787. Der Schäfer von Elsenfeld.

[307] A. v. Herrlein S. 242.


Vor hundert und mehr Jahren lebte zu Elsenfeld ein Schäfer, der Hirtenjörg genannt, und seine Frau die Ev', und galten beide weit und breit für gottselige, rechtschaff'ne Leute. Besonders der Mann wußte viel' fromme Sprüche und heilige Geschichten, und wenn er die Schafe hütete[307] auf dem Dammesfeld, pflegte er lauter geistliche Lieder dazu zu blasen, so schön, daß den Leuten, die ihn hörten, das Herz davon bewegt wurde.

Es geschahen aber selbiger Zeit in der Gegend viele erschreckliche Unthaten, und wie man's auch anstellte, man konnte den Thätern nicht auf die Spur kommen; die Kirchen wurden ausgeraubt, und die Leute auf der Straße angefallen und todtgeschlagen, und besonders das Dammesfeld kam so in's Geschrei, daß sich Niemand mehr des Abends durch's Thal getraute. Denn nicht nur Einzelne, sondern auch Zwei und Drei, die sich verspätet hatten, wurden am Morgen todt im Wald gefunden, und man meinte nicht anders, als es müßte eine große Bande im Wald ihr Wesen haben.

Wer hätte gedacht, daß der Schäfer und sein Weib so gottlose Heuchler seien, und daß sie allein alle Raub- und Mordthaten verübten? Es war aber doch so, und sie brachten's fertig durch die schwarze Kunst, und stellten es also an: wenn ihnen ein Kind geboren wurde, brachten sie's um, schnitten ihm den kleinen Finger ab und dörrten ihn im Backofen. Wenn sie dann einen Einbruch oder Mord begehen wollten, brannten sie den Finger an, wie eine Kerze, und so lange der Finger brannte, waren sie unsichtbar. So gewahrten denn die Leute, wenn sie Nachts unter Schippach durch den Tannenwald gingen, Nichts, als ein Licht neben dem Weg, wenn sie aber hinzukamen und an nichts Böses dachten, schlug sie der Schäfer mit dem Holzbeil todt, ehe sie noch wußten, wo die Schläge herkamen.

Ehe nun der Schäfer sich verheirathet hatte und ein Mörder geworden war, gingen einmal im Frühjahre auf den zweiten Ostertag drei Bursche aus Elsenfeld in die Fremde: der eine war ein Schneider, der andere ein Schmied, der dritte, mit Namen Kasper, war der einzige Sohn aus der Mühle und war ein Müller. Daheim waren sie still und traurig fortgegangen, wie's aber das junge Blut zu machen pflegt, in Rück kehrten sie ein im Wirthshaus, um noch Ein's mit einander zu trinken, weil sie immer so gute Kameraden gewesen. Da wurden sie wieder munter, führten allerlei Reden, und zuletzt machten sie mit einander aus, sie wollten sieben Jahre in der Fremde bleiben, aber wenn sie am Leben blieben, auf den zweiten Ostertag wieder hier zusammenkommen, und wie ihren Auszug, so auch ihren Einzug wieder in Elsenfeld halten – alle drei miteinander. Darauf zogen sie durch's Dorf, singend das Handwerksburschenlied:
[308]

»Ich will mein Glück probiren,

Marschiren!«


gingen den Bach hinauf, am Kloster vorbei, und bei der Aubrücke trennten sie sich, – Zwei gingen rechts und der Dritte ging links. In der Fremde hatten sie alle drei viel Glück, lernten ihr Handwerk ohne Tadel und ersparten sich auch noch ein jeder ein schönes Stück Geld, und als die sieben Jahre zu Ende gingen, dachten sie auf's Heimgehen, und auf den zweiten Ostertag kamen sie wieder in der Krone zu Rück zusammen, wie sie's verabredet hatten. Der Müller war zuerst auf dem Platz, dann kam der Schmied, und hernach der Schneider. Wie nun Einer nach dem Andern gesund zur Thüre hereintrat, hatten sie eine große Freude, erzählten und ließen eine Kanne nach der andern bringen, auf baldige Meisterschaft anzustoßen, bis es endlich anfing zu dunkeln, – da brachen sie mit einander auf und wollten heimwärts. Draußen aber blies seit etlichen Tagen der Thauwind und die Elsava war ausgetreten und hatte das ganze Thal unter Wasser gesetzt, und es brauste, wie wenn der Rhein das Thal entlang ginge.

Wie sie nun unter die Kreuzmühle kommen, dorthin wo der große Nußbaum steht und der Bildstock, hören sie den Schäfer blasen: »Nun sich der Tag geendet hat,« und sagen: »Das ist der Hirtenjörg, jetzt werden wir bald daheim sein.« Mit Einem Male aber hört das Blasen auf, und es wird ein Licht aufgesteckt und sie sehen das Licht, aber Keinen, der es trägt, sondern das Licht fackelt vor ihnen kerzengrad in der Luft herum, – der Hirtenjörg hatte sie kommen hören, und hielt sich hinter dem Baum und lauerte auf sie, der ausgetretene Bach aber ging bis gerad unter den Nußbaum. Wie sie nun stutzten und nicht wußten, sollten sie voran oder zurück, schreit er ihnen zu: »Legt die Felleisen ab, hernach will ich jedem von Euch seinen Treff geben!« und zugleich schlug er den Schneider, der voranging, vor den Kopf, daß er taumelte. Da wußten die drei nicht, wie ihnen geschah, und fingen an zu bitten, er solle die Felleisen nehmen, nur das Leben solle er ihnen lassen. Endlich sagte der Hirtenjörg: »Meinetwegen, ob ich's schon nicht gern thue, aber die Felleisen legt ihr hierher und all' eure Kleider darauf, und wenn ihr euch ausgezogen habt, steigt ihr auf den Nußbaum und muckst euch nicht, – sonst ist's euer Letztes.« Sie thaten so und stiegen auf den Nußbaum, und der Schäfer, wie sie droben waren, wollte mit den Felleisen und Kleidern davon gehen, ließ aber dabei den Finger, den er angesteckt hatte,[309] von ungefähr fallen: der ging aus, und in demselben Augenblick war der Schäfer sichtbar, und weil der Mond grad hinter einer Wolke hervorkam, kannten ihn die drei und schrieen: »Hirtenjörg, Hirtenjörg!« Da warf er die Felleisen und die Kleider wieder hin, nahm seine Doppelflinte von der Schulter, trat unter den Baum und sagte: »Habt ihr mich erkannt, ihr drei, nun so betet jetzt euer letztes Vater unser!« Wie sie das hörten, fingen sie auf's Neue an, um ihr Leben zu bitten, versprachen auch, ihn nie zu verrathen, und er sollte an den großen Jammer denken, den er anrichten würde, wenn er sie umbrächte. Der Hirtenjörg aber lachte und meinte: wem's denn so arg zu Leid geschehen würde, wenn er sie jetzt alle umbrächte?

Da sagte der Schneider: »mein Meister hat mich immer gar zu lieb gehabt, denn es hat ihm Keiner so die Arbeit zu Dank gemacht, wie ich. Ich hab' ihm geschrieben, daß ich komm' und wieder zu ihm will, und heute wartet er auf mich und wird sich gar keinen Rath wissen, wenn ich nicht eintreffe.«

»'S ist nicht wahr,« sagte der Schäfer, »heute morgen erst hat er sich einen neuen Gesellen eingestellt,« und schoß ihn vom Baum. Der Schneider aber war nicht gleich todt, sondern fiel hellaufschreiend herab in's Wasser und plätscherte und gurgelte drin herum und schlägelte mit Händen und Füßen, daß der Schäfer laut auflachte – dann ward er das Thal hinabgeschwemmt.

Der Schmied sagte: »Das Evchen und ich kennen uns seit zehn Jahren, und jetzt wollen wir Hochzeit halten. Sieh' in meinem Felleisen steckt das Kränzchen, – das soll sie tragen an ihrem Hochzeitstage. Heute wartet sie auf mich und hat keine frohe Stunde mehr, wenn ich nicht heim komme.«

»'S ist nicht wahr,« lacht der Schäfer, »das Evchen denkt nicht mehr an dich, – es ist schon seit sechs Jahren meine Frau, – schau hinüber, dort steht sie bei den Schafen!« und damit drückt er los. So fällt der Schmied maustodt vom Baum und schwimmt auch das Thal hinunter.

Der Kasper sagte: »Hirtenjörg, Hirtenjörg! Wir stehen in Einem Taufbuch und haben als Kinder mit einander gespielt und sind mitsammen zum heiligen Nachtmahl gegangen. Wenn du mir auch thust, wie den zwei Andern, will ich dich verklagen vor Gottes Gericht, und sollst keine[310] ruhige Stunde mehr haben in deinem Lebenlang. Seit sieben Jahren hat meine Mutter jeden Morgen und Abend gebetet, daß ich noch einmal heimkomme und ihr die Augen zudrücke, heute ist sie fünf und siebenzig Jahre alt geworden und wartet auf mich.«

»'S ist nicht wahr,« sagte der Schäfer, »deine Mutter ist alt und täppelig geworden die letzten Jahre her, und weiß gar nicht mehr, daß sie noch einen Sohn hat, und liegt jetzt schon lang in ihrem Bett.« Damit schoß er ihn vom Baum. Er hatte ihn aber nicht recht getroffen, und der Kasper, wie er fortgeflößt wurde, schrie immer noch: »Hirtenjörg, Hirtenjörg!« Dieser aber meinte, er könne sich noch einmal an's Land herausarbeiten, und schlich am Wasser hinunter, um ihm den Garaus zu machen. So kommt er auch an die Mühle, und weil er noch Licht drin sieht, schaut er durch's Fenster, – da sitzt wirklich des Kaspers Mutter, die alte Müllersfrau, noch in ihrem Sessel und betet und der Tisch war mit weißem Linnen gedeckt, und standen zwei Teller darauf und eine Flasche Wein mit zwei Gläsern. Da schreit's noch einmal weit unten vom Wasser her: »Hirtenjörg, Hirtenjörg!« daß die alte Frau den Kopf aufhob und horchte, den Schäfer aber schüttelte es am ganzen Leibe – denn gerade jetzt mußte der Kaspar in den Main getrieben sein.1

Wie aber dieser gesagt, so geschah's. Der Schäfer hatte von nun an keine ruhige Stunde mehr. Wo er gehen und stehen mochte, hörte er das Wasser brausen und zwischendrein rufen: »Hirtenjörg, Hirtenjörg!« Bald riefen's die drei Handwerksburschen miteinander, bald der Kasper allein, wie er gerade untergehen wollte, und bald die alte Frau, und weil er's nicht mehr länger aushalten konnte, ging er hin vor Gericht und gab sich an und seine Frau und bekannte Alles, was er gethan hatte. Dort ward ihnen das Urtheil gesprochen, daß sie auf dem Dammesfeld lebendig von vier Pferden sollten zerrissen werden.

Sein Weib starb reumüthig. Der Schäfer aber sollte keine Gnade bei Gott mehr finden, sondern nachdem er bekannt hatte, ward er wieder so hart und verstockt, wie vorher. Als er schon auf dem Richtplatz stand, fing er an zu lachen, und als sie ihn fragten, warum? sagte er: drüben sehe er den Nußbaum stehen, von dem er die drei Handwerksburschen herabgeschossen habe, und da falle ihm grade ein, wie der Schneider im[311] Wasser so geplätschert und gegurgelt habe: das sei so lustig anzusehen gewesen, daß er jetzt noch darüber lachen müsse.

Als die Hinrichtung vollzogen war, wurden ihre Körper verbrannt, und die Asche in den Main gestreut.

1

Unterhalb der Elsenfelder Mühle mündet die Elsava in den Main.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 307-312.
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