Der Basalt

[18] »Mag der basaltene Mohrenstein

Zum Schreck es erzählen im Lande,

Wie er gebrodelt in Flammenschein

Und geschwärzt entstiegen dem Brande:

Brenn's drunten noch jahraus, jahrein,

Beim Wein soll uns nicht bange sein,

Nein, nein!

Soll uns nicht bange sein!«

F.v. Kobell, »Urzeit der Erde«, p. 33.


Es war der Basalt ein jüngerer Sohn

Aus altvulkanischem Hause,

Er lebte lange verkannt und gedrückt

In erdtief verborgener Klause.


Vulkanische Kraft war damals gehaßt

Ob ihrer zerstörenden Schläge,

Dem Ruhebedürfnis der Erde entsprach

Entwicklung auf feuchtem Wege.


Eintönig wogte die Flut und litt

Nichts Hartes mit scharfer Kante,

Die Felsen zerrieb sie zu Kieselstein,

Die Kiesel zerrieb sie zu Sande.


Erdmännlein, die klugen, erkannten betrübt

Die Gefahr allmähl'cher Versumpfung,

Da schürten sie unten leis am Basalt:

»Erwach' aus deiner Verdumpfung!
[18]

Erwach', sei ein Mann und erhebe dein Haupt,

Zerspreng' die beengenden Bande,

Aus himmelansteigender Felsenburg

Beherrsch' die geschichteten Lande!


Erwach' und ruf': ›perrumpendum est!‹

Wie drüben im Alpenbezirke

Deine tapfern Ahnen Granit und Porphyr,

Die Stammherrn der kühnsten Gebirge.«


Da hub der Basalt zu seufzen an,

Er hatte, von Langweil' betrübet,

Ein geologischer Romeo,

Sich in die Molasse verliebet.


Molasse, der Erbfeinde Töchterlein,

Moderne, marinische Schichten!...

Drum nagte der Gram wie verzehrender Rost

An seinem Trachten und Dichten.


Um der Tiefe zentrale Urfeuer lag

Er träumend und sprach wie im Fieber:

»O wär' ich ein wäßriger Niederschlag

Und bei ihr ... das wäre mir lieber!«


Erdmännlein, die klugen, sie trugen stets

Den Fortschritt des Ganzen im Sinne;

Was kümmert solch doktrinäres Volk

Des einzelnen Herzweh und Minne?


Und wieder hetzten und schürten sie scharf:

»Laß ab von deinen Visionen,

Du erntest nur einen Korb und den Spott

Der sämtlichen Formationen.


Schon flüstert's der Onkel Steinsalz dem Kalk,

Schon basen es höhnisch die Wellen:

›Wie kann sich des Meeres drittältestes Kind

Dem Auswurf des Feuers gesellen!‹«


... Was weiter geschah, man erfuhr es nie,

Doch plötzlich faßt' ihn ein Wüten,

In feuriger Lohe schnob er heraus,

Seine Adern glühten und sprühten.
[19]

Lautrasend drang er nach oben vor

Und sprengte mit sengenden Gluten

Die Decke der Schichten, die wie ein Alp

Schwerlastend über ihm ruhten.


Auch sie, für die er einst schwärmte, sank

Als Opfer der grimmen Verheerung.

... Auflacht' er höhnisch und hüllt' sich in Rauch

Und stürmte zu neuer Zerstörung.


Und Schlag auf Schlag – dumpfkrachend Getös

Von tausend und tausend Gewittern ...

Die Erde barst, es durchzuckte sie tief

Ein Schüttern und Zittern und Splittern.


Bis steil majestätisch der feurige Kern

Den klaffenden Spalten entsteiget,

Und trümmerbesäet sich Land und Flut

Dem Säulengewaltigen neiget.


Da stand er und schaute die blauende Luft

Und der Sonne lichtspendendes Walten,

Dann seufzte er tief ... kühl weht es vom See ...

Dann sank er in starres Erkalten.


Doch in dem Gefelse wohnt heute noch

Ein seltsam Tönen und Klingen,

Als woll' es von seliger Jugendzeit

Ein Lied der Sehnsucht uns singen.


Und ein goldgelb Tröpflein Natrolith

Im geschwärzten Stein oft erscheinet ...

Das sind die Tränen, die der Basalt

Der gesprengten Molasse weinet.

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 18-20.
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