1322. Die böse Wirthin von Schweinau.

[306] Mündlich.


In Schweinau lag eines Wirthes Weib, der auch nebenbei Metzger und Milchmann war, in den letzten Zügen. Die Frau war ihrer Lebtag habsüchtig und geizig gewesen, und so ließ ihr der Mammon selbst auf dem Sterbelager noch nicht Ruhe. Anstatt auf den Tod zu denken, hatte sie noch dieses und jenes von allerhand Hausgeschäften mit ihrem Ingesinde zu reden. Als nun eben gemolken war und die Milch zum Bäcker getragen werden sollte, rief die Frau mit Anstrengung ihrer letzten Kräfte: »Bub'! in die Maaß Bäckenmilch gehört jederzeit ein Glas Wasser!« Nach diesen Worten verschied die Frau. Bald darauf gings im Hause um. Alle Dienstboten sahen die Frau, nur ihr Mann nicht, obwohl er es wünschte. Endlich wurde er einmal Nachts durch leises Stöhnen und Heulen aus dem Schlafe geweckt, und als er aufstund, sah er sein Weib, wie sie leibte und lebte, im großen Lehnstuhl hinter dem Ofen sitzen. Sie hatte ein großes Tuch in der Hand, womit sie beständig ihre vom Weinen nassen Augen trocknete.

»Liebes Weib,« begann der Mann, »was ist es, daß du der ewigen Ruhe entbehrest?« Darauf entgegnete die Frau: »An der Fleischwage ist ein Haken, der ist zu schwer. Was deinen Kindern gehört, nimm aus der Truhen und gieb es den Vormundskindern. Das kannst du noch gutmachen; daß ich aber beim Milchschank den Daumen in's Maaßblech gehalten, kannst du nimmer gutmachen und deßwegen hab' ich keine Ruh' im Grab.« Und so muß es wohl sein, denn noch immer will man das Jammern und Wimmern der Verstorbenen hören.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 306-307.
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