Lugano

[208] O die Stunden sind unvergessen,

Als wir, ferne der sterblichen Welt,

Weilten im traulichen Alpenthale,

Wo in des Lichtes südlichem Strahle

Froh sich sonnen die ersten Cypressen,

Denen sich schüchtern die Myrte gesellt.


Dort auf des Sees tiefpurpurne Wellen

Schauten wir trunken hinab vom Altan,

Wie die Villen von rebenbekränzten

Felsvorsprüngen herniederglänzten

Und helleuchtend hervor die Kapellen

Aus den Kastanienwäldern sahn.


Oder vorbei an umrankten Ruinen

Stiegen wir, rings von Bächen umrauscht,

Bis wir zur Alpenfirne geklommen,

Keinen Ton mehr des Lebens vernommen

Und mit dem Donner der wilden Lawinen,

Statt mit den Menschen, Worte getauscht.


Abends am Hang, wo mit silbernen Locken

Die Kaskade vom Felsen springt,

Ruhten wir unter den Duftgestäuden,

Während ewig wechselnde Freuden,

Bunt, wie umher die stäubenden Flocken,

Uns umgaukelten, leicht beschwingt.


Uebertäubt von dem brausenden Strome,

Starb auf den Lippen uns jeder Laut.

Arm in Arme und Mund am Munde

Hingen wir, während zum ewigen Bunde

Unter dem heiligen Sternendome

Uns die heilige Nacht getraut.

Quelle:
Adolf Friedrich von Schack: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Stuttgart 31897, S. 208-209.
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