Das Glück

Selig, welchen die Götter, die gnädigen, vor der Geburt schon

Liebten, welchen als Kind Venus im Arme gewiegt,

Welchem Phöbus die Augen, die Lippen Hermes gelöset,

Und das Siegel der Macht Zeus auf die Stirne gedrückt!

Ein erhabenes Los, ein göttliches, ist ihm gefallen,

Schon vor des Kampfes Beginn sind ihm die Schläfe bekränzt.

Ihm ist, eh er es lebte, das volle Leben gerechnet,

Eh er die Mühe bestand, hat er die Charis erlangt.

Groß zwar nenn ich den Mann, der, sein eigner Bildner und Schöpfer,

Durch der Tugend Gewalt selber die Parze bezwingt,

Aber nicht erzwingt er das Glück, und was ihm die Charis

Neidisch geweigert, erringt nimmer der strebende Mut.

Vor Unwürdigem kann dich der Wille, der ernste, bewahren,

Alles Höchste, es kommt frei von den Göttern herab.

Wie die Geliebte dich liebt, so kommen die himmlischen Gaben,

Oben in Jupiters Reich herrscht wie in Amors die Gunst.

Neigungen haben die Götter, sie lieben der grünenden Jugend

Lockigte Scheitel, es zieht Freude die Fröhlichen an.

Nicht der Sehende wird von ihrer Erscheinung beseligt,

Ihrer Herrlichkeit Glanz hat nur der Blinde geschaut;

Gern erwählen sie sich der Einfalt kindliche Seele,

In das bescheidne Gefäß schließen sie Göttliches ein.[240]

Ungehofft sind sie da und täuschen die stolze Erwartung,

Keines Bannes Gewalt zwinget die Freien herab.

Wem er geneigt, dem sendet der Vater der Menschen und Götter

Seinen Adler herab, trägt ihn zu himmlischen Höhn,

Unter die Menge greift er mit Eigenwillen, und welches

Haupt ihm gefället, um das flicht er mit liebender Hand

Jetzt den Lorbeer und jetzt die herrschaftgebende Binde;

Krönte doch selber den Gott nur das gewogene Glück.

Vor dem Glücklichen her tritt Phöbus, der pythische Sieger,

Und der die Herzen bezwingt, Amor, der lächelnde Gott.

Vor ihm ebnet Poseidon das Meer, sanft gleitet des Schiffes

Kiel, das den Cäsar führt und sein allmächtiges Glück.

Ihm zu Füßen legt sich der Leu, das brausende Delphin

Steigt aus den Tiefen, und fromm beut es den Rücken ihm an.

Zürne dem Glücklichen nicht, daß den leichten Sieg ihm die Götter

Schenken, daß aus der Schlacht Venus den Liebling entrückt.

Ihn, den die lächelnde rettet, den Göttergeliebten beneid ich,

Jenen nicht, dem sie mit Nacht deckt den verdunkelten Blick.

War er weniger herrlich, Achilles, weil ihm Hephästos

Selbst geschmiedet den Schild und das verderbliche Schwert,

Weil um den sterblichen Mann der große Olymp sich beweget?

Das verherrlichet ihn, daß ihn die Götter geliebt,

Daß sie sein Zürnen geehrt und, Ruhm dem Liebling zu geben,

Hellas' bestes Geschlecht stürzten zum Orkus hinab.

Zürne der Schönheit nicht, daß sie schön ist, daß sie verdienstlos

Wie der Lilie Kelch prangt durch der Venus Geschenk,

Laß sie die Glückliche sein, du schaust sie, du bist der Beglückte,

Wie sie ohne Verdienst glänzt, so entzücket sie dich.

Freue dich, daß die Gabe des Lieds vom Himmel herabkommt,

Daß der Sänger dir singt, was ihn die Muse gelehrt,

Weil der Gott ihn beseelt, so wird er dem Hörer zum Gotte,

Weil er der Glückliche ist, kannst du der Selige sein.

Auf dem geschäftigen Markt, da führe Themis die Wage,

Und es messe der Lohn streng an der Mühe sich ab;

Aber die Freude ruft nur ein Gott auf sterbliche Wangen,

Wo kein Wunder geschieht, ist kein Beglückter zu sehn.

Alles Menschliche muß erst werden und wachsen und reifen,

Und von Gestalt zu Gestalt führt es die bildende Zeit,

Aber das Glückliche siehest du nicht, das Schöne nicht werden,

Fertig von Ewigkeit her steht es vollendet vor dir.

Jede irdische Venus ersteht wie die erste des Himmels,

Eine dunkle Geburt aus dem unendlichen Meer;

Wie die erste Minerva, so tritt mit der Ägis gerüstet

Aus des Donnerers Haupt jeder Gedanke des Lichts.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 240-241,405-406.
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