201. Die [186] Snâke.

Eine Frau, deren Mann schon lange todt war, hatte eine einzige Tochter. Anfangs war das Kind gesund und stark, so daß die Mutter ihre Freude daran hatte. Die Frau ging aber öfters aus und setzte dann jedesmal dem Mädchen zwei Schalen mit Milch hin, in welche sie Brot gebrockt hatte. Kam sie wie der nach Hause zurück, so fand sie zwar jedes Mal die Milch und das Brot ausgegessen, aber anstatt daß nun das Mädchen hätte immer stärker werden müssen, fing dieses mit einem Male an abzumagern und wurde zuletzt leichenblaß. Die Mutter konnte sich das gar nicht erklären. Eines Tages setzte sie nun dem Mädchen wieder zwei Schalen voll Milch hin und that, als ob sie fortginge; statt aber, wie sonst, fortzugehn, blieb sie draußen stehn und schaute durch das Fenster. Da sah sie bald, wie sich die Kammerthür öffnete und eine ungeheuere snâke hereinkam und[186] die Milch ausfraß. Kaum hatte sie das gesehen, so eilte sie in die Stube, allein das Thier war schon wieder verschwunden. Von dieser Zeit an ließ die Mutter ihr Kind nie mehr allein, und es dauerte nicht lange, so war das Mädchen wieder zu Kräften gekommen.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 186-187.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.