Vierter Auftritt


[193] Der König. Carlos. Die Herzoge von Alba, Feria und Medina Sidonia. Der Prinz von Parma. Graf Lerma. Domingo und viele Granden.


KÖNIG mit gütigem Ton.

Deine Bitte,

Hat Statt gefunden, mein Infant. Hier bin ich,

Ich selbst, mit allen Großen meines Reichs,

Dir Freiheit anzukündigen.


Carlos blickt auf und sieht um sich her, wie einer, der aus dem Traum erwacht. Seine Augen heften sich bald auf den König, bald auf den Toten. Er antwortet nicht.


Empfange

Dein Schwert zurück. Man hat zu rasch verfahren.


Er nähert sich ihm, reicht ihm die Hand und hilft ihm sich aufrichten.


Mein Sohn ist nicht an seinem Platz. Steh auf,

Komm in die Arme deines Vaters.

CARLOS empfängt ohne Bewußtsein die Arme des Königs – besinnt sich aber plötzlich, hält inne und sieht ihn genauer an.

Dein

Geruch ist Mord. Ich kann dich nicht umarmen.


Er stößt ihn zurück, alle Granden kommen in Bewegung.


Nein! Steht nicht so betroffen da! Was hab

Ich Ungeheures denn getan? Des Himmels

Gesalbten angetastet? Fürchtet nichts.

Ich lege keine Hand an ihn. Seht ihr

Das Brandmal nicht an seiner Stirne? Gott

Hat ihn gezeichnet.

KÖNIG bricht schnell auf.

Folgt mir, meine Granden.[193]

CARLOS.

Wohin? Nicht von der Stelle, Sire –


Er hält ihn gewaltsam mit beiden Händen und bekommt mit der einen das Schwert zu fassen, das der König mitgebracht hat.

Es fährt aus der Scheide.


KÖNIG.

Das Schwert

Gezückt auf deinen Vater?

ALLE ANWESENDEN GRANDEN ziehen die ihrigen.

Königsmord!

CARLOS den König fest an der einen Hand, das bloße Schwert in der andern.

Steckt eure Schwerter ein. Was wollt ihr? Glaubt

Ihr, ich sei rasend? Nein, ich bin nicht rasend.

Wär ichs, so tatet ihr nicht gut, mich zu

Erinnern, daß auf meines Schwertes Spitze

Sein Leben schwebt. Ich bitte, haltet euch

Entfernt, Verfassungen, wie meine, wollen

Geschmeicheltsein – drum bleibt zurück. Was ich

Mit diesem König abzumachen habe,

Geht euern Leheneid nichts an. Seht nur,

Wie seine Finger bluten! Seht ihn recht an!

Seht ihr? O seht auch hieher – Das hat er

Getan, der große Künstler!

KÖNIG zu den Granden, welche sich besorgt um ihn herumdrängen wollen.

Tretet alle

Zurück. Wovor erzittert ihr? – Sind wir

Nicht Sohn und Vater? Ich will doch erwarten,

Zu welcher Schandtat die Natur –

CARLOS.

Natur?

Ich weiß von keiner. Mord ist jetzt die Losung.

Der Menschheit Bande sind entzwei. Du selbst

Hast sie zerrissen, Sire, in deinen Reichen.

Soll ich verehren, was du höhnst? – O seht!

Seht hieher! Es ist noch kein Mord geschehen

Als heute. – Gibt es keinen Gott? Was? Dürfen

In seiner Schöpfung Könige so hausen?

Ich frage, gibt es keinen Gott? Solange Mütter

Geboren haben, ist nur einer – einer[194]

So unverdient gestorben – Weißt du auch,

Was du getan hast? Nein, er weiß es nicht,

Weiß nicht, daß er ein Leben hat gestohlen

Aus dieser Welt, das wichtiger und edler

Und teurer war als er mit seinem ganzen

Jahrhundert.

KÖNIG mit gelindem Tone.

Wenn ich allzu rasch gewesen,

Geziemt es dir, für den ich es gewesen,

Mich zur Verantwortung zu ziehen?

CARLOS.

Wie?

Ists möglich? Sie erraten nicht, wer mir

Der Tote war – O sagt es ihm – helft seiner

Allwissenheit das schwere Rätsel lösen.

Der Tote war mein Freund – Und wollt ihr wissen,

Warum er starb? Für mich ist er gestorben.

KÖNIG.

Ha! meine Ahndung!

CARLOS.

Blutender, vergib,

Daß ich vor solchen Ohren es entweihe!

Doch dieser große Menschenkenner sinke

Vor Scham dahin, daß seine graue Weisheit

Der Scharfsinn eines Jünglings überlistet.

Ja, Sire! Wir waren Brüder! Brüder durch

Ein edler Band, als die Natur es schmiedet.

Sein schöner Lebenslauf war Liebe. Liebe

Für mich sein großer, schöner Tod. Mein war er,

Als Sie mit seiner Achtung großgetan,

Als seine scherzende Beredsamkeit

Mit Ihrem stolzen Riesengeiste spielte.

Ihn zu beherrschen wähnten Sie – und waren

Ein folgsam Werkzeug seiner höhern Plane.

Daß ich gefangen bin, war seiner Freundschaft

Durchdachtes Werk. Mich zu erretten, schrieb

Er an Oranien den Brief – O Gott!

Es war die erste Lüge seines Lebens!

Mich zu erretten, warf er sich dem Tod,[195]

Den er erlitt, entgegen. Sie beschenkten ihn

Mit Ihrer Gunst – er starb für mich. Ihr Herz

Und Ihre Freundschaft drangen Sie ihm auf,

Ihr Szepter war das Spielwerk seiner Hände;

Er warf es hin und starb für mich!


Der König steht ohne Bewegung, den Blick starr auf den Boden geheftet. Alle Granden sehen betreten und furchtsam auf ihn.


Und war

Es möglich? Dieser groben Lüge konnten

Sie Glauben schenken? Wie gering mußt er

Sie schätzen, da ers unternahm, bei Ihnen

Mit diesem plumpen Gaukelspiel zu reichen!

Um seine Freundschaft wagten Sie zu buhlen,

Und unterlagen dieser leichten Probe!

O, nein – nein, das war nichts für Sie. Das war

Kein Mensch für Sie! Das wußt er selbst recht gut,

Als er mit allen Kronen Sie verstoßen.

Dies feine Saitenspiel zerbrach in Ihrer

Metallnen Hand. Sie konnten nichts, als ihn

Ermorden.

ALBA hat den König bis jetzt nicht aus den Augen gelassen und mit sichtbarer Unruhe die Bewegungen beobachtet, welche in seinem Gesichte arbeiten. Jetzt nähert er sich ihm furchtsam.

Sire – nicht diese Totenstille. Sehen

Sie um sich. Reden Sie mit uns.

CARLOS.

Sie waren

Ihm nicht gleichgültig. Seinen Anteil hatten

Sie längst. Vielleicht! Er hätte Sie noch glücklich

Gemacht. Sein Herz war reich genug, Sie selbst

Von seinem Überflusse zu vergnügen.

Die Splitter seines Geistes hätten Sie

Zum Gott gemacht. Sich selber haben Sie

Bestohlen – Was werden

Sie bieten, eine Seele zu erstatten,

Wie diese war?


Ein tiefes Schweigen. Viele von den Granden sehen weg[196] oder verhüllen das Gesicht in ihren Mänteln.


O, die ihr hier versammelt steht und vor Entsetzen

Und vor Bewunderung verstummt – verdammet

Den Jüngling nicht, der diese Sprache gegen

Den Vater und den König führt – Seht hieher!

Für mich ist er gestorben! Habt ihr Tränen?

Fließt Blut, nicht glühend Erz, in euren Adern?

Seht hieher und verdammt mich nicht!


Er wendet sich zum König mit mehr Fassung und Gelassenheit.


Vielleicht

Erwarten Sie, wie diese unnatürliche Geschichte

Sich enden wird? – Hier ist mein Schwert. Sie sind

Mein König wieder. Denken Sie, daß ich

Vor Ihrer Rache zittre? Morden Sie

Mich auch, wie Sie den Edelsten gemordet.

Mein Leben ist verwirkt. Ich weiß. Was ist

Mir jetzt das Leben? Hier entsag ich allem,

Was mich auf dieser Welt erwartet. Suchen

Sie unter Fremdlingen sich einen Sohn –

Da liegen meine Reiche –


Er sinkt an dem Leichnam nieder und nimmt an dem Folgenden keinen Anteil mehr. Man hört unterdessen von ferne ein verworrenes Getöse von

Stimmen und ein Gedränge vieler Menschen. Um den König herum ist eine tiefe Stille. Seine Augen durchlaufen den ganzen Kreis, aber niemand begegnet seinen Blicken.


KÖNIG.

Nun? Will niemand

Antworten? – Jeder Blick am Boden – jedes

Gesicht verhüllt! – Mein Urteil ist gesprochen.

In diesen stummen Mienen les ich es

Verkündigt. Meine Untertanen haben mich

Gerichtet.


Das vorige Stillschweigen. – Der Tumult kommt näher und wird lauter. Durch die umstehenden Granden läuft ein Gemurmel, sie geben sich untereinander verlegene Winke; Graf Lerma stößt endlich leise den Herzog von Alba an.


LERMA.

Wahrlich! Das ist Sturm![197]

ALBA leise.

So fürcht ich.

LERMA.

Man dringt herauf. Man kommt.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 193-198.
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