Eilfter Auftritt


[806] Isabeau. Johanna. Soldaten.


JOHANNA.

Das will ich!

Daran soll niemand mich verhindern. – Horch!

Das ist der Kriegsmarsch meines Volks! Wie mutig

Er in das Herz mir schallt und siegverkündend!

Verderben über England! Sieg den Franken!

Auf, meine Tapfern! Auf! Die Jungfrau ist

Euch nah, sie kann nicht vor euch her wie sonst

Die Fahne tragen – schwere Bande fesseln sie,

Doch frei aus ihrem Kerker schwingt die Seele

Sich auf den Flügeln eures Kriegsgesangs.

ISABEAU zu einem Soldaten.

Steig auf die Warte dort, die nach dem Feld

Hin sieht, und sag uns, wie die Schlacht sich wendet.


Soldat steigt hinauf.


JOHANNA.

Mut, Mut, mein Volk! Es ist der letzte Kampf!

Den einen Sieg noch, und der Feind liegt nieder.

ISABEAU.

Was siehest du?

SOLDAT.

Schon sind sie aneinander.

Ein Wütender auf einem Barberroß,

Im Tigerfell, sprengt vor mit den Gendarmen.[806]

JOHANNA.

Das ist Graf Dunois! Frisch, wackrer Streiter!

Der Sieg ist mit dir!

SOLDAT.

Der Burgunder greift

Die Brücke an.

ISABEAU.

Daß zehen Lanzen ihm

Ins falsche Herz eindrängen, dem Verräter!

SOLDAT.

Lord Fastolf tut ihm mannhaft Widerstand.

Sie sitzen ab, sie kämpfen Mann für Mann,

Des Herzogs Leute und die unsrigen.

ISABEAU.

Siehst du den Dauphin nicht? Erkennst du nicht

Die königlichen Zeichen?

SOLDAT.

Alles ist

In Staub vermengt. Ich kann nichts unterscheiden.

JOHANNA.

Hätt er mein Auge oder stünd ich oben,

Das Kleinste nicht entginge meinem Blick!

Das wilde Huhn kann ich im Fluge zählen,

Den Falk erkenn ich in den höchsten Lüften.

SOLDAT.

Am Graben ist ein fürchterlich Gedräng,

Die Größten, scheints, die Ersten kämpfen dort.

ISABEAU.

Schwebt unsre Fahne noch?

SOLDAT.

Hoch flattert sie.

JOHANNA.

Könnt ich nur durch der Mauer Ritze schauen,

Mit meinem Blick wollt ich die Schlacht regieren!

SOLDAT.

Weh mir! Was seh ich! Unser Feldherr ist

Umzingelt!

ISABEAU zuckt den Dolch auf Johanna.

Stirb, Unglückliche!

SOLDAT schnell.

Er ist befreit.

Im Rücken faßt der tapfere Fastolf

Den Feind – er bricht in seine dichtsten Scharen.

ISABEAU zieht den Dolch zurück.

Das sprach dein Engel!

SOLDAT.

Sieg! Sieg! Sie entfliehen!

ISABEAU.

Wer flieht?

SOLDAT.

Die Franken, die Burgunder fliehn,

Bedeckt mit Flüchtigen ist das Gefilde.[807]

JOHANNA.

Gott! Gott! So sehr wirst du mich nicht verlassen!

SOLDAT.

Ein schwer Verwundeter wird dort geführt.

Viel Volk sprengt ihm zu Hülf, es ist ein Fürst.

ISABEAU.

Der Unsern einer oder Fränkischen?

SOLDAT.

Sie lösen ihm den Helm, Graf Dunois ists.

JOHANNA greift mit krampfhafter Anstrengung in ihre Ketten.

Und ich bin nichts als ein gefesselt Weib!

SOLDAT.

Sieh! Halt! Wer trägt den himmelblauen Mantel

Verbrämt mit Gold?

JOHANNA lebhaft.

Das ist mein Herr, der König!

SOLDAT.

Sein Roß wird scheu – es überschlägt sich – stürzt,

Er windet schwer arbeitend sich hervor –


Johanna begleitet diese Worte mit leidenschaftlichen Bewegungen.


Die Unsern nahen schon in vollem Lauf –

Sie haben ihn erreicht – umringen ihn –

JOHANNA.

O hat der Himmel keine Engel mehr!

ISABEAU hohnlachend.

Jetzt ist es Zeit! Jetzt, Retterin, errette!

JOHANNA stürzt auf die Knie, mit gewaltsam heftiger Stimme betend.

Höre mich, Gott, in meiner höchsten Not,

Hinauf zu dir, in heißem Flehenswunsch,

In deine Himmel send ich meine Seele.

Du kannst die Fäden eines Spinngewebs

Stark machen wie die Taue eines Schiffs,

Leicht ist es deiner Allmacht, ehrne Bande

In dünnes Spinngewebe zu verwandeln –

Du willst und diese Ketten fallen ab,

Und diese Turmwand spaltet sich – du halfst

Dem Simson, da er blind war und gefesselt,

Und seiner stolzen Feinde bittern Spott

Erduldete. – Auf dich vertrauend faßt' er

Die Pfosten seines Kerkers mächtig an,

Und neigte sich und stürzte das Gebäude –

SOLDAT.

Triumph! Triumph!

ISABEAU.

Was ists?

SOLDAT.

Der König ist

Gefangen![808]

JOHANNA springt auf.

So sei Gott mir gnädig!


Sie hat ihre Ketten mit beiden Händen kraftvoll gefaßt und zerrissen. In demselben Augenblick stürzt sie sich auf den nächststehenden Soldaten, entreißt ihm sein Schwert und eilt hinaus. Alle sehen ihr mit starrem Erstaunen nach.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 806-809.
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