1361. Die Hexe von Menzing.

[341] Mündlich.


Ein Bursche ging einmal zur Nachtszeit zum Kammerfenster seiner Geliebten, die im Dorfe Menzing an der Würm wohnte. Als er sich dem Hause näherte, sah er das Zimmer der Dirne hell erleuchtet, und als er neugierig hineinblickte, gewahrte er, wie das Mädchen einen Bund Stroh zusammenrichtete, und denselben mit allerlei Bändern und Flitterwerk zierte. Nach einigem Zögern klopfte der Bursche an das Fenster und fragte die Dirne, was sie denn mache. Diese gab zur Antwort: Ich fahre aus; wenn du mit mir reisen willst, so kannst du dich zu mir setzen;[341] rede aber kein Wort, sonst bist du unglücklich. Der Bursche war neugierig, zu wissen, was seine Geliebte treibe, stieg hinein und setzte sich auf den Bund Stroh mit dem Versprechen, zu schweigen. Das Mädchen nahm eine Büchse aus der Tasche ihres Kleides, bestrich sich und den Geliebten mit einer Salbe die Nase und begann darauf die Reise. Diese ging durch den Kamin hinaus und dann durch die Luft fort und fort in weit entfernte Gegenden. Da fuhren sie einmal ganz nahe an einem Weinkeller vorüber, wo man eben mit Lichtern beschäftigt war. Da der Zug etwas niedrig ging, glaubte der Bursche, die Leute, die dem Strohbunde so nahe kamen, möchten ihn anzünden, und in der Angst schrie er auf. Augenblicklich lag er auf dem Boden, während die Dirne mit dem Strohbunde seinen Blicken entschwand und ihre Luftreise unbekümmert um ihn fortsetzte. Der Keller, bei welchem er auf den Boden gelangte, lag bei Wien. Zufällig war der Kellermeister ein alter Bekannter von ihm, den er früher in München hatte kennen lernen. Mit dessen Hilfe gelang es ihm, seine Reise in die Heimath zu bewerkstelligen. Als er wieder nach Menzing kam, traf er seine Geliebte auf dem Felde bei der Arbeit. Die Vorwürfe, die er ihr machte, rührten sie nicht, sondern sie sprach blos: »Ich habe dir gesagt, du sollst schweigen; hättest geschwiegen, so hättest du mit mir auf den Blocksberg zum Tanz fahren können. Ich war dort recht lustig und bin in vierzehn Tagen schon wieder zu Hause gewesen, während du einen schönen Umweg hast nehmen müssen.«

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 341-342.
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