10. Auftritt.

[65] Neumeister. Friederike.


FRIEDERIKE. Sie scheinen ja sehr lustig zu sein.

NEUMEISTER beiseite. Meine Schwiegermutter!

FRIEDERIKE. Ich hätte eigentlich ein paar ernste Worte mit Ihnen zu sprechen.

NEUMEISTER. Mit mir?

FRIEDERIKE. Meine Tochter hat mir alles erzählt.

NEUMEISTER. Ah, das ist aber nicht hübsch.

FRIEDERIKE. Ich bitte, es war ihre Pflicht, als mein Kind –

NEUMEISTER. Aber Ihr Kind ist meine Frau, und als Frau hätte sie die Pflicht –

FRIEDERIKE streng. Wo Sie, nach dem was vorgefallen ist, noch den Mut hernehmen, von »Pflichten« und dergleichen zu sprechen, das ist mir unbegreiflich.

NEUMEISTER beiseite, kläglich. Da scheine ich mir etwas Hübsches eingebrockt zu haben.

FRIEDERIKE. Sie sehen, ich mache Ihnen nicht die geringsten Vorwürfe, ich werde auch meinem Mann nichts von Ihren Verirrungen erzählen.

NEUMEISTER. Schön, sprechen wir überhaupt nicht mehr darüber.[66]

FRIEDERIKE. Ja, ich tue noch mehr, ich nehme die Regelung der ganzen Angelegenheit selbst in die Hand.

NEUMEISTER aufspringend. Gerechter Himmel!

FRIEDERIKE. Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte, daß es schwerlich wieder eine Schwiegermutter geben wird, die sich nachsichtiger und taktvoller benehmen könnte, als ich.

NEUMEISTER verzweifelt. Nein, so etwas gibt es nicht wieder.

FRIEDERIKE. Dafür verlange ich von Ihnen aber auch die volle Wahrheit. Vor allen Dingen, wie stehen Sie mit jenem Mädchen? Ist zwischen Euch auch alles aus?

NEUMEISTER die Hand zum Schwur erhebend, feierlich. Aus und begraben für ewige Zeiten.

FRIEDERIKE. Gut, weiter: die Rechnungen werden Sie bezahlen. Marianne hat Ihnen die fünfhundert Mark gegeben?

NEUMEISTER. Ja, die sind schon wieder weg.

FRIEDERIKE. Wie?

NEUMEISTER sich verbessernd. Ich meine, die sind schon weg – mit der Post – ich habe die Rechnungen gleich bezahlt.

FRIEDERIKE. Das ist brav. Und nun, den wichtigsten Punkt.

NEUMEISTER. Noch ein Punkt?[67]

FRIEDERIKE. Wie ist gegenwärtig Ihr Verhältnis zu dem Onkel?

NEUMEISTER. Zu welchem Onkel?

FRIEDERIKE. Nun, zu dem unglücklichen Onkel jenes Mädchens, der von Ihnen Rechenschaft für das Schicksal seiner Nichte fordern will.

NEUMEISTER. Ach Gott, Schwiegermama, der wird sich schon beruhigen.

FRIEDERIKE. Nein, Leopold. Mit dieser leichtfertigen Versicherung kann ich mich als Mutter nicht zufrieden geben. Es handelt sich um das Glück meines Kindes, und deshalb will ich Gewißheit haben.

NEUMEISTER. Aber –

FRIEDERIKE. Versuchen Sie es nicht, mich irre zu machen. Mein Entschluß steht fest. Ich selbst werde nach Leipzig reisen, ich selbst werde mit dem Mann sprechen – Auge in Auge – und nicht eher ruhen mit Bitten und Beschwörungen, bis ich seine Verzeihung für Sie erlangt habe.

NEUMEISTER beiseite. Wenn doch jetzt ein Erdbeben käme.

FRIEDERIKE. Geben Sie mir seine Adresse, ich reise schon morgen früh.

NEUMEISTER verzweifelt. Aber verehrte Schwiegermama, das ist ja ganz unmöglich.

FRIEDERIKE. Warum?

NEUMEISTER. Weil – weil – weil ich mich mit dem Onkel vollständig ausgesprochen habe.[68]

FRIEDERIKE. Aber Sie waren doch gar nicht in Leipzig.

NEUMEISTER. Nein – aber er war hier.

FRIEDERIKE. Wie? Er sollte eigene zu dem Zweck hierher gekommen sein?

NEUMEISTER. Ach nein, er kam gang zufällig. – Wie man ebenso wo hinkommt – als Fremder. – – Es sind ja so viele Fremde jetzt in der Stadt – beim Schützenfest. – – Er ist auch zum Schützenfest hergekommen.

FRIEDERIKE. Und Ihr seid wirklich ausgesöhnt?

NEUMEISTER. Wir sind ein Herz und eine Seele!

FRIEDERIKE gibt Neumeister beide Hände. Ach, Leopold, wie mich das freut. Sagen Sie es nur gleich Marianne, das arme Kind ängstigt sich so. Und dann soll nie mehr zwischen uns die Rede davon sein.

NEUMEISTER. Auf mich können Sie sich verlassen, wenn Sie nicht anfangen – ich spreche gewiß darüber. Beiseite. An die Geschichte werde ich denken. Ab links.

FRIEDERIKE Neumeister nachschauend. Er ist ein bißchen leichtsinnig, aber er hat ein gutes Herz.


Quelle:
Franz und Paul von Schönthan: Der Raub der Sabinerinnen. Berlin 10[o.J.], S. 65-69.
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