Eleonoren

[13] Am Himmelfahrts-Abend.


Beauté, c'est donc-là ton dernier asyle! –


Noch weil' ich in der Frühlingslaube,

Und gebe mich der Glut gefangen,

Die nicht des Westes Fittig kühlt,

Der hier um meine blassen Wangen

So abendlich, so leise spielt.

Mein Wesen wird der Kraft zum Raube,

Die magisch in mir wirkt und webt,

Indeß der gottvertraute Glaube

Sein Haupt nach jenen Sternen hebt.
[13]

Die Frühlingsluft, die mich durchschauert,

Sie weckt in meinem kranken Herzen

Des wunderbaren Stromes Lauf,

Die bittre Lust, die süßen Schmerzen

Der ungestillten Sehnsucht auf,

Die nach dem Gut, das ewig dauert,

Nach der entschwundnen goldnen Zeit,

Wie die gefangne Psyche trauert,

Und der kein Gott die Flügel leiht.


Ich seh' sich mir die Wolken neigen,

Mir beut der Lenz die zarten Schwingen,

Um in des Herzens regem Drang

Dem schönen Gotte nachzudringen,

Der heute sich der Erd' entschwang.

Die Blumen, so der Flur entsteigen,

Sie scheinen meinem Liebeswahn

Der Sehnsucht hohe Bahn zu zeigen,

Sie blicken alle himmelan.


Erbärmlich Loos der Staubgebornen,

Daß ihres Lebens höchste Blüte

Vom Athem des Genusses stirbt,

Und alles, dem ihr Herz entglühte,

Nur in der Ferne Reiz erwirbt!

Daß mit dem Schimmer des Erkornen

Auch die Empfänglichkeit zerfließt,

Zum oft Gefundnen, oft Verlornen

Die Sehnsucht sich ins Grab verschließt.


Da stehn sie einsam, mit den Narben

Erschlag'ner Himmelsseligkeiten

In der zerrißnen, wunden Brust,

Ruinen der Vergangenheiten,

Des frühen Traums sich kaum bewußt,

Und schaun auf Keime, die erstarben,

Mit fürchterlichem Geize hin.

Sie sind so reich, so voll und darben

Mit ihrem königlichen Sinn.
[14]

Willst du dem Weltentanz entfliehen?

Willst du allein die Wüste wählen,

Und aus des Meisters heil'gem Ring

Die zarteste der Perlen stehlen,

Die je der Orient empfing?

Willst du, wo tausend Blumen blühen,

Mit abgewendetem Gesicht

In stolzem Gram vorüberziehen?

Das kannst du schöne Seele nicht!


Laß durch die Schöpfungen uns wallen!

Was hier sich unsrem Blick verloren,

Entschwand nicht aus des Vaters Reich,

In schönern Welten neugeboren

Lebt es den sel'gen Geistern gleich.

Mag aus der Hand die Blüte fallen,

Sie fällt an einen bessern Ort,

Mag Philomelens Ton verhallen,

Die Sphären tönen ewig fort.


Der schnelle Flug des Erdenglückes

Soll das Gemüth zum Lande heben,

Wo, durch den Raum nicht mehr getrennt,

Die abgeschiednen Stunden leben,

Wo die erloschne Flamme brennt;

Wohin die Schwinge deines Blickes,

Im Sternenschimmer früh schon flog,

Wohin der Sieger des Geschickes,

Der größer als Alcides, zog.


Hat dieses Lied die Lust erneuert,

Die, dir von dort herabgeflossen,

Vom Schmerze nur verdrungen ward,

Hat es dein Herz mir aufgeschlossen –

Dann hab' ich auf die rechte Art,

Von heil'ger Mitternacht umschleiert,

Von einem Geisterchor geküßt,

Des Heilands Himmelfahrt gefeiert,

Die mir das Fest der Sehnsucht ist.

Quelle:
Max Schenkendorf: Gedichte, Leipzig o.J, S. 13-15.
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