Der Willekumm

[51] Und als der Herr von Rodenstein

Zum Frankenstein sich wandte,

Empfing er seinen Ehrenwein,

So wie es Brauch im Lande.

In Beerbach vor dem Rathaus bracht'

Der Zentgraf mit den Bauern

Den Kauzenkrug. Der Alte lacht:

»Nur her mit Euerm Sauern!

Ihr Mannen macht das Armbein krumm,

Der Willekumm gaht um, gaht um,

Holliro, das Bauernkäuzlein

Gaht um, gaht um!«


Als er von dort sich durchgezerrt

Zur Frankensteiner Linde,

Stand Weg und Durchpaß dicht gesperrt

Vom jungen Burggesinde:

Ein Reiterstiefel lebensgroß

Von Ton, ein feinbemalter,

Ward ihm gefüllt kredenzt aufs Roß

Und alles sang den Psalter:

»Ihr Mannen, macht das Armbein krumm,

Der Willekumm gaht um, gaht um,

Holliro, der große Stiefel

Gaht um, gaht um!«


Im Burghof grüßt' ein zweiter Schwarm

Ihn mit Kartaunenzündung,

Da schwang der Burgherr selbst im Arm

Des zweiten Stiefels Ründung.

Des Schloßbergs Feinsten goß man ein

Und würdig sprach der Ritter:

»Herr Nachbar, nit auf eynem Bein!

Der hier schmeckt auch nicht bitter.

Ihr Mannen, macht das Armbein krumm,

Der Willekumm gaht um, gaht um,[52]

Holliro, der große Stiefel

Gaht um, gaht um.«


Der Rodenstein trank aus und rief:

»Gott segne deine Nase!

Die meine bog sich beinah schief

Von solchem Strom im Glase.

Jetzt wöll'n wir in dem Rittersaal

Ausruhn vom ersten Tosen;

Mir ahnt, dort füllt dein Eh'gemahl

Das Trinkhorn Karls des Großen.

Und nochmals heißt's: das Armbein krumm,

Der Willekumm gaht um, gaht um,

Holliro, des Kaisers Hörnlein

Gaht um, gaht um.«


... Beim Abschied andern Morgens war

Ein Nebel weit und breite,

Da bracht' man ihm das Stammbuch dar

Zum Eintrag, eh' er scheide.

Und zittrig schrieb er: »Kund soll sein,

Daß ich hie eingeritten

Und lob' das Haus zum Frankenstein

Als Haus von guten Sitten:

Der Willkumm hat mir so gemund't,

Daß ich das Bett nicht finden kunnt',

Holliro, nicht nur der Stiefel,

's ging alles um

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 51-53.
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