An die Freude

Freude, schöner Götterfunken,

Tochter aus Elysium,

Wir betreten feuertrunken

Himmlische, dein Heiligtum.

Deine Zauber binden wieder,

Was der Mode Schwert geteilt;

Bettler werden Fürstenbrüder,

Wo dein sanfter Flügel weilt.


Chor


Seid umschlungen, Millionen!

Diesen Kuß der ganzen Welt!

Brüder – überm Sternenzelt

Muß ein lieber Vater wohnen.


Wem der große Wurf gelungen,

Eines Freundes Freund zu sein;

Wer ein holdes Weib errungen,

Mische seinen Jubel ein!

Ja – wer auch nur eine Seele

Sein nennt auf dem Erdenrund!

Und wers nie gekonnt, der stehle

Weinend sich aus diesem Bund!


[133] Chor


Was den großen Ring bewohnet,

Huldige der Sympathie!

Zu den Sternen leitet sie,

Wo der Unbekannte thronet.


Freude trinken alle Wesen

An den Brüsten der Natur,

Alle Guten, alle Bösen

Folgen ihrer Rosenspur.

Küsse gab sie uns und Reben,

Einen Freund, geprüft im Tod.

Wollust ward dem Wurm gegeben,

Und der Cherub steht vor Gott.


Chor


Ihr stürzt nieder, Millionen?

Ahndest du den Schöpfer, Welt?

Such ihn überm Sternenzelt,

Über Sternen muß er wohnen.


Freude heißt die starke Feder

In der ewigen Natur.

Freude, Freude treibt die Räder

In der großen Weltenuhr.

Blumen lockt sie aus den Keimen,

Sonnen aus dem Firmament,

Sphären rollt sie in den Räumen,

Die des Sehers Rohr nicht kennt.


Chor


Froh, wie seine Sonnen fliegen,

Durch des Himmels prächtgen Plan,

Laufet, Brüder, eure Bahn,

Freudig wie ein Held zum Siegen.[134]


Aus der Wahrheit Feuerspiegel

Lächelt sie den Forscher an.

Zu der Tugend steilem Hügel

Leitet sie des Dulders Bahn.

Auf des Glaubens Sonnenberge

Sieht man ihre Fahnen wehn,

Durch den Riß gesprengter Särge

Sie im Chor der Engel stehn.


Chor


Duldet mutig, Millionen!

Duldet für die beßre Welt!

Droben überm Sternenzelt

Wird ein großer Gott belohnen.


Göttern kann man nicht vergelten,

Schön ists, ihnen gleich zu sein.

Gram und Armut soll sich melden,

Mit den Frohen sich erfreun.

Groll und Rache sei vergessen,

Unserm Todfeind sei verziehn,

Keine Träne soll ihn pressen,

Keine Reue nage ihn.


Chor


Unser Schuldbuch sei vernichtet!

Ausgesöhnt die ganze Welt!

Brüder – überm Sternenzelt

Richtet Gott, wie wir gerichtet.


Freude sprudelt in Pokalen,

In der Traube goldnem Blut

Trinken Sanftmut Kannibalen,

Die Verzweiflung Heldenmut – –

Brüder, fliegt von euren Sitzen,

Wenn der volle Römer kreist,[135]

Laßt den Schaum zum Himmel sprützen:

Dieses Glas dem guten Geist.


Chor


Den der Sterne Wirbel loben,

Den des Seraphs Hymne preist,

Dieses Glas dem guten Geist

Überm Sternenzelt dort oben!


Festen Mut in schwerem Leiden,

Hülfe, wo die Unschuld weint,

Ewigkeit geschwornen Eiden,

Wahrheit gegen Freund und Feind,

Männerstolz vor Königsthronen –

Brüder, gält es Gut und Blut, –

Dem Verdienste seine Kronen,

Untergang der Lügenbrut!


Chor


Schließt den heilgen Zirkel dichter,

Schwört bei diesem goldnen Wein:

Dem Gelübde treu zu sein,

Schwört es bei dem Sternenrichter!


Rettung von Tyrannenketten,

Großmut auch dem Bösewicht,

Hoffnung auf den Sterbebetten,

Gnade auf dem Hochgericht!

Auch die Toten sollen leben!

Brüder trinkt und stimmet ein,

Allen Sündern soll vergeben,

Und die Hölle nicht mehr sein.


Chor


Eine heitre Abschiedsstunde!

Süßen Schlaf im Leichentuch!

Brüder – einen sanften Spruch

Aus des Totenrichters Munde!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 133-136,138-139.
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