585. Das Wolfsbacher Geigerlein.

[134] Erz. v. Schubert.


Es ging einmal ein Geigersmann von einer Kirchweih nach Hause, auf welcher er den Leuten bis tief in die Nacht aufgegeigt hatte. Das Männlein ging ohnehin nicht gern auf dem geraden Weg und kam daher auch in dem dicken Forste, durch den es mußte, bald so weit zur Seite ab, daß es am Ende in eine Grube fiel, welche der Jäger zum Wolfsfange gegraben hatte. Der Schreck war schon groß genug für den Geiger, da er so ohne weiteres von der Erde hinunter in die Tiefe fuhr, wurde aber noch größer, da er unten auf etwas Lebendiges auffiel, was wild aufsprang, und da er merkte, daß es ein Wolf sei, der ihn mit glühenden Augen ansah. Der Mann hatte nichts in der Hand, als seine Geige und in der Angst fängt er an, vor dem geöffneten Wolfsrachen, alle seine Stücklein aufzugeigen, die ihm aber diesmal selber gar nicht lustig vorkamen. Dem Wolf mußte jedoch diese Musik ganz besonders schön und rührend vorkommen, denn das dumme Vieh fing an überlaut zu heulen, was wohl, wie bei unsern musikalischen Hunden, wenn sie Sang und Klang hören, gesungen heißen sollte. Die andern Wölfe draußen im Walde, da sie ihren Kameraden in der Grube so singen hörten, stimmten auch mit ein, und ihr Geheul kam manchmal so nahe, daß das Geigerlein, an welchem kaum ein einziger Wolf satt geworden wäre, geschweige zwei, jeden Augenblick fürchten mußte, es käme noch ein anderer, auch wohl noch ein dritter und vierter Gast zu seinem bischen Fleisch in die Grube herein. Unser Kapellmeister in der Wüste guckte indeß einmal über's andermal in die Höhe, ob's nicht Tag werden wollte, denn das Geigen war ihm sein Lebtag nicht so lang geworden und so ganz sauer und niederträchtig vorgekommen, als da vor dem Wolfe und er hätte lieber Holz dafür hacken wollen zwanzig Jahre lang, alle Wochentage. Ehe aber der Morgen kam, waren schon zwei Saiten an seiner Geige gerissen und da es Tag wurde, riß die dritte, und der Geiger spielte nun blos noch auf der vierten und letzten und wäre die auch noch gerissen, so hätte ihm der Wolf, der durch das viele Heulen die ganze Nacht hindurch nur noch hungriger war, keine Zeit mehr gelassen zum Wiederaufziehen, sondern hätte ihn dabei aufgefressen. Da kam zum Glück der[135] alte Jobst, der Jäger, der den Wolf schon von weitem singen, den Geiger aber in der Nähe geigen hörte. Dieser zog den Kapellmeister gerade noch zur rechten Zeit aus dem Rachen des hungrigen Wolfes heraus und erlegte dann diesen. Der Kapellmeister ging aber ganz still seines Weges und nahm sich vor, künftig lieber am Tage und auf geradem Wege nach Hause zu gehen. Das Geigen im Wirthshaus war ihm auch so ganz entleidet, daß er zu seinen Kameraden sagte, er wolle sich lieber mit der Nähnadel – denn er war ein Schneider – sein tägliches Brod ergeigen, und wenn er einmal ein's auf Saiten aufspielen wollte, so thäte er's lieber in der Kirche, als im Wirthshaus, denn von dort sei ein geraderer und sicherer Weg nach Hause, sei auch nicht so weit dahin, als vom Wirthshaus.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 134-136.
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