in seinen alten tagen,

Als im der tot nun nehen was,

die knaben er berufen tet,

sprach: »meine sön, ich hab euch was zu sagen:

Bring mir ieder ein heslen stab,

darnach wil ich machen mein testamente.«

zuhant bracht im ein ieder knab

ein steblein, gabs dem vatter in die hente.

der vatter nam ein riemen und

die steblein er zusamen bund,

darmit er zu dem eltsten sun sich wente;


2.

Sprach: »nim die steblein, sie zubrich!«

der sun bog sie über ein knie;

sie brachen nit; der vater gabs zu hande

Den fünfen, die versuchten sich,

doch mocht sie keiner brechen nie;

der alt die steblein widerum aufbande.

Dem eltsten sun gab er allein

sein steblein und das ers solt brechen abe;

er brach es mit den henden sein;

den fünfen auch iedem sein steblein gabe,

das ietlicher gar balt zubrach.[94]

darnach der alte zu in sprach:

»hie nem ein ieder ler bei seinem stabe:


3.

Weil sie waren bunden zusam,

da mocht ir sie zerbrechen nicht,

wan sie hielten all sechs stark ob einander;

Balt einer von dem andern kam,

wurden sie schwach, machtlos, entwicht

und wurden auch zerbrochen alle sander.

Also, ir lieben söne mein,

weil ir in lieb bleibt zusamen gebunden,

einer des andern schutz wil sein,

so bleibt ir reich und auch unüberwunden.

halt ir nicht ob einander schutz

und sucht ieder sein eigen nutz,

so wert ir gen zu grunt in kurzen stunden.«

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 93-95.
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