4. Auftritt.

[10] Vorige. Rosa.


ROSA bei dem letzten Satz durch die Mitte mit dem Regenschirm des Professors.

GOLLWITZ. Nicht wahr, Rosa?

ROSA mit einem verhimmelten Seufzer. Ach, Herr Professor!

GOLLWITZ. Ich habe es ihr nämlich vorgelesen.

NEUMEISTER UND MARIANNE zugleich. Der Rosa – hahaha!

GOLLWITZ. Ja, lacht nur. Ihr laßt Euch doch nicht sehen, und an irgend jemand muß man schließlich seine Verse auslassen! Da hat die Rosa eben herhalten müssen.

ROSA. Ach, Herr Professor, ich höre ja so gerne zu. Ich sage Ihnen, Frau Doktor, das ist ein himmlisches Stück, so traurig, so traurig! Trocknet sich die Tränen.

GOLLWITZ. Heule nur nicht gleich wieder.

ROSA. Ich kann nicht anders! Wenn ich nur das Heft sehe, muß ich schon weinen – gerade so wie beim Zwiebelschneiden. Ab nach rechts.

GOLLWITZ. Nun, da siehst du, wie ich in den vier Wochen heruntergekommen bin; da sitze ich und lese einer albernen, alten Person meine Jugendeseleien vor.[11]

NEUMEISTER. Das ist noch gar nich so schlecht, Schwiegerpapa. Molière hat ja auch seine Stücke der Haushälterin vorgelesen, bevor er sie aufführen ließ; gerade das naive Person –

MARIANNE die bisher am Schreibtisch in einem Buch geblättert und gelesen hat, plötzlich aufschreiend. Ach, das ist zu stark. Wirft die Blumen, die sie in der Hand hielt, in den Aschbecher.

GOLLWITZ UND NEUMEISTER springen auf, gleichzeitig. Was gibt es denn? Was hast du denn?

MARIANNE zwischen beide tretend, Gollwitz das Buch hinhaltend. Papa, kann man sich auf den Menschen, der das Buch da geschrieben hat, verlassen?

GOLLWITZ das Titelblatt ansehend. »Balzac«! Lächelnd. Na, ich denke doch.

MARIANNE zu Neumeister. So? Mein Herr, dann sind Sie ein ganz niedriger Charakter.

NEUMEISTER. Wie?

MARIANNE. Hier steht es – bitte, lesen Sie!

NEUMEISTER liest. »Jede Braut würde – wenn sie das Vorleben ihres Bräutigams erführe – noch am Tage der Hochzeit vom Altar zurücktreten« –

MARIANNE. Also, was hast du für ein Vorleben?

NEUMEISTER. Aber Marianne –?[12]

MARIANNE. Papa, was hat er für ein Vorleben?

GOLLWITZ. Aber, Kind!

MARIANNE kopierend. »Aber Marianne, aber Kind« – damit kommt Ihr mir nicht los. Hier ist der Roman von Balzac! Gestehe also!

NEUMEISTER. Wenn ich doch nichts zu gestehen habe. –

MARIANNE. Wie käme der Mann denn zu solchen Behauptungen?

NEUMEISTER. Der hat mich eben nicht gekannt.

MARIANNE. Na, wir werden ja sehen, ob du zu Hause auch so dreist bist; – du denkst, weil du hier Papa zum Schutz hast. – Adieu, Papa!

GOLLWITZ. Willst du denn schon gehen?

NEUMEISTER. Marianne, so höre doch!

MARIANNE. Bitte, wir sprechen uns zu Hause aus.

NEUMEISTER. Das kann hübsch werden.

GOLLWITZ. Das muß ich sagen, da erzählt Ihr mir immer von Eurem häuslichen Glück, und so oft Ihr zu mir kommt, zankt Ihr Euch.

MARIANNE. So? Willst du jetzt vielleicht auch seine Partei nehmen? Weinerlich. Ach, wenn nur Mama schon hier wäre! – Wenn sie kommt, erzähle ich ihr alles! – Adieu! Geht zur Tür.[13]

NEUMEISTER. Kind, ich komme ja mit.

MARIANNE. Bitte, das ist durchaus nicht nötig. Ab durch die Mitte.

NEUMEISTER. Papa, ich will dir keine Vorwürfe machen, aber, wenn ich mal eine Tochter hab, die erziehe, ist anders, meinem Schwiegersohn passieren solche Sachen nicht. Ab durch die Mitte.

GOLLWITZ. Das soll mir eine Warnung sein, der Balzac und versteckt; denn wenn der meiner Frau in die Hände fällt, die wäre am Ende imstande, mir auch eine Szene machen. Ab rechts mit dem Buch.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 10-14.
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