[91] Don Carlos. Der Marquis von Posa tritt herein.
CARLOS.
Ach, endlich einmal, endlich –
MARQUIS.
Welche Prüfung
Für eines Freundes Ungeduld! Die Sonne
Ging zweimal auf und zweimal unter, seit
Das Schicksal meines Carlos sich entschieden,
Und jetzt, erst jetzt werd ich es hören. – Sprich,
Ihr seid versöhnt?
CARLOS.
Wer?
MARQUIS.
Du und König Philipp;
Und auch mit Flandern ists entschieden?
CARLOS.
Daß
Der Herzog morgen dahin reist? – Das ist
Entschieden, ja.
MARQUIS.
Das kann nicht sein. Das ist nicht.
Soll ganz Madrid belogen sein? Du hattest
Geheime Audienz, sagt man. Der König –
CARLOS.
Blieb unbewegt. Wir sind getrennt auf immer,
Und mehr, als wirs schon waren –
MARQUIS.
Du gehst nicht
Nach Flandern?
CARLOS.
Nein! Nein! Nein!
MARQUIS.
O meine Hoffnung!
CARLOS.
Das nebenbei. O Roderich, seitdem
Wir uns verließen, was hab ich erlebt!
Doch jetzt vor allem deinen Rat! Ich muß
Sie sprechen –
MARQUIS.
Deine Mutter? – Nein! – Wozu?
CARLOS.
Ich habe Hoffnung. – Du wirst blaß? Sei ruhig.
Ich soll und werde glücklich sein. – Doch davon
Ein andermal. Jetzt schaffe Rat, wie ich
Sie sprechen kann. –
MARQUIS.
Was soll das? Worauf gründet
Sich dieser neue Fiebertraum?[91]
CARLOS.
Nicht Traum!
Beim wundervollen Gott nicht! – Wahrheit, Wahrheit!
Den Brief des Königs an die Fürstin Eboli hervorziehend.
In diesem wichtigen Papier enthalten!
Die Königin ist frei, vor Menschenaugen,
Wie vor des Himmels Augen frei. Da lies
Und höre auf, dich zu verwundern.
MARQUIS den Brief eröffnend.
Was?
Was seh ich? Eigenhändig vom Monarchen?
Nachdem er ihn gelesen.
An wen ist dieser Brief?
CARLOS.
An die Prinzessin
Von Eboli. – Vorgestern bringt ein Page
Der Königin von unbekannten Händen
Mir einen Brief und einen Schlüssel. Man
Bezeichnet mir im linken Flügel des
Palastes, den die Königin bewohnt,
Ein Kabinett, wo eine Dame mich
Erwarte, die ich längst geliebt. Ich folge
Sogleich dem Winke –
MARQUIS.
Rasender, du folgst?
CARLOS.
Ich kenne ja die Handschrift nicht – Ich kenne
Nur eine solche Dame. Wer als sie
Wird sich von Carlos angebetet wähnen?
Voll süßen Schwindels flieg ich nach dem Platze;
Ein göttlicher Gesang, der aus dem Innern
Des Zimmers mir entgegenschallt, dient mir
Zum Führer – ich eröffne das Gemach –
Und wen entdeck ich? – Fühle mein Entsetzen!
MARQUIS.
O, ich errate alles.
CARLOS.
Ohne Rettung
War ich verloren, Roderich, wär ich
In eines Engels Hände nicht gefallen.
Welch unglückselger Zufall! Hintergangen
Von meiner Blicke unvorsichtger Sprache,
Gab sie der süßen Täuschung sich dahin,[92]
Sie selber sei der Abgott dieser Blicke.
Gerührt von meiner Seele stillen Leiden,
Beredet sich großmütig-unbesonnen
Ihr weiches Herz, mir Liebe zu erwidern.
Die Ehrfurcht schien mir Schweigen zu gebieten;
Sie hat die Kühnheit, es zu brechen – offen
Liegt ihre schöne Seele mir –
MARQUIS.
So ruhig
Erzählst du das? – Die Fürstin Eboli
Durschaute dich. Kein Zweifel mehr, sie drang
In deiner Liebe innerstes Geheimnis.
Du hast sie schwer beleidigt. Sie beherrscht
Den König.
CARLOS zuversichtlich.
Sie ist tugendhaft.
MARQUIS.
Sie ists
Aus Eigennutz der Liebe. – Diese Tugend,
Ich fürchte sehr, ich kenne sie – wie wenig
Reicht sie empor zu jenem Ideale,
Das aus der Seele mütterlichem Boden,
In stolzer, schöner Grazie empfangen,
Freiwillig sproßt und ohne Gärtners Hülfe
Verschwenderische Blüten treibt! Es ist
Ein fremder Zweig, mit nachgeahmtem Süd
In einem rauhern Himmelsstrich getrieben;
Erziehung, Grundsatz, nenn es, wie du willst,
Erworbne Unschuld, dem erhitzten Blut
Durch List und schwere Kämpfe abgerungen,
Dem Himmel, der sie fordert und bezahlt,
Gewissenhaft sorgfältig angeschrieben.
Erwäge selbst! Wird sie der Königin
Es je vergeben können, daß ein Mann
An ihrer eignen, schwer erkämpften Tugend
Vorüberging, sich für Don Philipps Frau
In hoffnungslosen Flammen zu verzehren?
CARLOS.
Kennst du die Fürstin so genau?[93]
MARQUIS.
Gewiß nicht.
Kaum daß ich zweimal sie gesehn. Doch nur
Ein Wort laß mich noch sagen: Mir kam vor,
Daß sie geschickt des Lasters Blößen mied,
Daß sie sehr gut um ihre Tugend wußte.
Dann sah ich auch die Königin. O Karl,
Wie anders alles, was ich hier bemerkte!
In angeborner stiller Glorie,
Mit sorgenlosem Leichtsinn, mit des Anstands
Schulmäßiger Berechnung unbekannt,
Gleich ferne von Verwegenheit und Furcht,
Mit festem Heldenschritte wandelt sie
Die schmale Mittelbahn des Schicklichen,
Unwissend, daß sie Anbetung erzwungen,
Wo sie von eignem Beifall nie geträumt.
Erkennt mein Karl auch hier in diesem Spiegel,
Auch jetzt noch seine Eboli? – Die Fürstin
Blieb standhaft, weil sie liebte; Liebe war
In ihre Tugend wörtlich einbedungen.
Du hast sie nicht belohnt – sie fällt.
CARLOS mit einiger Heftigkeit.
Nein! Nein!
Nachdem er heftig auf und nieder gegangen.
Nein, sag ich dir. – O wüßte Roderich,
Wie trefflich es ihn kleidet, seinem Karl
Der Seligkeiten göttlichste, den Glauben
An menschliche Vortrefflichkeit, zu stehlen!
MARQUIS.
Verdien ich das? – Nein, Liebling meiner Seele,
Das wollt ich nicht, bei Gott im Himmel nicht! –
O, diese Eboli – sie wär ein Engel,
Und ehrerbietig, wie du selbst, stürzt ich
Vor ihrer Glorie mich nieder, hätte
Sie – dein Geheimnis nicht erfahren.
CARLOS.
Sieh,
Wie eitel deine Furcht ist! Hat sie andre
Beweise wohl, als die sie selbst beschämen?
Wird sie der Rache trauriges Vergnügen[94]
Mit ihrer Ehre kaufen?
MARQUIS.
Ein Erröten
Zurückzunehmen, haben manche schon
Der Schande sich geopfert.
CARLOS mit Heftigkeit aufstehend.
Nein, das ist
Zu hart, zu grausam! Sie ist stolz und edel;
Ich kenne sie und fürchte nichts. Umsonst
Versuchst du, meine Hoffnungen zu schrecken.
Ich spreche meine Mutter.
MARQUIS.
Jetzt? Wozu?
CARLOS.
Ich habe nun nichts mehr zu schonen – ich muß
Mein Schicksal wissen. Sorge nur, wie ich
Sie sprechen kann.
MARQUIS.
Und diesen Brief willst du
Ihr zeigen? Wirklich, willst du das?
CARLOS.
Befrage
Mich darum nicht. Das Mittel jetzt, das Mittel,
Daß ich sie spreche!
MARQUIS mit Bedeutung.
Sagtest du mir nicht,
Du liebtest deine Mutter? – Du bist willens,
Ihr diesen Brief zu zeigen?
Carlos sieht zur Erde und schweigt.
Karl, ich lese
In deinen Mienen etwas – mir ganz neu –
Ganz fremd bis diesen Augenblick. – Du wendest
Die Augen von mir? Warum wendest du
Die Augen von mir? So ists wahr? – Ob ich
Denn wirklich recht gelesen? Laß doch sehn –
Carlos gibt ihm den Brief. Der Marquis zerreißt ihn.
CARLOS.
Was? Bist du rasend?
Mit gemäßigter Empfindlichkeit.
Wirklich – ich gesteh es –
An diesem Briefe lag mir viel.
MARQUIS.
So schien es.[95]
Darum zerriß ich ihn.
Der Marquis ruht mit einem durchdringenden Blick auf dem Prinzen, der ihn zweifelhaft ansieht. Langes Stillschweigen.
Sprich doch – was haben
Entweihungen des königlichen Bettes
Mit deiner – deiner Liebe denn zu schaffen?
War Philipp dir gefährlich? Welches Band
Kann die verletzten Pflichten des Gemahls
Mit deinen kühnern Hoffnungen verknüpfen?
Hat er gesündigt, wo du liebst? Nun freilich
Lern ich dich fassen. O, wie schlecht hab ich
Bis jetzt auf deine Liebe mich verstanden!
CARLOS.
Wie, Roderich? Was glaubst du?
MARQUIS.
O, ich fühle,
Wovon ich mich entwöhnen muß. Ja, einst,
Einst wars ganz anders. Da warst du so reich,
So warm, so reich! Ein ganzer Weltkreis hatte
In deinem weiten Busen Raum. Das alles
Ist nun dahin, von einer Leidenschaft,
Von einem kleinen Eigennutz verschlungen.
Dein Herz ist ausgestorben. Keine Träne
Dem ungeheuern Schicksal der Provinzen,
Nicht einmal eine Träne mehr! – O Karl,
Wie arm bist du, wie bettelarm geworden,
Seitdem du niemand liebst als dich!
CARLOS wirft sich in einen Sessel. – Nach einer Pause mit kaum unterdrücktem Weinen.
Ich weiß,
Daß du mich nicht mehr achtest.
MARQUIS.
Nicht so, Karl!
Ich kenne diese Aufwallung. Sie war
Verirrung lobenswürdiger Gefühle.
Die Königin gehörte dir, war dir
Geraubt von dem Monarchen – doch bis jetzt
Mißtrautest du bescheiden deinen Rechten.
Vielleicht war Philipp ihrer wert. Du wagtest
Nur leise noch, das Urteil ganz zu sprechen.
[96] Der Brief entschied. Der Würdigste warst du.
Mit stolzer Freude sahst du nun das Schicksal
Der Tyrannei, des Raubes überwiesen.
Du jauchztest, der Beleidigte zu sein;
Denn Unrecht leiden schmeichelt großen Seelen.
Doch hier verirrte deine Phantasie,
Dein Stolz empfand Genugtuung – dein Herz
Versprach sich Hoffnung. Sieh, ich wußt es wohl,
Du hattest diesmal selbst dich mißverstanden.
CARLOS gerührt.
Nein, Roderich, du irrest sehr. Ich dachte
So edel nicht, bei weitem nicht, als du
Mich gerne glauben machen möchtest.
MARQUIS.
Bin
Ich denn so wenig hier bekannt? Sieh, Karl,
Wenn du verirrest, such ich allemal
Die Tugend unter Hunderten zu raten,
Die ich des Fehlers zeihen kann. Doch nun
Wir besser uns verstehen, seis! Du sollst
Die Königin jetzt sprechen, mußt sie sprechen. –
CARLOS ihm um den Hals fallend.
O, wie erröt ich neben dir!
MARQUIS.
Du hast
Mein Wort. Nun überlaß mir alles andre.
Ein wilder, kühner, glücklicher Gedanke
Steigt auf in meiner Phantasie. – Du sollst
Ihn hören, Karl, aus einem schönern Munde.
Ich dränge mich zur Königin. Vielleicht,
Daß morgen schon der Ausgang sich erwiesen.
Bis dahin, Karl, vergiß nicht, daß »ein Anschlag,
Den höhere Vernunft gebar, das Leiden
Der Menschheit drängt, zehntausendmal vereitelt,
Nie aufgegeben werden darf«. – Hörst du?
Erinnre dich an Flandern!
CARLOS.
Alles, alles,
Was du und hohe Tugend mir gebieten.
MARQUIS geht an ein Fenster.
Die Zeit ist um. Ich höre dein Gefolge.
Sie umarmen sich.
Jetzt wieder Kronprinz und Vasall.[97]
CARLOS.
Du fährst
Sogleich zur Stadt?
MARQUIS.
Sogleich.
CARLOS.
Halt! noch ein Wort!
Wie leicht war das vergessen! – Eine Nachricht,
Dir äußerst wichtig: – »Briefe nach Brabant
Erbricht der König.« Sei auf deiner Hut!
Die Post des Reichs, ich weiß es, hat geheime
Befehle –
MARQUIS.
Wie erfuhrst du das?
CARLOS.
Don Raimond
Von Taxis ist mein guter Freund.
MARQUIS nach einigem Stillschweigen.
Auch das!
So nehmen sie den Umweg über Deutschland.
Sie gehen ab zu verschiedenen Türen.
Ausgewählte Ausgaben von
Don Carlos, Infant von Spanien
|
Buchempfehlung
Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro