391. Der Rasch.

[398] Die vor. Schrift S. 94.


Vor langer Zeit war im Dienste der Stadt ein Holzwärter Namens Rasch, der jedoch bei dem ihm anvertrauten Amte nicht mit der Treue und Gewissenhaftigkeit zu Werke ging, wie es Recht und Pflicht von ihm heischte, sondern auf alle mögliche Weise Betrügereien trieb. Dafür soll nun sein Geist nach dem Tode keine Ruhe haben, und bis auf den heutigen Tag in dem Ort seiner zeitlichen Frevel wandernd gesehen werden. Ein Glaubwürdiger erzählte davon Folgendes: er war mit seiner Hausfrau in dem Wald, die Flicken genannt, um Streu zu sammeln. In dem Eifer der Arbeit verloren sie sich mählich tiefer in den Wald, bis sie an[398] die Grenze des Stadtholzes kamen und der Mann einen Schatten vor sich erblickte.

Er blickte auf, da stand ein Mann im Gesträuche, welchen unser Bürger freundlichst grüßte, ohne jedoch einer Antwort gewürdigt zu werden: darüber verwundert, betrachtete er den Fremden näher und fand, daß sich eigentlich kein Gesicht, sondern nur eine Art Nebel an der Stelle desselben befand. Grausen und Entsetzen überkam ihn nun und er rief: »Jesus, Maria und Joseph! was ist das?« Und kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so war die Erscheinung spurlos verschwunden, und schien in das in der Nähe befindliche Altwasser hineingefahren zu sein, denn dessen ruhige Oberfläche tobte auf einmal hoch auf und ein Wirbelwind erhob sich, der die Bäume des Waldes zu entwurzeln drohte, aber sich eben so schnell wieder legte, als er entstanden war. Der Bürger eilte nun zu seinem Weibe, welche alles bemerkt hatte und ausrief: »Gottlob Mann, daß du kommst, ich habe den Rasch auch gesehen!«

Die Hirtenbuben auf dem Spitalhofe haben ihn, wenn sie nächtlicher Weile hüten mußten, oft erblickt; und einer derselben höhlte daher einen hohlen Weidenbaum noch weiter aus, bis er seine Person darin verbergen konnte, und dahinein verkroch er sich, so oft brüllend das Vieh in der Mitternachtsstunde davonlief und die unheimliche Gestalt heranzuwandeln begann. Sie soll ein dreieckiges Hütchen, enges Kamisol und hohe Stiefel getragen haben, wie man sich in alten Zeiten kleidete. In neuerer Zeit soll er sich nicht mehr gezeigt haben, aber mehrere Jäger, welche in den Altwässern des obern Holzes auf dem Anstand waren, wollen ihn zum größten Mißvergnügen gehört haben, und zwar auf dem Wasser herumschlagend, was sie zwang, ohne Beute nach Hause zu gehen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 398-399.
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