Vierter Aufzug


[127] Jede Wand ohne Guirlanden mit verschiedenen symmetrisch aufgehängten Familienbildern – hinten Sopha, Sophatisch, Fauteuils auf einem Teppich. Vorne rechts und links Tische, Schränkchen oder Aehnliches.

Der Postbote und der Kneetschke.


POSTBOTE. Ja – wissen Herr Kneetschke schon, wer die Postkarte mit dem Esel geschrieben hat?

KNEETSCHKE. Wer hat das getan?

POSTBOTE. Werden Sie mich nicht verraten?

KNEETSCHKE. Nein!


Gibt ihm einige Banknoten.


POSTBOTE. Ich danke, mein Herr! Fürst Wladimir Zabórrek schrieb die Karte mit dem Esel.

KNEETSCHKE. Ih!

POSTBOTE. Ja!

KNEETSCHKE. Eh!

POSTBOTE. Adjeh!


Domestiken eilen durchs Zimmer und flüstern dem Kneetschke was ins Ohr. Ein Onkel und eine Tante der Patzigs erscheinen alsdann.


ONKEL setzt sich aufs Sopha. Kneetschke, Sie sind ein alter treuer Diener des Hauses Patzig.

TANTE setzt sich auch aufs Sopha. Kneetschke, wir haben Ihnen deshalb eine Mitteilung zu machen.

KNEETSCHKE. Euer Gnaden sein zu gütig.

TANTE. Ja, das sind wir.

ONKEL. Die Tausendmarkscheine, auf denen die Verlobungsanzeigen gedruckt worden sind –

TANTE. sind –

ONKEL. sind –

KNEETSCHKE. sind?

ONKEL. sind gefälscht.[127]

KNEETSCHKE sich krümmend. Oh! Oh! Ach, Du meine Güte! Hat mirs doch geahnt: Hat mirs doch geahnt! Er rennt umher in gekrümmter Haltung und bricht dann weinend auf einem Fauteuil zusammen.

KATHI. Guten Tag, lieber Onkel! Guten Tag, liebe Tante! Wie werden sich die Eltern freuen, Euch wiederzusehen! Gleich will ich die Mama suchen gehen. Ich komme sofort wieder. Kneetschke, suchen Sie den Papa. Schnell! Schnell!


Ab links.


KNEETSCHKE aufgestanden in straffer Haltung. Ich werde den Herrn Grafen aufsuchen Auch ab – rechts.

– – – – – – – – – – – – –

ONKEL. Der arme Kneetschke!

TANTE. Die armen Patzigs!

ONKEL. So sich blamieren!

TANTE. Das beklagenswerte Brautpaar!

ONKEL nimmt eine Prise Schnupftabak. Diese Falschmünzer! Niest.

TANTE. Siehst Du? Das musst Du beniesen.

ONKEL. Das kam vom Prisen.


Niest wieder.


KNEETSCHKE. Der Herr Graf wird gleich kommen. Ich aber weiss, was hier zu tun ist.

TANTE. Nun?

KNEETSCHKE. Die Familie Patzig muss ihre Schuld – sühnen.

ONKEL. Wie?

KNEETSCHKE. Dadurch, dass sämtliche Angehörige der Familie – mit Ausnahme des Fürsten Zabórrek, der ja Gott sei Dank noch nicht zur Familie gehört, ihrem Leben –

TANTE. Um Himmelswillen!

ONKEL. Kneetschke!

KNEETSCHKE. ihrem Leben, sagte ich, mit Gewalt –

TANTE. Kneetschke, nicht mit Gewalt!

KNEETSCHKE. Gut – also sagen wir durch – Selbstmord –[128]

TANTE. Die Aermsten!


Weint mit Taschentuch. Der Onkel zieht auch sein Taschentuch des Schnupftabaks wegen.


KNEETSCHKE mit fester, feierlicher Stimme. durch Selbstmord ein Ende bereiten.

ONKEL. Das ist ja furchtbar!

TANTE. Entsetzlich! Alle Drei wischen sich die Augen, Kneetschke steht wieder wie im dritten Aufzuge vorn rechts.


Von der rechten Seite hinten erscheint Papa Patzig, von der linken Seite Mama Patzig – beide ziehen auch ihre Taschentücher vor – Onkel und Tante erheben sich. Eine peinliche Pause entsteht.

Die beiden Gardinen werden jetzt eiligst hinter einander von einem der beiden Kavaliere zugezogen.


Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 127-129.
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