§. 2. Zwietracht.

[5] Der Grundcharakter Deutschen Wesens, Zwietracht, ist geblieben. Von Armin dem Cherusker herab, bis in die jüngsten Tage, zeigt jedes Blatt Deutscher Geschichte den unseligen Zwiespalt, der Deutschland zur Unmacht verhalf. Er ist auf Deutschem Hause heimatberechtiget. Was Chatten und Hermunduren, Cherusker und Markomannen in heidnischer Zeit, sind Sachsen und Franken, Gibellinen und Welfen, Protestanten und Katholiken in christlicher.

Als die Germanen in das Christentum eintraten, mußte die Kirche die Erziehung der frischen Naturvölker übernehmen; es gelang ihr: aber um den Preis des Rechtssatzes: Clericus vivit lege romana. Damit war[5] Deutschem Wesen eine bedeutende Wunde geschlagen: aber jener Satz verhalf der Kirche zur nothwendigen Einheit, ohne ihn war zu jener Zeit die Kirche in sich zerfallen, machtlos, ihr Wirken ohne Erfolg.

Jede Absonderung in der Gesellschaft gebiert aber Eifersucht, Feindschaft. Schon die Frankenkaiser fanden es bequem, Römisches Recht als Staatsrecht zur Geltung zu bringen; es gewährte Macht; noch mehr die Hohenstaufen: aber da stand der Papst dem Kaiser als Beschützer Deutscher Stammesindividualitäten entgegen; er trat der politischen Centralisation mit allem seinem Gewichte in den Weg, und den Hohenstaufen blieb folgerecht auf ihrer Bahn nichts übrig, als die Herrschaft der Kirche zu brechen zu suchen. Beyderseits entbrannte der Kampf um Seyn und Nichtseyn: beyde Theile gingen geschwächt aus dem unheilvollen Streite; statt vereint die Idee des Reiches Gottes auf Erden auszubreiten und zu verwirklichen über alle Länder, befehdeten sich die beyden Schwerter in unseligem Mißkennen der von Gott gegebenen Aufgabe: beyde verfielen der Nemesis, zuerst aber der Kaiser.

Geschwächt in Deutschland durch die Kraftanstrengung gegen den Süden, war der Kaiser nicht im Stande, den Stammesfürsten, welche sich erblich machten, zu widerstehen.

Der Untergang der Hohenstaufen sicherte noch mehr den errungenen Bestand, und wie später die folgenden Kaiser, waren auch die Fürsten nur darauf bedacht, ihre Hausmacht zu vergrößern und von Kaiser und Reich möglichst unabhängig zu machen.[6]

Mit Erfolg kam den Herzogen Römisches Recht nach unten gegen das Volk zu Hilfe. Der letzte Ritter Maximilian I. gab der faktischen Anwendung Römischen Rechtes nur den formell-gesetzlichen Ausdruck. Damit war der Deutsche um sein altes Rechtsbewußtseyn gebracht.

Aber auch der Papst sollte nicht ungestraft aus dem Kampfe getreten seyn, in welchem er nicht jederzeit sich innerhalb seines Gebietes gehalten hatte. Es kam die Reformation, aus demselbigen Deutschland, von welchem der Kampf ausgegangen war und mehr als die Hälfte Europas war katholischem Glauben entfremdet.

Und wieder kam die Nemesis für diesen Abfall und der Schwedenkrieg verheerte dreißig Jahre lang Deutschlands blühende Gauen und durch den westphälischen Frieden verschwand das Deutsche Reich von der Weltbühne als seitheriger Gebieter Europas.

Franzosentum ward nun Mode und Selbstherrschaft; jede noch so kleine Deutsche Residenz wollte ein Versailles seyn. Doch bewahrte die Vorsehung das arme Reich vor einem ähnlichen Rückschlage, wie ihn die Welt noch nicht gesehen, aber Frankreich in der Revolution erfahren hatte. Indessen hörte damit Französischer Einfluß nicht auf; er wendete sich wie früher an die Fürsten nun an die Völker und das Deutsche Reich brach zusammen. Es war Nemesis. Die Spaltung auf kirchlichem Boden hatte sich auf politisches Gebiet hinübergezogen. Der Westen Deutschlands hing seit 1648 von Frankreich ab, bis mit Napoleon, dem höchsten Ausdruck des widernatürlichen unberechtigten[7] Einflusses, diese Fessen fielen. Aber kaum lag dieser Feind zu Boden, so stand im Osten ein anderer Freund auf, seine hilfreiche Hand herüberzustrecken; bald ward aus ihm der gebietende Rathgeber und mit aller Wucht drückte er auf die östliche Hälfte Deutschlands. Bey dem schneidenden Gegensatz von Slaventum und Germanentum konnte es aber nicht ausbleiben, daß die Anschauungen, welche Rußland über Herrschen und Gehorchen auf Deutschem Boden zur Geltung bringen wollte, dem Deutschen Charakter mehrfach widerstrebten. In jüngster Zeit gebührt wieder der Ostmark der Ruhm, mit Glück, Kraft und Umsicht sich dieser mehr beengenden Freundschaft des östlichen Nachbars entzogen zu haben.

War nun links von Mayn und Rhein früher die Franzosenliebe zu großem Unheile ausgeschlagen, so möchte zu dieser Erscheinung das unsichtbare Fortwirken des Kelten- und Romanentums, welches der Germanischen Eroberung vorherging, seinen Theil beigetragen haben. Indessen trug dieser Einfluß theilweise auch gute Folgen: nicht läugnen läßt sich, daß dem Franzosen als Individuum die möglich größte persönliche Freyheit zur Seite stehe, wenn auch bey ihm sonst die Centralisation auf das höchste getrieben ist und der Gesammtorganismus darunter leidet. Der Franzose ist der Civis romanus der Neuzeit, nach seinem Gesetze darf er nicht geschlagen werden. Einem Theile der westlichen Hälfte Deutschlands ist aber diese kurze, feste, kategorische Gesetzgebung aus seiner engen Berührung mit Frankreich geblieben und dem Volke lieb und theuer geworden. Sie gewährt ein[8] beruhigendes Gefühl des Rechtsschutzes und beseitiget alle Furcht vor Willkür.

An der Elbe hinwieder ist das Germanische Blut vielfach mit Slavischem vermischt, oder wenn man lieber will, aufgefrischt. Daher auch auf dieser Seite der Glaube, ohne Bambusrohr nicht regieren zu können; daher die begeisterte Zudringlichkeit, mit welcher auf dem jüngsten Preußischen Landtage ein Theil der Volksvertreter die humanere Regierung zur Wiedereinführung der patriarchalischen Prügelstrafe zu bewegen strebte. Daher auch das Erscheinen eines schwarzen Buches. – Diese Deutsch-Slavische Vermischung ist aber um so gefährlicher als an die Marken Deutschlands der Slavische Weltkoloß stößt und auf Deutsche Slaven wirken kann. –

Zur Ehre des Deutschen Volkes sey aber gesagt, daß gegenwärtig von seiner Seite weder Geneigtheit nach Westen noch nach Osten sich zeigt; sein Blick, sein Hoffen steht auf seine Fürsten, denen es gelingen wird, eine Form der Reichsverfassung zu gewinnen, welche bei möglichster Wahrung der zu freyer Existenz berechtigten Bundesglieder jene Achtung gebietende Machtstellung nach Innen wie nach Außen hervorruft, daß es fremden Beystandes, weder für die Fürsten noch für die Völker, bedarf.

Quelle:
Franz Schönwerth: Aus der Oberpfalz. Sitten und Sagen 1–3, Band 1, Augsburg 1857/58/59, S. 5-9.
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