Hesiod

[29] »Laßt mein Lied mich beginnen von Helikonischen Musen.«

»Theogonie« 1 u. ff.


Licht glühte des Helikon Klippe

In Mittagspurpur und Blau,

Da schlief bei dem Quell Aganippe

Ein Hirtenknabe im Tau.

Die Lämmer von Askra zu hüten

War er zum Gebirge entsandt,

Nun hatte den allzufrüh Müden

Des Helios Kraft übermannt.


Da stieg aus den sonnigen Klüften

Eine göttliche Neunzahl herab,

Der schwebende Anmut die Hüften

Und Goldreif die Locken umgab;

Sie schritten in rhythmischem Reigen

Zum Hain, dem die Quelle entfloß,

Und stellten in heiligem Schweigen

Dem Träumer Geschenke ins Moos.


Die erste von Erz eine Feder,

Die zweite für Tinte ein Faß,

Die dritte ein Zwickbuch in Leder,

Die viert' ein geschliffenes Glas.[29]

Die fünft' einen Siegellackbarren,

Die sechst' eine goldene Brill',

Die siebte ein Kistlein Zigarren,

Die acht' einen Strauß Asphodill.


Die neunte, die beugte sich nieder

Und küßte die Lippen ihm zart,

Dann schwanden in Wolken sie wieder

Als Wesen von höherer Art.

Der Schlummerer sprang von der Erde

Und sang wie von Geistern gepackt

Und schwang mit verzückter Gebärde

Einen Lorbeerbengel im Takt.


Da liefen die Mithirtenknaben

Zusammen und priesen sein Glück

Und führten ihn samt seinen Gaben

Nach Askra im Festzug zurück.

Und alle askräischen Männer

Berieten die Sache im Rat,

Bis daß der Nomarchos als Kenner

Böotiens den Urteilsspruch tat:


»Bei dem ist's mit Weidung der Herden

Und Schafzucht für immer vorbei,

Er muß ein Unsterblicher werden

Mit Dichtkunst und Schriftstellerei!«

... Sie kauften ihm lange Gewänder

Und weihten ihn ganz seinem Gott,

Da verfaßte den Bauernkalender

Und die Theogonie – Hesiod.

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 29-30.
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