489. Die Elfen im Hochland.

[25] Erzählt von LudwigLang, Beil. z. bayerischen Volksblatt. Stadtamhof 1850, N. 7.


Vor vielen hundert Jahren lebte auf den Höhen und in den Schluchten der Berge ein wundersames Geschlecht, vom Volke Elfen genannt. Doch sind diese nicht die kleinen luftigen, lustigen Wesen, die seit den Tagen der Vorzeit einsame Flußthäler, Gebirgsschluchten und tiefe Wälder bevölkerten, damit auch so ganz abgelegene, verborgene Orte nicht ohne Leben und Bewegung seien; Völklein, die Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen hatten, und von Blüthenstaub und Thautropfen lebten; sondern die Elfen dieses Gebirges sollen zarte Jungfrauen gewesen sein, verläugnete Kinder des ersten Menschen, die vor dem Angesichte des Herrn in die Berge fliehen mußten. Da lebten sie nun seit unfürdenklichen Zeiten, und in den undurchdringlichen Forsten säuselten ihre Klagen und ihre schönen sanften Lieder tönten wunderbare Weisen, wie sie sonst auf[25] Erden nirgends gehört wurden. Wenn ein Wanderer manchmal Nachts auf selten betretenen Pfaden über die Joche aus einem Thal in das andere zog, und er hatte das Herz voll Gram, oder barg böse Gedanken und Groll und bitteres Wesen in seiner Brust, und er hörte ihre weichen, sanften Melodien, da kehrte es ihm oft plötzlich den bösen, düstern Sinn herum; denn die Elfen hatten die Gabe, weil sie selber rein und unschuldig waren, die Menschen, die sie hörten, zu mildern Sitten zu bringen. Tag und Nacht schweiften sie durch die Wälder und weinten ob ihrer Verbannung und dem herben, traurigen Geschicke, das Angesicht der Sonne und das Licht des Tages nicht sehen zu dürfen, und rastlos wandern zu müssen bis zum Ende der Tage. Sie nährten sich von der Milch der Heerden, die auf den Almen weideten; in der Stille der Nacht kamen sie aus den schwarzen Wäldern und molken die Kühe, aber nur die, welche braven Leuten gehörten, oder von guten frommen Hirten und Hirtinnen behütet wurden, denn es war der lautere Segen in dem Besitzthum der Menschen, an dem sie Theil nahmen. Die Kühe gaben dann doppelt und dreifach so viel Milch, und die Landleute erlebten an ihnen keine Unfälle. Darum hatten die Sennerinnen die »Fräulein,« wie sie die Elfen auch nannten, lieb und hielten sie hoch in Ehren; und manches Körbchen mit saftigen Erdbeeren und duftenden Alpenrosen wurde den Kühen zwischen die Hörner gebunden, damit die Elfen es fänden und sich daran erfreuten. Und manchesmal, wenn die Sennerin dem scheidenden Jäger nachsah, der in der Stille der Nacht von der Jagd heimkehrend den Berg hinunterstieg, erblickte sie in der Ferne ein Fräulein und mußte weinen, wenn sie an die guten, sanften Wesen dachte, die so gerne zu den Menschen gegangen wären. Sie hätte ihnen helfen mögen; aber die scheuen armen Verbannten flohen die Gesellschaft und das Gespräch glücklicher Menschen, die das Tageslicht schauen und frei hinwandeln konnten, wohin sie wollten, und eine Heimat hatten, während sie selber von keiner andern wußten, als von den kalten rauhen Bergen.

Jetzt freilich sieht man keine Elfen mehr, und die ältesten Leute erinnern sich nur, vom Großvater erzählen gehört zu haben, daß ihm als jungen Jäger einmal, da er sich verirrt hatte, eine Elfe den Weg gewiesen; oder von der Großmutter, daß die Kühe, die sie als Sennerin gehütet, doppelte Milch gegeben, weil die Elfen sie molken. Wie aber die Menschen in der ganzen Welt weiser und gescheiter wurden, so haben alle jene wunderbaren Geschlechter, von denen die Sage erzählt, sich noch[26] scheuer vor ihnen zurückgezogen; denn mit der alten Einfalt verloren die meisten Menschen auch die besseren Sitten, und wurden ein zügelloses, böses Volk.

Da begab es sich vor etwa anderthalb hundert Jahren, daß in einer mondhellen Sommernacht ein Knecht über die Berge hereinkam in das Thal, von dem ich am Anfang gesprochen. Eilig zog er seines Weges, denn er fürchtete die Rache der Bewohner eines entfernten Theiles, wo er eben im Zorn des Streites einen Mann getödtet hatte. Noch klebte das Blut des Erschlagenen an seinen Händen, und in seiner Seele schlug noch der Groll und die Mordlust in hellen Flammen empor. Wie er nun so hinschritt an den Halden, stand er plötzlich bei einer Heerde und gewahrte eine Elfe, die eines der Thiere molk. Er stürzte auf sie zu, und traf sie mit seinem schweren Bergstock auf das zarte Haupt, daß sie seufzend zu Boden sank und das warme Blut die Erde färbte. Dann wanderte er zornig und fluchend weiter; aber am westlichen Himmel stieg ein Gewitter auf, und in seiner Seele ward es finsterer und kälter als je. Die Blätter der Bäume zitterten mit unheimlichem Rauschen; die Vögel des Waldes, die eben vom ersten Morgenhauch geweckt, erwachten, riefen ihm seinen Mord und den frevelhaften Eingriff in das Reich der Natur vor das wild empörte Gewissen, und das schwere Röcheln der sterbenden Elfe stöhnte noch in der Ferne und hallte schauerlich in der schweigenden Waldeinsamkeit wieder. Darauf stieg die Sonne über den Felsen empor, und sie schien ihm blutroth, aber bald brach das Gewitter los, das immer höher und drohender sich erhoben hatte; eine unnennbare Angst lagerte sich schwer auf die schuldbeladene, mordbefleckte Seele, und stieg schnell zum zermalmenden Wahnsinn. Im dicksten Gebüsche des Thales versteckte er sich vor den zuckenden Blitzen, und noch, als das Gewitter längst vorüber war, lag er von Angst erschöpft, betäubt, zitternd in seinem Schlupfwinkel und heulte und tobte in schrecklicher Verzweiflung. Er gedachte mit dem Messer seine Qualen zu enden, aber die ohnmächtige Hand vermochte den Todesstoß nicht zu führen. Am späten Abend stand wieder der Vollmond ruhig und klar über dem Thale; da begann es auf den Höhen ringsum sich zu regen, und in der Geisterstunde erscholl eine gellende Stimme und tönte in den Bergen und an den Felswänden wieder: Alle neun Reiche auf! Elfe ist todt! Der Mörder hörte den Ruf, und stürmte auf und rannte zum See, und hinein, bis das Wasser ihm über dem Kopfe zusammenschlug; aber die Wellen bäumten sich und[27] schleuderten ihn hoch empor, und eine warf ihn der andern zu, bis er sinnlos, zerschlagen wieder am Ufer lag. Er raffte mit der letzten Kraftanstrengung sich auf und wankte einen Berg hinan, bis er blutend und schweißtriefend oben stand, wo eine schauerliche Tiefe heraufgähnte. Da nahm der Verzweifelnde einen gewaltigen Ansatz und flog über den Rand hinaus in den bodenlosen Abgrund.

Von den Elfen hat man seit jener Zeit in dieser Gegend nichts mehr gehört noch gesehen, und der frühere überschwengliche Segen ist aus dem Thale gewichen; die Arbeit und Mühe der Bewohner ist dieselbe wie überall, und die Leiden und das Unglück suchen auch hier regelmäßig die Hütten der Bewohner heim.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 25-28.
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