934. Des Pfalzgrafen Hirschjagd.

[6] Mündlich.


Die Bürger von Neustadt waren einmal mit ihrem Pfalzgrafen unzufrieden und weigerten sich daher, eine Besatzung, die er sendete, aufzunehmen. Ihn selbst jedoch, der die Irrung zu heben kam, empfingen sie mit großen[6] Ehrenbezeugungen an ihrem Thore und geleiteten ihn zu seinem Quartier. Um ihm noch mehr zu zeigen, daß sie nicht sowohl ihm, als vielmehr einigen seiner Forderungen abhold wären, gab ihm der Stadtrath ein glänzendes Gastmahl. Dem erlauchten Herrn gefiel es, lange bei Tafel zu bleiben und sich mit seinen Wirthen auf das Freundlichste zu unterhalten. Er blieb auch mit denselben im schönsten Einvernehmen, bis er auf die Sache zu sprechen kam, derenwegen er eigentlich gekommen war. Da schüttelten die hochweisen Herren insgesammt die Köpfe und lehnten alle Vorschläge des Pfalzgrafen, soweit sie die Sendung einer Besatzung bezielten, ab. Der Fürst ließ den Gegenstand fallen und blieb im Gespräche so heiter, wie zuvor. Nach längerer Zeit aber stand er auf und sprach: »Ich gehe jetzt ein Stündlein hinaus zum Jagen, da ich in der Nähe einen Hirschen weiß, und komme dann wieder zu Euch zurück. Seid indeß vergnügt!« Jede Begleitung verbat er sich. Die Herren blieben beisammen und ließen sich den Wein trefflich munden. Nicht weit von der Stadt lag hinter einer Anhöhe ein starker Trupp Soldaten; zu diesem begab sich jetzt der Pfalzgraf, um ihn in der Stille und unter dem Schutze der Nacht nach der Stadt zu führen. Da man ihn hier bald wieder zurück erwartete, auch an nichts weniger, als einen Ueberfall dachte, so war das Thor noch offen. Die Mannschaft drang ein, besetzte dasselbe und umringte nachher das Haus, worin ein hochweiser und fürsichtiger Stadtrath noch bankettirte. Darauf trat der Pfalzgraf an der Spitze von Bewaffneten in den Saal mit den Worten: »Der Hirsch ist gefangen, Neustadt besetzt, der Handel aus!« Was da die Herren für Augen machten. Aber die Schnurrbärte hinter dem Pfalzgrafen ließen keine unfreundliche Miene aufkommen. Die wohlweisen Herren fügten sich gern und wurden dann in Gnaden entlassen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 6-7.
Lizenz:
Kategorien: