1256. Kloster Weyarn.

[256] Von H. Scharff von Scharffenstein. – Ob die Sage frei von Zuthat des Dichters, ist nicht verbürgt.


Ueber Berge, Thal und Höhen zieht Graf Siegebot zur Jagd.

Falkenstein, die hohe Feste, glänzet in des Frühroths Pracht.


Mit ihm zieh'n der Jäger viele, und viel Bauern aus dem Rund:

Heute gilt's den Hirsch zu jagen, stolz und kühn im Weyarn Grund.


Auch die Gräfin, zart und schmächtig, steigt zu Pferd im Jagdgewand;

Eine Büchse an der Seite, einen Speer in weißer Hand.


Ihre blonden Locken fliegen und ihr Reitkleid wogt und wallt;

Mit dem Lächeln sel'gen Glückes mißt der Graf die Huldgestalt.


Hunde, Bauern, Jäger ziehen froh daher die grüne Bahn,

Und die Gräfin auf dem Rappen eilt dem kühnen Troß voran.


In dem stillen Weyarn Grunde, an der Mangfall kühler Fluth,

Finden sie den Sechszehnender mit der Hirschin junger Brut.


Sieggewohnt und gute Schützin legt die Gräfin auf ihn an;

»Siegebot, wir wollen sehen, ob ich heute treffen kann.«


Doch der Kugel Macht und Stärke prallt am stolzen Hirschgeweih

Rückwärts, in der Gräfin Busen fährt das kalte Todesblei.


Leise stammelt sie 'ne Bitte, eh' ihr schönes Auge bricht;

Von des Gatten Arm umfangen fliehet ihr Geist zu reiner'm Licht.


Und die Bauern sprechen bebend: »Einen Hirsch mit junger Brut,

Soll man nimmer zielen, jagen, wenn er bei den Seinen ruht.«
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Ungefährdet mit der Heerde zieht der Hirsch zum tiefern Wald

Und zum Schlosse heimwärts ziehend dumpf der Jäger Horn erschallt.


Aber bald im Weyarn Grunde wird es rege, wird es laut;

Auf Graf Siegebot's Geheiße wird ein Kloster dort gebaut.


S' ist der Gräfin letzte Bitte, die der Graf getreulich hält,

In des Klosters fromme Mauern dringt nicht das Geräusch der Welt.


Falkenstein ist halb zerfallen, einst'ger Größe stolzes Mal

Aber aus dem Weyarn Kloster tönt die Glocke noch durchs Thal.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 256-257.
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