Fünfter Auftritt


[710] La Hire zu den Vorigen.


KARL geht ihm entgegen.

La Hire! Bringst du uns Hoffnung oder keine?

Erklär dich kurz. Was hab ich zu erwarten?

LA HIRE.

Erwarte nichts mehr als von deinem Schwert.

KARL.

Der stolze Herzog läßt sich nicht versöhnen!

O sprich! Wie nahm er meine Botschaft auf?

LA HIRE.

Vor allen Dingen und bevor er noch

Ein Ohr dir könne leihen, fodert er,

Daß ihm Du Chatel ausgeliefert werde,

Den er den Mörder seines Vaters nennt.

KARL.

Und, weigern wir uns dieser Schmachbedingung?

LA HIRE.

Dann sei der Bund zertrennt, noch eh er anfing.

KARL.

Hast du ihn drauf, wie ich dir anbefahl,

Zum Kampf mit mir gefodert auf der Brücke

Zu Montereau, allwo sein Vater fiel?

LA HIRE.

Ich warf ihm deinen Handschuh hin und sprach:[710]

Du wolltest deiner Hoheit dich begeben,

Und als ein Ritter kämpfen um dein Reich.

Doch er versetzte: nimmer täts ihm not,

Um das zu fechten, was er schon besitze.

Doch wenn dich so nach Kämpfen lüstete,

So würdest du vor Orleans ihn finden,

Wohin er morgen willens sei zu gehn;

Und damit kehrt' er lachend mir den Rücken.

KARL.

Erhob sich nicht in meinem Parlamente

Die reine Stimme der Gerechtigkeit?

LA HIRE.

Sie ist verstummt vor der Parteien Wut.

Ein Schluß des Parlaments erklärte dich

Des Throns verlustig, dich und dein Geschlecht.

DUNOIS.

Ha frecher Stolz des herrgewordnen Bürgers!

KARL.

Hast du bei meiner Mutter nichts versucht?

LA HIRE.

Bei deiner Mutter!

KARL.

Ja! Wie ließ sie sich vernehmen?

LA HIRE nachdem er einige Augenblicke sich bedacht.

Es war gerad das Fest der Königskrönung,

Als ich zu Saint Denis eintrat. Geschmückt

Wie zum Triumphe waren die Pariser,

In jeder Gasse stiegen Ehrenbogen,

Durch die der engelländsche König zog.

Bestreut mit Blumen war der Weg und jauchzend,

Als hätte Frankreich seinen schönsten Sieg

Erfochten, sprang der Pöbel um den Wagen.

SOREL.

Sie jauchzten – jauchzten, daß sie auf das Herz

Des liebevollen sanften Königs traten!

LA HIRE.

Ich sah den jungen Harry Lancaster,

Den Knaben, auf dem königlichen Stuhl

Sankt Ludwigs sitzen, seine stolzen Öhme

Bedford und Gloster standen neben ihm,

Und Herzog Philipp kniet' am Throne nieder

Und leistete den Eid für seine Länder.

KARL.

O ehrvergeßner Pair! Unwürdger Vetter!

LA HIRE.

Das Kind war bang und strauchelte, da es[711]

Die hohen Stufen an dem Thron hinanstieg.

»Ein böses Omen!« murmelte das Volk,

Und es erhub sich schallendes Gelächter.

Da trat die alte Königin, deine Mutter,

Hinzu, und – mich entrüstet es zu sagen!

KARL.

Nun?

LA HIRE.

In die Arme faßte sie den Knaben

Und setzt' ihn selbst auf deines Vaters Stuhl.

KARL.

O Mutter! Mutter!

LA HIRE.

Selbst die wütenden

Burgundier, die mordgewohnten Banden,

Erglüheten vor Scham bei diesem Anblick.

Sie nahm es wahr und an das Volk gewendet

Rief sie mit lauter Stimm: »Dankt mirs, Franzosen,

Daß ich den kranken Stamm mit reinem Zweig

Veredle, euch bewahre vor dem miß-

Gebornen Sohn des hirnverrückten Vaters!«


Der König verhüllt sich, Agnes eilt auf ihn zu und schließt ihn in ihre Arme, alle Umstehenden drücken ihren Abscheu, ihr Entsetzen aus.


DUNOIS.

Die Wölfin! die wutschnaubende Megäre!

KARL nach einer Pause zu den Ratsherren.

Ihr habt gehört, wie hier die Sachen stehn.

Verweilt nicht länger, geht nach Orleans

Zurück, und meldet meiner treuen Stadt:

Des Eides gegen mich entlaß ich sie.

Sie mag ihr Heil beherzigen und sich

Der Gnade des Burgundiers ergeben,

Er heißt der Gute, er wird menschlich sein.

DUNOIS.

Wie Sire? Du wolltest Orleans verlassen!

RATSHERR kniet nieder.

Mein königlicher Herr! Zieh deine Hand

Nicht von uns ab! Gib deine treue Stadt

Nicht unter Englands harte Herrschaft hin.

Sie ist ein edler Stein in deiner Krone,

Und keine hat den Königen, deinen Ahnherrn,

Die Treue heiliger bewahrt.

DUNOIS.

Sind wir[712]

Geschlagen? Ists erlaubt, das Feld zu räumen,

Eh noch ein Schwertstreich um die Stadt geschehn?

Mit einem leichten Wörtlein, ehe Blut

Geflossen ist, denkst du die beste Stadt

Aus Frankreichs Herzen wegzugeben?

KARL.

Gnug

Des Blutes ist geflossen und vergebens!

Des Himmels schwere Hand ist gegen mich,

Geschlagen wird mein Heer in allen Schlachten,

Mein Parlament verwirft mich, meine Hauptstadt,

Mein Volk nimmt meinen Gegner jauchzend auf,

Die mir die Nächsten sind am Blut, verlassen,

Verraten mich – die eigne Mutter nährt

Die fremde Feindesbrut an ihren Brüsten.

– Wir wollen jenseits der Loire uns ziehn,

Und der gewaltgen Hand des Himmels weichen,

Der mit dem Engelländer ist.

SOREL.

Das wolle Gott nicht, daß wir, an uns selbst

Verzweifelnd, diesem Reich den Rücken wenden!

Dies Wort kam nicht aus deiner tapfern Brust.

Der Mutter unnatürlich rohe Tat

Hat meines Königs Heldenherz gebrochen!

Du wirst dich wiederfinden, männlich fassen,

Mit edelm Mut dem Schicksal widerstehen,

Das grimmig dir entgegenkämpft.

KARL in düstres Sinnen verloren.

Ist es nicht wahr?

Ein finster furchtbares Verhängnis waltet

Durch Valois' Geschlecht, es ist verworfen

Von Gott, der Mutter Lastertaten führten

Die Furien herein in dieses Haus,

Mein Vater lag im Wahnsinn zwanzig Jahre,

Drei ältre Brüder hat der Tod vor mir

Hinweggemäht, es ist des Himmels Schluß,

Das Haus des sechsten Karls soll untergehn.

SOREL.

In dir wird es sich neuverjüngt erheben!

Hab Glauben an dich selbst. – O! nicht umsonst[713]

Hat dich ein gnädig Schicksal aufgespart

Von deinen Brüdern allen, dich den jüngsten

Gerufen auf den ungehofften Thron.

In deiner sanften Seele hat der Himmel

Den Arzt für alle Wunden sich bereitet,

Die der Parteien Wut dem Lande schlug.

Des Bürgerkrieges Flammen wirst du löschen,

Mir sagts das Herz, den Frieden wirst du pflanzen,

Des Frankenreiches neuer Stifter sein.

KARL.

Nicht ich. Die rauhe sturmbewegte Zeit

Heischt einen kraftbegabtern Steuermann.

Ich hätt ein friedlich Volk beglücken können,

Ein wild empörtes kann ich nicht bezähmen,

Nicht mir die Herzen öffnen mit dem Schwert,

Die sich entfremdet mir in Haß verschließen.

SOREL.

Verblendet ist das Volk, ein Wahn betäubt es,

Doch dieser Taumel wird vorübergehn,

Erwachen wird, nicht fern mehr ist der Tag,

Die Liebe zu dem angestammten König,

Die tief gepflanzt ist in des Franken Brust,

Der alte Haß, die Eifersucht erwachen,

Die beide Völker ewig feindlich trennt;

Den stolzen Sieger stürzt sein eignes Glück.

Darum verlasse nicht mit Übereilung

Den Kampfplatz, ring um jeden Fußbreit Erde,

Wie deine eigne Brust verteidige

Dies Orleans! Laß alle Fähren lieber

Versenken, alle Brücken niederbrennen,

Die über diese Scheide deines Reichs,

Das stygsche Wasser der Loire dich führen.

KARL.

Was ich vermocht, hab ich getan. Ich habe

Mich dargestellt zum ritterlichen Kampf

Um meine Krone. – Man verweigert ihn.

Umsonst verschwend ich meines Volkes Leben,

Und meine Städte sinken in den Staub.

Soll ich gleich jener unnatürlichen Mutter[714]

Mein Kind zerteilen lassen mit dem Schwert?

Nein, daß es lebe, will ich ihm entsagen.

DUNOIS.

Wie Sire? Ist das die Sprache eines Königs?

Gibt man so eine Krone auf? Es setzt

Der Schlechtste deines Volkes Gut und Blut

An seine Meinung, seinen Haß und Liebe,

Partei wird alles, wenn das blutge Zeichen

Des Bürgerkrieges ausgehangen ist.

Der Ackersmann verläßt den Pflug, das Weib

Den Rocken, Kinder, Greise waffnen sich,

Der Bürger zündet seine Stadt, der Landmann

Mit eignen Händen seine Saaten an,

Um dir zu schaden oder wohlzutun

Und seines Herzens Wollen zu behaupten.

Nichts schont er selber und erwartet sich

Nicht Schonung, wenn die Ehre ruft, wenn er

Für seine Götter oder Götzen kämpft.

Drum weg mit diesem weichlichen Mitleiden,

Das einer Königsbrust nicht ziemt. – Laß du

Den Krieg ausrasen, wie er angefangen,

Du hast ihn nicht leichtsinnig selbst entflammt.

Für seinen König muß das Volk sich opfern,

Das ist das Schicksal und Gesetz der Welt.

Der Franke weiß es nicht und wills nicht anders.

Nichtswürdig ist die Nation, die nicht

Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre.

KARL zu den Ratsherren.

Erwartet keinen anderen Bescheid.

Gott schütz euch. Ich kann nicht mehr.

DUNOIS.

Nun so kehre

Der Siegesgott auf ewig dir den Rücken.

Wie du dem väterlichen Reich. Du hast

Dich selbst verlassen, so verlaß ich dich.

Nicht Englands und Burgunds vereinte Macht,

Dich stürzt der eigne Kleinmut von dem Thron.

Die Könige Frankreichs sind geborne Helden,

Du aber bist unkriegerisch gezeugt.


[715] Zu den Ratsherren.


Der König gibt euch auf. Ich aber will

In Orleans, meines Vaters Stadt, mich werfen,

Und unter ihren Trümmern mich begraben.


Er will gehen. Agnes Sorel hält ihn auf.


SOREL zum König.

O laß ihn nicht im Zorne von dir gehn!

Sein Mund spricht rauhe Worte, doch sein Herz

Ist treu wie Gold, es ist derselbe doch,

Der warm dich liebt und oft für dich geblutet.

Kommt, Dunois! Gesteht, daß Euch die Hitze

Des edeln Zorns zu weit geführt – Du aber

Verzeih dem treuen Freund die heftge Rede!

O kommt, kommt! Laßt mich eure Herzen schnell

Vereinigen, eh sich der rasche Zorn

Unlöschbar, der verderbliche, entflammt!


Dunois fixiert den König und scheint eine Antwort zu erwarten.


KARL zu Du Chatel.

Wir gehen über die Loire. Laß mein

Gerät zu Schiffe bringen!

DUNOIS schnell zur Sorel.

Lebet wohl!


Wendet sich schnell und geht, Ratsherren folgen.


SOREL ringt verzweiflungsvoll die Hände.

O wenn er geht, so sind wir ganz verlassen!

– Folgt ihm, La Hire. O sucht ihn zu begütgen.


La Hire geht ab.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 710-716.
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