786. Die Klingenburg.

[306] Von J. F. Adrian.


Wann voll der Mond am Himmel wacht,

Von goldnen Sternen hell umflimmert,

Und dumpf die Stund' der Mitternacht

Vom alten hohen Thurme wimmert;

Entwallet ernst und hehr und bang

Der Klingenburg umgrünten Mauern

Ein reiner silberheller Klang;

Man hört's mit tiefem heil'gen Schauern.


Dort lebte in der grauen Zeit,

Wo für das Kreuz die Völker stritten,

Die schöne Jungfrau Adelheit

Mit frommen Sinn und reinen Sitten.

Vom Antlitz war sie Engeln gleich,

Wie Raphaele sie uns malen;

Die Seele sanft und liebereich

Sprach aus des Auges blauen Strahlen.


Adolf von Hochburg kühn und hold

Umschlang ihr Herz mit süßen Banden

Und als sie einst im Abendgold

Im stillen Eichenhain sich fanden;

Da klopft' ihr Herz an seiner Brust,

Sie hielten innig sich umwunden,

Und fühlten der Verklärten Lust

Die niedre Erde schien verschwunden.


Bald tönet – ach! des Kaisers Ruf

In's Morgenland Adolf zum Streite;

Da sank der Bau, den Liebe schuf,

Und höchste Wonne wich dem Leide.[306]

Es nahte trüb die letzte Nacht,

Kein goldnes Sternchen mochte schimmern;

Umhüllet zog des Mondes Pracht

Durch Wolken hin mit mattem Flimmern.


Und als nun schwand der nächt'ge Flor

Und enden mußt der Trennung Stöhnen;

Da zog ein Glöckchen sie hervor

Mit reinen silberhellen Tönen: –

»Da nimm, und wenn des Todes Streich

Dir naht, so laß das Glöckchen klingen,

Es tönet durch der Lüfte Reich

Und wird zu meinem Ohre dringen!«


Nun zog er hin, und Adelheit

Lebt ihrer Lieb und ihrem Kummer

Und Nächte lang durchschaut sie weit

Des Maines Thal, – ihr naht kein Schlummer.

So schwand ein Jahr; – in's weiße Thal

Blickt einst um Mitternacht sie wieder,

Da klang des Glöckchens Silberschall, –

Und Adelheit sank todt darnieder.


Das ist der silberhelle Klang,

Den man mit tiefem heil'gen Schauern

Entwallen höret hehr und bang

Der Klingenburg umgrünten Mauern,

Wenn voll der Mond am Himmel wacht,

Von goldnen Sternen hell umflimmert

Und dumpf die Stund der Mitternacht

Vom alten hohen Thurme wimmert.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 306-307.
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