I, 2.

[23] Der Lebenstrieb offenbart sich in der Ergießung eines Silberscheines von obenher.


DER LEBENSTRIEB.

Ich keime schon und weiß um dein Begehr.[23]

FAUSTINE.

Verheißungsvoll schwebst du um mich einher.

Mir wachsen an den Schultern schon die Flügel;

Ich steig' in der Erhebung schwanken Bügel;

Mein Sehnen wird durch Mutterlust gestillt.

DER LEBENSTRIEB.

Ich bin ein Schein nur, der noch nichts erfüllt.

Ich kann nur deine schwachen Kräfte heben,

Den Drang in dir zum Wirken mild beleben.

Die Zeit führt dann den heißen Wunsch zum Ziel;

Die Reife bringt der Jahreszeiten Spiel.

FAUSTINE.

Mit Hoffnung einzig fertigst du mich ab?!

DER LEBENSTRIEB.

Selbst sie geht oft vor Zeitigung zu Grab!


Der Schein verschwindet.


Quelle:
Schäfer, Wilhelm: Faustine, der weibliche Faust. Tragödie in sechs Aufzügen nebst einem Vorspiel und Prolog, Zürich 1898, S. 23-24.
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