Vierter Auftritt

[639] Leicester allein, darauf Mortimer.


LEICESTER.

Ich bin entdeckt, ich bin durchschaut – Wie kam

Der Unglückselige auf meine Spuren!

Weh mir, wenn er Beweise hat! Erfährt

Die Königin, daß zwischen mir und der Maria

Verständnisse gewesen – Gott! Wie schuldig

Steh ich vor ihr! Wie hinterlistig treulos

Erscheint mein Rat, mein unglückseliges

Bemühn, nach Fotheringhay sie zu führen!

Grausam verspottet sieht sie sich von mir,

An die verhaßte Feindin sich verraten!

O nimmer, nimmer kann sie das verzeihn!

Vorherbedacht wird alles nun erscheinen,

Auch diese bittre Wendung des Gesprächs,

Der Gegnerin Triumph und Hohngelächter,

Ja selbst die Mörderhand, die blutig schrecklich,

Ein unerwartet ungeheures Schicksal,

Dazwischenkam, werd ich bewaffnet haben![639]

Nicht Rettung seh ich, nirgends! Ha! Wer kommt!

MORTIMER kommt in der heftigsten Unruhe und blickt scheu umher.

Graf Leicester! Seid Ihrs? Sind wir ohne Zeugen?

LEICESTER.

Unglücklicher, hinweg! Was sucht Ihr hier?

MORTIMER.

Man ist auf unsrer Spur, auf Eurer auch,

Nehmt Euch in acht.

LEICESTER.

Hinweg, hinweg!

MORTIMER.

Man weiß,

Daß bei dem Grafen Aubespine geheime

Versammlung war –

LEICESTER.

Was kümmerts mich!

MORTIMER.

Daß sich der Mörder

Dabeibefunden –

LEICESTER.

Das ist Eure Sache!

Verwegener! Was unterfangt Ihr Euch,

In Euren blutgen Frevel mich zu flechten?

Verteidigt Eure bösen Händel selbst!

MORTIMER.

So hört mich doch nur an.

LEICESTER in heftigem Zorn.

Geht in die Hölle!

Was hängt Ihr Euch, gleich einem bösen Geist,

An meine Fersen! Fort! Ich kenn Euch nicht,

Ich habe nichts gemein mit Meuchelmördern.

MORTIMER.

Ihr wollt nicht hören. Euch zu warnen komm ich,

Auch Eure Schritte sind verraten –

LEICESTER.

Ha!

MORTIMER.

Der Großschatzmeister war zu Fotheringhay,

Sogleich nachdem die Unglückstat geschehn war,

Der Königin Zimmer wurden streng durchsucht,

Da fand sich –

LEICESTER.

Was?

MORTIMER.

Ein angefangner Brief

Der Königin an Euch –

LEICESTER.

Die Unglückselge!

MORTIMER.

Worin sie Euch auffodert, Wort zu halten,

Euch das Versprechen ihrer Hand erneuert,

Des Bildnisses gedenkt –[640]

LEICESTER.

Tod und Verdammnis!

MORTIMER.

Lord Burleigh hat den Brief.

LEICESTER.

Ich bin verloren!


Er geht während der folgenden Rede Mortimers verzweiflungsvoll auf und nieder.


MORTIMER.

Ergreift den Augenblick! Kommt ihm zuvor!

Errettet Euch, errettet sie – Schwört Euch

Heraus, ersinnt Entschuldigungen, wendet

Das Ärgste ab! Ich selbst kann nichts mehr tun.

Zerstreut sind die Gefährten, auseinander

Gesprengt ist unser ganzer Bund. Ich eile

Nach Schottland, neue Freunde dort zu sammeln.

An Euch ists jetzt, versucht, was Euer Ansehn,

Was eine kecke Stirn vermag!

LEICESTER steht still, plötzlich besonnen.

Das will ich.


Er geht nach der Türe, öffnet sie, und ruft.


He da! Trabanten!


Zu dem Offizier, der mit Bewaffneten hereintritt.


Diesen Staatsverräter

Nehmt in Verwahrung und bewacht ihn wohl!

Die schändlichste Verschwörung ist entdeckt,

Ich bringe selbst der Königin die Botschaft.


Er geht ab.


MORTIMER steht anfangs starr für Erstaunen, faßt sich aber bald und sieht Leicestern mit einem Blick der tiefsten Verachtung nach.

Ha, Schändlicher – Doch ich verdiene das!

Wer hieß mich auch dem Elenden vertrauen?

Weg über meinen Nacken schreitet er,

Mein Fall muß ihm die Rettungsbrücke bauen.

– So rette dich! Verschlossen bleibt mein Mund,

Ich will dich nicht in mein Verderben flechten.

Auch nicht im Tode mag ich deinen Bund,

Das Leben ist das einzge Gut des Schlechten.


Zu dem Offizier der Wache, der hervortritt, um ihn gefangenzunehmen.


Was willst du, feiler Sklav der Tyrannei?

Ich spotte deiner, ich bin frei!


[641] Einen Dolch ziehend.


OFFIZIER.

Er ist bewehrt – Entreißt ihm seinen Dolch!


Sie dringen auf ihn ein, er erwehrt sich ihrer.


MORTIMER.

Und frei im letzten Augenblicke soll

Mein Herz sich öffnen, meine Zunge lösen

Fluch und Verderben euch, die ihren Gott

Und ihre wahre Königin verraten!

Die von der irdischen Maria sich

Treulos, wie von der himmlischen gewendet,

Sich dieser Bastardkönigin verkauft –

OFFIZIER.

Hört ihr die Lästrung! Auf! Ergreifet ihn.

MORTIMER.

Geliebte! Nicht erretten konnt ich dich,

So will ich dir ein männlich Beispiel geben.

Maria, heilge, bitt für mich!

Und nimm mich zu dir in dein himmlisch Leben!


Er durchsticht sich mit dem Dolch und fällt der Wache in die Arme.

Zimmer der Königin.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 639-642.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Maria Stuart
Maria Stuart (Poches Allemand)
Maria Stuart: Empfohlen für das 9./10. Schuljahr. Schülerheft
Maria Stuart: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Maria Stuart: Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart von Friedrich von Schiller. Textanalyse und Interpretation: Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon