Trifels

[105] Ouch solt ihr vil wol wizzen daz:

Dazwischent Strasburc als ich las

Un Spire lit drilic berc

als uns seit der wahrheit werc:

davon er Drivels ist genant

in allen landen wol bekant.

Rudolf von Ems, »Weltchronik«.


Noch schwellt kein Grün der Buchen Kronen,

Doch singt die Drossel schon vom Ast

Und mit dem Weiß der Anemonen

Mischt sich der Primel gelber Glast;[105]

Annweilers Berge seh' ich wieder

Und ihre Burgdreifaltigkeit,

In Ehren alt, vernarbt und bieder,

Kriegszeugen deutscher Kaiserzeit.


Dort Scharfenburg, die schlanke, feine,

Vor ihr der Felsklotz Anebos,

Und hier als dritter im Vereine

Der Reichspfalz Trifels Steinkoloß.

Ihr Turm mit der Kapelle Erker,

Der einst die Reichskleinodien barg,

Des Löwenherzen Richard Kerker

Wächst mächtig aus des Felsens Mark.


Tanzplatz ist noch der Kamm geheißen,

Wo einst in zierem Pfauentritt

Bei Harfenschall und Minneweisen

Des Kaiserhofes Reigen schritt.

Ahi! wie sah man Tücher winken,

Als hier am zwölften Maientag

Bei vieler tausend Helme Blinken

Der sechste Heinrich Abschieds pflag!


Im ernsten Auge sprüht' ein Feuer,

Als klirre schon der Speere Krach:

»Konstanze, Weib dem Herzen teuer,

Bald rächen wir Salernos Schmach;[106]

Eh' sich die Wälder herbstlich färben,

Die heute diese Fahnen sehn,

Soll siegreich uns und unsern Erben

Das Reichspanier am Ätna wehn!«


Als ihres Kaisers Heergeleite

Ritt eine stolze Fürstenschaft

Und seinem Bruder treu zur Seite

Philipp von Schwabens junge Kraft.

Noch zog des Rotbarts blondem Kinde

Kein Frühlingsahnen durch den Sinn,

Daß er die Braut Irene finde

Als dieser Maifahrt Beut'gewinn.


Gleich einer ehernen Schlange wanden

Die Helme sich den Wald hindurch

Und alle Heerdrommeter sandten

Als Abschiedsgruß das Lied zur Burg:

»Ihr frische Rosen, sanfte Lilien,

Lebt wohl und blüht in Gottes Hut;

Des Adlers Flug geht nach Sizilien,

Ihn dürstet nach Normannenblut!«


Wer weiß noch von den Rittern allen

Aus Schwaben, Franken und vom Rhein,

Die damals fest als Reichsvasallen

Schwerttrugen in der Streiter Reih'n:

Vom Truchseß Markward von Annweiler,

Trushard vom Kestenberger Schloß,

Vom treuen Heinz von Meistersele,

Vom Eberhard von Anebos?...


... Ob ferner Wasgauhügelreihe

Sprüht goldner Sonnenuntergang

Und still schwebt Frühlingsabendweihe

Des Reichs verlaßnen Berg entlang.

Dann, mit des letzten Golds Verglimmen,

Füllt rings die Täler feuchtes Grau

Und auch der Seele Saiten stimmen

Sich äolsharfenweich und lau.
[107]

O Jugendkraft, wie wirst du älter!

Bald tritt auch mir die Stunde nah,

Da ich nicht mehr durch deutsche Wälder

Auszieh' ins Land Italia.

Bald bleicht des Wandrers müd' Gebeine

Vergessen in der Erde Schoß,

Und wie des Trifels mürbe Steine,

So deckt auch seinen Grabstein Moos.

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 105-108.
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