Die seligen Augenblicke

[50] An Laura


Laura, über diese Welt zu flüchten,

Wähn ich – mich in Himmelmaienglanz zu lichten,

Wenn dein Blick in meine Blicke flimmt,

Ätherlüfte träum ich einzusaugen,

Wenn mein Bild in deiner sanften Augen

Himmelblauem Spiegel schwimmt; –[50]


Leierklang aus Paradieses Fernen,

Harfenschwung aus angenehmern Sternen

Ras ich, in mein trunken Ohr zu ziehn,

Meine Muse fühlt die Schäferstunde,

Wenn von deinem wollustheißem Munde

Silbertöne ungern fliehn; –


Amoretten seh ich Flügel schwingen,

Hinter dir die trunknen Fichten springen

Wie von Orpheus' Saitenruf belebt,

Rascher rollen um mich her die Pole,

Wenn im Wirbeltanze deine Sohle

Flüchtig wie die Welle schwebt; –


Deine Blicke – wenn sie Liebe lächeln,

Könnten Leben durch den Marmor fächeln,

Felsenadern Pulse leihn,

Träume werden um mich her zu Wesen,

Kann ich nur in deinen Augen lesen:

Laura, Laura mein! –


Wenn dann, wie gehoben aus den Achsen

Zwei Gestirn, in Körper Körper wachsen,

Mund an Mund gewurzelt brennt,

Wollustfunken aus den Augen regnen,

Seelen wie entbunden sich begegnen

In des Atems Flammenwind, – – –


Qualentzücken – – Paradiesesschmerzen! – –

Wilder flutet zum beklommnen Herzen,

Wie Gewappnete zur Schlacht, das Blut,

Die Natur, der Endlichkeit vergessen,

Wagts, mit höhern Wesen sich zu messen,

Schwindelt ob der acherontschen Flut.


Eine Pause drohet hier den Sinnen,

Schwarzes Dunkel jagt den Tag von hinnen,

Nacht verschlingt den Quell des Lichts –[51]

Leises.. Murmeln... dumpfer.. hin.. verloren..

Stirbt... allmählich.. in den trunknen... Ohren...

Und die Welt ist.... Nichts....


Ach, vielleicht verpraßte tausend Monde,

Laura, die Elysiumssekunde,

All begraben in dem schmalen Raum;

Weggewirbelt von der Todeswonne,

Landen wir an einer andern Sonne,

Laura! und es war ein Traum.


O daß doch der Flügel Chronos' harrte,

Hingebannt ob dieser Gruppe starrte

Wie ein Marmorbild – – die Zeit!

Aber ach! ins Meer des Todes jagen

Wellen Wellen – Über dieser Wonne schlagen

Schon die Strudel der Vergessenheit.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 50-52.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (1776-1788)
Gedichte
Sämtliche Gedichte und Balladen
Die schönsten Liebesgedichte (insel taschenbuch)
Don Karlos: Text - Erläuterungen - Materialien. Empfohlen für das 10.-13. Schuljahr: Ein dramatisches Gedicht
Sämtliche Werke, Band 3 von insgesamt 5 Bänden, Ln, Gedichte: Nachdruck der Ausgabe letzter Hand unter Hinzuziehung der Erstdrucke und Handschriften

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Gespenstersonate

Gespenstersonate

Kammerspiel in drei Akten. Der Student Arkenholz und der Greis Hummel nehmen an den Gespenstersoirees eines Oberst teil und werden Zeuge und Protagonist brisanter Enthüllungen. Strindberg setzt die verzerrten Traumdimensionen seiner Figuren in steten Konflikt mit szenisch realen Bildern. Fließende Übergänge vom alltäglich Trivialem in absurde Traumebenen entlarven Fiktionen des bürgerlich-aristokratischen Milieus.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon