4.

[8] Der Tod wird hier kenntlich als Bote bezeichnet: er tritt zu dem Sterbenden ein, läßt aber seinen Stab vor der Thüre stehen, wie es die Bauern heute noch machen, wenn sie auf dem Wege irgendwo zusprechen. Oder er bleibt vor der Thüre, sitzt auf der Stufe, schaut zum Fenster hinein und wartet so, bis die Seele des Sterbenden das Haus verläßt. Er tödet die Menschen nicht, er soll sie nur abholen zur Unterwelt: wenn von einem Ringen gesagt wird, so geschieht dieses nur, weil er den widerstrebenden Menschen mit Gewalt fortschleppen muß. – Als Bote meldet er sich aber auch zuvor an, er sagt ein zum Sterben: als grosser, langer Mann lehnt er sich an das Haus, aus welchem bald Jemand heraussterben wird. Waldsassen. So gilt sein Erscheinen als Todes-Anzeichen. – Zu Mießbrunn mußte Einer dem Knochenmann, der die langen Beine ausgespreizt quer über die Gasse auf den Schwellen zweyer Häuser ruhen hatte, unter den Füssen durchgehen. In diesen beyden Häusern starb bald darauf Alles aus.[8]

Der Tod trägt die Farben seiner Herrin, die bleiche und die dunkle. Nicht immer stellt aber das Volk sich ihn unter der Gestalt eines Gerippes vor, und dieses mag wohl die ältere Anschauung seyn. Eine merkwürdige Sage hierüber habe ich von Lind, nahe am »kalten Baum,« erhalten.

Im Anfange, ehe Sonne und Mond waren, herrschte der Tod auf der Welt. Als aber diese beyden Gestirne erschienen und herangewachsen waren, vertrieben sie den Tod unter die Erde. Doch nun erwürgte er von da aus Alles, was Sonne und Mond erzeugten, worüber es zum Streite kam, daß fast die ganze Welt zu Grunde ging und die Sündfluth hereinbrach. Nun trugen die Riesen steinerne Stühle auf den Bergen zusammen, setzten sich darauf und hielten Rath. Und sie fanden kein Ende, bis nicht das weisse Wiesel aus dem Berge hervorkroch und ihnen die Augen beleckte. So wurden sie einig, Sonne und Tod vor sich zu entbieten. Der letztere aber wollte dem Spruche sich nicht fügen, denn als Mann habe er ohnehin Recht gegenüber einem Weibe. Darüber entbrannte der Streit auf's Neue. Die Riesen aber erzürnten und ergriffen den dickleibigen Tod, und rissen ihm fast alles Fleisch vom Leibe. Seitdem ist er so mager. Darüber erbarmte sich die Sonne und warf ihm ihren dunkeln Schleyer zu, sich zu bedecken und vor den Riesen zu verbergen. Seitdem aber trägt der Tod den Schleyer der Sonne und wirft die Sonne dunkle Schatten.

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Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 3, Augsburg 1857/58/59, S. 8-9.
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